# taz.de -- Machtkampf in der AfD: Tastaturhelden gegen die Heilsarmee | |
> Bernd Lucke bestreitet jegliche Absichten zur Spaltung der AfD. | |
> Kontrahentin Frauke Petry bleibt auf Konfrontationskurs. | |
Bild: Bis einer heult – oder auch nicht | |
STRASSBURG/DRESDEN/BERLIN taz | Die Runde der älteren Herren, die in die | |
„Association Parlementaire Européenne“ zum Frühstück geladen haben, ist | |
schweigsam. Sonst werden in den Kellergewölben des Straßburger | |
Parlamentsvereins rauschende Abgeordnetenfeste gefeiert, an diesem | |
Dienstagmorgen herrscht Katerstimmung. | |
Bernd Lucke starrt vor sich hin, Hans-Olaf Henkel macht, um die Wartezeit | |
zu überbrücken, Handyfotos von den reichlich versammelten Journalisten. | |
Joachim Starbatty und Bernd Kölmel nippen schweigsam an ihrem Kaffee. Ein | |
Weckruf sieht anders aus. | |
„Weckruf 2015“, so haben Lucke und sein Flügel ihren gerade gegründeten | |
Verein genannt. Luckes bisheriger Co-Sprecher Konrad Adam sieht sich spitz | |
„an die Zeugen Jehovas oder an die Heilsarmee“ erinnert, Gerüchte einer | |
Parteispaltung machen die Runde. Doch zunächst ist die Gründung des Vereins | |
vor allem ein kluger Schachzug. | |
Denn Luckes Message ist: Entscheidet sich der Bundesparteitag Mitte Juni | |
nicht für eine AfD in seinem Sinne, also nicht für eine „unideologisch, | |
sachlich, konstruktiv arbeitende Volkspartei für die Mitte“, wie es in der | |
Gründungserklärung heißt, wird er die Partei verlassen – und gemeinsam mit | |
seinen MitstreiterInnen eine neue gründen. Über 1.000 Mitglieder sollen den | |
Weckruf am Dienstagvormittag bereits unterschrieben haben. | |
## Die Einheit beschwören | |
Lucke erpresst also seine Partei, einerseits. Andererseits kann er weiter | |
öffentlich Pläne zur Spaltung der AfD bestreiten. Er plane weder die | |
Gründung einer neuen Partei noch betreibe er eine Initiative zum | |
Massenaustritt aus der AfD, sagt er am Dienstag in Straßburg, wo gerade | |
Sitzungswoche des EU-Parlaments ist und er und seine Mitstreiter sich | |
ohnehin aufhalten. Der Verein sei nichts als „der Versuch, die AfD zu | |
retten“. Dazu gehört auch, dass die Weckruf-Initiatoren Frauke Petry, | |
bislang dritte Co-Sprecherin neben Lucke und Adam, Führungsfigur des | |
rechten Lagers und Luckes gefährlichste Konkurrentin, auffordern, ihrer | |
Initiative beizutreten. | |
Weit entfernt von Lucke, im Sächsischen Landtag, betritt am | |
Dienstagvormittag Frauke Petry den Saal der Landespressekonferenz. Sie | |
beschwört die Einheit der Partei. Diese sei „voll handlungsfähig“ bei | |
intakten Strukturen – von Flügeln und Spaltungstendenzen will sie nichts | |
hören. „Wir brauchen keinen Weckruf!“, kanzelt sie den Vorstoß des | |
Lucke-Lagers ab: Gemeinsame Sache mit der Initiative will sie nicht machen. | |
Eine Spaltung der AfD komme nicht in Frage, höchstens eine | |
Parteineugründung von Lucke und Co. Als Gründungsmitglied der AfD aber | |
wisse sie, was das für eine schwierige Aufgabe sei. Und Lucke überschätze | |
die Zahl seiner Anhänger. | |
Damit spitzt sich die Auseinandersetzung im Vorfeld des Parteitags im Juni, | |
auf dem die AfD erstmals einen alleinigen Vorsitzenden bestimmen will, | |
weiter zu. Wie viele der Mitglieder stehen auf Luckes Seite? Wie viele | |
folgen dem Flügel um Petry und Gauland? Und: Wie viele der Mitglieder | |
verstehen überhaupt noch, worum es bei dem Machtkampf tatsächlich geht? | |
Seit Langem lodert der Streit zwischen dem neoliberalen Lager um Lucke und | |
dem noch rechteren Flügel, zu dessen Wortführern neben Petry der | |
nationalkonservative Brandenburger Gauland, die radikale Lebensschützerin | |
Beatrix von Storch und NRW-Landeschef Marcus Pretzell gehören. Alle | |
Kompromissversuche sind bislang gescheitert. | |
## Zu großes Spektrum | |
Vielleicht ist das Spektrum in der AfD schlicht zu groß. Es reicht vom | |
ehemaligen Chef des BDI, Hans-Olaf Henkel, Transatlantiker, | |
TTIP-Befürworter und Mitglied bei Amnesty International, über Alexander | |
Gauland, den bekennenden Nationalkonservativen und Russlandversteher, der | |
Pegida für die „natürlichen Verbündeten“ der AfD hält, bis hin zu Björn | |
Höcke aus Thüringen, der nicht alle Mitglieder der NPD als rechtsextrem | |
bezeichnen will. | |
Und doch: Das zerrüttete Verhältnis zwischen Lucke und Petry liegt nicht in | |
erster Linie an politischen Inhalten. Einwanderung, Abschottung, | |
Familienpolitik, Frauenbild: Würden Lucke und Petry sich sachlich | |
austauschen, sie wären nicht so weit voneinander entfernt. Lucke selbst | |
hatte nach der gescheiterten Bundestagswahl 2013 erkannt: Für den Erfolg | |
braucht die AfD Stimmen von rechts außen. | |
Er sendete entsprechende Signale, versuchte, Thilo Sarrazin für die Partei | |
einzuspannen. Mal sprach er von Einwanderern als „sozialem Bodensatz“, mal | |
von „entarteter Demokratie“. Und zugleich wollte er dennoch – viel | |
deutlicher als Petry und Gauland – eine klare Abgrenzung zu Parteien am | |
rechten Rand. | |
## AfD ohne Lucke? Warum nicht | |
Wichtig für den erbitterten Streit ist insofern auch Luckes Führungsstil. | |
Er begreift die AfD als seine Partei und führt sie auch so – als | |
gleichberechtigte Partnerin erkennt er Petry nicht an. Bereits abgestimmten | |
Positionen fügt er gerne noch etwas hinzu, Mails verschickt er, ohne sie | |
mit seinen Co-Sprechern abzustimmen. „Für ihn bedeutet Kompromiss, wenn er | |
seine Position durchsetzt und der andere nachgibt“, sagte Petry jüngst über | |
Lucke – und dem stimmen auch manche zu, die Lucke ansonsten schätzen. | |
Im Sächsischen Landtag hält sich Petry derweil alle Türen offen. Sie könne | |
die AfD auch weiter mit Lucke führen, sagt sie. Mehr noch: „Ich hätte auch | |
heute noch kein Problem, Bernd Lucke zu umarmen.“ Und wenn es gemeinsam | |
nicht weitergeht? „Lucke ist eine wichtige, aber nicht die einzige Person | |
in der Partei“, sagt Petry. Und: „Die AfD könnte notfalls auch ohne Lucke | |
bestehen.“ | |
Auch dieser gibt sich in Straßburg wenig kompromissbereit. Sein „Weckruf“ | |
sei wohl die letzte Chance für eine liberale wertkonservative Partei, die | |
nicht allen möglichen populistischen Positionen offenstehe, sagt er, und | |
keiner widerspricht. Lucke hat offenbar keinen Plan B, falls sein Verein | |
nicht genügend Widerhall findet. Sicher ist nur: Einer populistischen | |
Partei mit nationalen, völkischen und antiamerikanischen Stimmen will er | |
nicht vorstehen. Einzelne Personen, so heißt es, müssten aus der | |
Führungsriege weichen, um weiterzukommen. | |
Und so berichten Lucke, Henkel und Kölmel den Pressevertretern von den | |
Verwerfungen in der AfD. Es ist ein Hintergrundgespräch, direkte Zitate | |
sind nicht erlaubt, einzelne Aussagen dürfen keinen Personen zugeordnet | |
werden. Als der Name Frauke Petry fällt, bittet Lucke grinsend, mal eben | |
die Tür zu schließen. | |
Es sei zu einfach, heißt es in dieser Runde, den Konflikt auf das Schema | |
rechts oder links zu bringen. Von „Tastaturhelden“ ist die Rede, die | |
unflätig die Parteispitze angreifen, von schwer zugänglichen Dogmatikern | |
und irregeleiteten Wutbürgern. Lucke macht den Eindruck, als habe er die | |
Geduld mit dieser zusammengewürfelten Partei verloren und suche jetzt, zehn | |
Monate vor der nächsten Wahl, die Entscheidung. Den High Noon der AfD. | |
## Ehemals beste Chancen | |
Dabei hatte die AfD beste Ausgangsbedingungen, um sich rechts von der CDU | |
im Parteienspektrum zu etablieren: die Eurokrise, eine Drei-Prozent-FDP, | |
die in die Mitte gerückte CDU, die steigenden Flüchtlingszahlen. Dazu ein | |
seriöses Gesicht: der Wirtschaftsprofessor, der aus Sorge um Deutschland in | |
die Politik zog. Zwar verfehlte im September 2013 die Partei knapp den | |
Einzug in den Bundestag. Im Mai darauf aber zog sie mit sieben Abgeordneten | |
ins Europaparlament, im Herbst in die Landtage von Sachsen, Thüringen und | |
Brandenburg. Überfremdungsangst, Islamkritik und die Furcht vor Kriminellen | |
aus Osteuropa: Diese Themen sind in der AfD seitdem präsent. Der Erfolg gab | |
dem Flügel um Petry und Gauland Rückenwind. Lucke ist seitdem nicht mehr | |
das einzige Gesicht der AfD. | |
Doch welche Chance hätte die Partei ohne ihn? Bei Bundestagswahlen wohl | |
keine große. | |
Derweil wird hinter den Kulissen mit allen Mitteln gekämpft. Offenbar | |
sollte Luckes Weckruf vonseiten der anderen Vorstandsmitglieder verhindert | |
werden. Dem Parteichef selbst wurde am Montagabend der Zugang zum | |
Mailverteiler der Partei gesperrt. Sein Aufruf fand trotzdem den Weg zu den | |
Mitgliedern. | |
Am Freitag werden Lucke und Petry in Berlin aufeinandertreffen, zum ersten | |
Mal seit Wochen. Dann tagt der Bundesvorstand in der AfD-Geschäftsstelle. | |
Bleibt eine Annäherung aus, muss der Parteitag eine Entscheidung treffen. | |
Wie dort die Mehrheitsverhältnisse sein werden, ist schwer abzusehen. | |
Auch im Lucke-Flügel gibt es Zweifel, ob die Parteibasis den Konflikt an | |
der Spitze durchschaut und nicht Lucke und Henkel als die abgehobenen | |
Honoratioren wahrgenommen werden, die im fernen Straßburg eine Spaltung | |
versuchen. Es ist ein Aufbruch im Niemandsland. Ausgang ungewiss. | |
19 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
Michael Bartsch | |
Sabine am Orde | |
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