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# taz.de -- Macron oder Le Pen?: Altlinke Schubladen
> Slavoj Žižek meint, eine Wahl zwischen Ultrarechts und Ultrazentrum sei
> keine Wahl. Das klingt nach der alten Rede vom „Nebenwiderspruch“.
Bild: Die Wahl zu boykottieren, ist auch keine Lösung
Die Politik ist zum Stillstand gekommen. Egal wen wir wählen, hinterher ist
die Welt in jedem Fall schlechter als vorher. Drum lasst uns vorübergehend
auf politische Partizipation verzichten und in Ruhe einen Plan schmieden,
der alle unsere Probleme löst.
So in etwa ließe sich [1][ein Essay] zusammenfassen, das der linke
Philosoph Slavoj Žižek für den britischen Independent geschrieben hat.
Darin argumentiert er: Eine Wahl zwischen radikalem Nationalismus und
radikalem Neoliberalismus sei keine Wahl. Da es keine realistische linke
Alternative gebe, appelliert Žižek: nicht wählen gehen, stattdessen an
einer linken politischen Vision arbeiten.
Der linksintellektuelle Popstar hatte schon zum US-Wahlkampf mit der
[2][These] provoziert, Clintons Kapitalismus sei schlimmer als Trumps
Chauvinismus. Für Žižek haben sich die Linken einlullen lassen von einem
Wohlfühl-Liberalismus, der eigentlich ein neoliberales Monster ist.
„Unsere Medien behaupten, die StichwahlkandidatInnen stünden für zwei
radikal gegensätzliche Visionen“, schreibt Žižek. In Wirklichkeit aber
hätten wir die Wahl – und zwar nicht nur in Frankreich – zwischen der
Rechten und einer apolitischen Mitte, die sich vor allem durch
„allumfassende Toleranz“ auszeichne, letztlich aber für genau jene Markt-
und Globalisierungsverliebtheit stehe, die uns die Rechten überhaupt erst
eingebrockt habe.
Es ist ein Teufelskreis, in den sich Žižek da argumentiert. Und er hat
nicht Unrecht: Linksliberale sehen sich gezwungen, zusammen mit
Rechtsliberalen die Trommel zu rühren für Macron, für Clinton, für Rutte,
für Merkels Willkommenskultur, weil die Alternative bedrohlich ist. Und was
haben sie zu gewinnen? Noch mehr freier Markt, noch mehr „Abgehängte“. Aber
ist die „gegensätzliche Vision“ wirklich nur Illusion? Das Problem mit
Žižeks Analyse ist, dass er der alten linken Vorstellung von „Haupt-“ und
„Nebenwiderspruch“ folgt: Fragen nach Antidiskriminierung und
Minderheitenrechten lenkten ab vom eigentlichen, dem ökonomischen Projekt.
Der Kampf gegen Rassismus und Sexismus ist politisch
„Es entsteht eine Partei, die für globalen Kapitalismus steht, gewöhnlich
mit relativer Toleranz in Sachen Abtreibung, Homosexuellenrechte, religiöse
und ethnische Minderheiten.“ Diese „relative Toleranz“ ist für Žižek
apolitisch, weil sie nichts mit dem Klassenkampf zu tun hat.
Der Kampf gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie ist aber längst eine
politische Frontlinie geworden, die ebenso wichtig und ebenso links ist wie
der Kampf gegen soziale Ungleichheit. Vielen Altlinken fällt immer noch
schwer, das zu akzeptieren.
Während Intellektuelle – und solche die es werden wollen – der Wahl
fernbleiben, um zu theoretisieren, sind Menschen vom Ausgang dieser Wahlen
unmittelbar betroffen. Die angesprochenen „ethnischen Minderheiten“ leiden
schon jetzt unter der rassistisch-nationalistischen Stimmung unter Trump.
Frauen und queere Menschen leiden in Polen unter der nationalkonservativen
Regierung.
Marine Le Pen wiederum steht nicht nur für Kontrolle der Außengrenzen,
sondern auch für Law-and-Order-Politik in den Banlieues und eine generelle
rassistische Misstrauenskultur. Das zu verhindern ist ebenso ein linkes
Projekt wie der Antikapitalismus. Das hindert natürlich niemanden daran,
beim Wählen seine Zähne zu Sand zu knirschen und hinterher an einer
politischen Vision für die Linke zu arbeiten. Denn die wird dringend
gebraucht. Aber bitte ohne die überholten Schubladen „Identitätspolitik“
und „Umverteilungspolitik“, sonst kann man’s auch lassen.
5 May 2017
## LINKS
[1] http://www.independent.co.uk/voices/french-elections-marine-le-pen-emmanuel…
[2] http://www.zeit.de/2016/45/hillary-clinton-donald-trump-positionierung-us-w…
## AUTOREN
Peter Weissenburger
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