# taz.de -- Mafia in Deutschland: Das Problem heißt Rassismus | |
> Sechs Menschen starben vor zehn Jahren in Duisburg beim | |
> ’Ndrangheta-Massaker. Was hat sich seitdem in Deutschland getan? | |
Bild: Vor dem Restaurant „Da Bruno“ wurden vor zehn Jahren sechs Menschen g… | |
Sechs Personen wurden am 15. August 2007 in einem internen Machtkampf | |
zweier Clans in Duisburg erschossen, alle aus dem Umkreis der ursprünglich | |
aus dem süditalienischen Kalabrien stammenden, [1][seit Jahrzehnten aber | |
weltweit operierenden Mafiaorganisation ’Ndrangheta]. Zeit also für den | |
Versuch einer kleinen Bilanz: Was hat sich seitdem getan in Deutschland? | |
Gesetzgeberisch haben sich ein paar Dinge geändert, dazu weiter unten drei | |
Beispiele. Ein reflektierter und progressiver Diskurs zum Thema Mafia hat | |
sich jedoch nicht entwickelt, trotz der großen Brisanz, was Menschenrechte, | |
Demokratie und soziale Gerechtigkeit angeht. Wie kann die Gesellschaft das | |
Thema eigentlich angehen? | |
Jedenfalls nicht so, wie es üblicherweise passiert in Deutschland: Meist | |
wird das Thema Mafia einfach instrumentalisiert, um missliebige Personen | |
oder Organisationen durch eine suggerierte Verbindung zur Mafia zu | |
diskreditieren. | |
Vor allem rassistische Denkmuster in der Gesellschaft sind verlässlicher | |
Nährboden dafür: Allen zugänglichen Statistiken zum Trotz wird auf | |
explizite oder implizite Art organisierte Kriminalität immer wieder zu | |
einem Problem „der anderen“ gemacht (von anderen Gesellschaften, | |
„Ausländer_innen“, oder von Personen bestimmter „Ethnien“ etc.). Popku… | |
und politischer Diskurs sind voll davon. Hier sei nur an das eklatanteste | |
Beispiel der letzten Jahre erinnert, [2][das gesellschaftliche Debakel der | |
NSU-Ermittlungen.] Medien untersuchten das Thema kaum kritisch und die | |
Behörden waren der Blindheit ihres institutionellen Rassismus so weit | |
erlegen, dass sie viel zu lange auf Hypothesen einer Mafia-Mordserie | |
fixiert blieben. | |
## Neue Gesetze | |
Die Gesetzesänderungen seit den Duisburger ’Ndrangheta-Morden machen es den | |
Mafias in Deutschland etwas schwerer. Doch Vorsicht! Wenn nur | |
Verschärfungen des Strafrechts es richten sollen, dann wird autoritäres | |
Denken gefüttert. Das kann nicht unser Anliegen sein. | |
Eine gewisse Beschränkung typisch mafiöser Geschäfte ergibt sich aus den | |
Regelungen zur Geldwäsche, die in diesem Jahr auch aufgrund europäischer | |
Vorgaben zur Terrorbekämpfung deutlich verschärft worden sind. So müssen | |
Händler bei Bargeldzahlungen von mehr als 10.000 Euro ein | |
Identifikationsverfahren durchführen, um nicht dem Waschen von | |
Schwarzgeldern Vorschub zu leisten. Bei Identifizierungsfehlern drohen | |
Bußgelder; erkennt ein Händler leichtfertig nicht die kriminelle Herkunft | |
des Geldes, liegt sogar eine Straftat vor. | |
Deutlich verschärft hat der Gesetzgeber auch die Regelungen zur | |
Vermögensabschöpfung bei Straftaten, sodass es jetzt einfacher ist, | |
mutmaßlich kriminell erlangte Vermögenswerte einzuziehen. Bislang war die | |
Abschöpfung krimineller Gewinne in der Praxis recht kompliziert. Zugleich | |
wurde der Kreis der einzuziehenden Vermögenswerte erweitert. In Italien | |
wird die Vermögensabschöpfung schon lange massiv genutzt, um Immobilien, | |
Betriebe, aber auch etwa Luxusautos von Mafiosi zu konfiszieren und einer | |
zivilgesellschaftlichen Nutzung zuzuführen. Die EU gab den Mitgliedstaaten | |
auf zu prüfen, ob sie eine solche Umnutzung von Gütern von Kriminellen auch | |
in ihren nationalen Strafgesetzen vorsehen wollen. In Deutschland hat man | |
das italienische Modell bislang nicht übernommen. | |
## Mafia als kriminelle Vereinigung | |
Auch hat der Gesetzgeber die Schwelle für das Vorliegen einer kriminellen | |
Vereinigung im Sinne von § 129 StGB gesenkt. Bislang konnten viele Mafias | |
von der deutschen Strafjustiz nicht als kriminelle Vereinigung im | |
strafrechtlichen Sinne eingestuft werden. Ebenfalls aufgrund von | |
EU-Vorgaben ist dies nun geändert worden, sodass – jedenfalls nach Ansicht | |
des Bundesinnenministers – auch die Bekämpfung von Mafias erleichtert wird. | |
Allerdings hat die Gesetzesreform eine große Schwäche. Denn § 129 StGB | |
wurde immer wieder als Vehikel zur Bekämpfung politisch missliebiger | |
Gruppierungen genutzt. Die jetzt erfolgte Ausweitung dieser Norm lässt | |
befürchten, dass neben den Mafiosi auch viele andere Personen ohne echten | |
Grund in den Fokus der Strafverfolger geraten werden. | |
Die Anpassung deutscher Strafrechtsnormen an internationale Vorgaben ist | |
dennoch grundsätzlich zu begrüßen. Doch strafrechtliche Definitionen sollen | |
primär Basis und Grenze staatlichen Handelns sein; die | |
zivilgesellschaftliche Debatte ist daran nicht unhinterfragt gebunden. Zehn | |
Jahre nach Duisburg ist klar, dass Neues gedacht werden muss, neue | |
Begrifflichkeiten müssen erarbeitet werden. Nach politischer | |
Auseinandersetzung mag dann eines Tages auch das Strafrecht | |
weiterentwickelt werden. | |
## Mafia, Staat, Wirtschaft | |
Damit die deutsche Gesellschaft ihre Bedrohung durch Mafias angehen kann, | |
scheint uns als erster Schritt wichtig zu sein, deutlich zwischen Mafia und | |
organisierter Kriminalität zu unterscheiden. | |
Enzo Ciconte, führender italienischer Historiker der Mafias, definiert den | |
zentralen Aspekt von Mafia so: „Eine kriminelle Gruppe wird dann mafiös, | |
wenn sie Verbindungen in die Welt der Politik und in die Welt der | |
Wirtschaft unterhält. Ohne diese Verbindungen würde es sich vielleicht um | |
Gangster handeln, um Banditen oder um organisierte Kriminalität – aber | |
nicht um eine Mafia.“ | |
Der Begriff Mafia beschreibt also eine Schnittmenge von Politik, Wirtschaft | |
[3][und (organisierter) Kriminalität.] Diese Definitionsfrage hat enorme | |
praktische Relevanz: Nicht jede einzelne Aktivität einer Mafia ist auch | |
gleich eine Straftat. In der Summe aber können sich diese einzelnen (auch | |
legalen) Aktivitäten sehr wohl zu einer kriminellen Strategie verschränken: | |
Eine Wohnung zu kaufen ist legal, konnte aber beim bisher völlig | |
unkontrollierten Barkauf natürlich auch Geldwäsche darstellen. Müll zu | |
entsorgen, Wolkenkratzer zu bauen, Glücksspielautomaten zu haben, | |
Pflegedienste oder Krankenhäuser zu betreiben, Arzneimittel oder | |
Tropenhölzer zu verkaufen, wählen zu gehen – das sind alles nicht an sich | |
strafbare Handlungen. Aber es können eben Geschäftsgebiete einer Mafia | |
sein, etwa die Organisation von Wählerstimmen. | |
Und das andere, eher weniger legale Geschäftsgebiet, oft ausgeführt vom | |
sogenannten militärischen Arm der Organisation, kann zum Beispiel die | |
Einschüchterung von Wettbewerber_innen sein. Der Punkt ist: Den Aktivitäten | |
in den verschiedenen Bereichen unterliegt eine gemeinsame kriminelle | |
Strategie des Machtgewinns, die dann am besten noch von präzisen | |
Parteispenden abgerundet wird. | |
## Wir müssen reden | |
Ohne eine deutliche begriffliche Unterscheidung zwischen organisierter | |
Kriminalität (die aufgeregt diskutierten serienmäßigen Wohnungseinbrüche | |
zum Beispiel) und Mafias wird sich kein seriöser Diskurs entwickeln lassen. | |
Wenn wir der Einschätzung Enzo Cicontes folgen, dass Mafia die Schnittmenge | |
zwischen Politik, Wirtschaft und (organisierter) Kriminalität ist, dann | |
wird es keine Wahrnehmung des Phänomens geben [4][ohne den unabhängigen, | |
staatsfernen Blick durch Medien und Zivilgesellschaft.] Erst aus einer | |
differenzierten Wahrnehmung und Analyse kann menschenrechtsbasierte und | |
progressive politische Handlung werden, die die demokratische Kultur achtet | |
und fördert. | |
Darüber müssen wir in Deutschland reden, wenn wir ernsthaft und kritisch | |
über unsere Mafia reden wollen. Zehn Jahre nach Duisburg sollte klar sein, | |
dass bei allen wichtigen Erfahrungen der italienischen Gesellschaft im | |
Kampf gegen die Mafias der einfache Import historisch gewachsener | |
italienischer Modelle der Mafia-Bekämpfung der falsche Weg ist. | |
14 Aug 2017 | |
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## AUTOREN | |
Benno Plassmann | |
Martin Heger | |
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