| # taz.de -- M23-Rebellenchef über Kongo: „Aufgezwungener Krieg“ | |
| > Im Osten des Kongo hat die Rebellenbewegung M23 wieder zu den Waffen | |
| > gegriffen. Ihr Präsident Bertrand Bisimwa erklärt, wovon Frieden abhängt. | |
| Bild: Flucht Richtung Goma vor dem wechselseitigen Artilleriebeschuss an der Fr… | |
| taz: Herr Bisimwa, diese Woche jährt sich [1][zum 10. Mal die Eroberung der | |
| ostkongolesischen Millionenstadt Goma] durch die von Ihnen geführte M23. | |
| Ihre Kämpfer besetzten die Stadt damals im November 2012 mehr als zehn | |
| Tage, dann zogen Sie sich zurück und es kam zu Verhandlungen mit der | |
| Regierung. Warum kämpft die M23 jetzt wieder? | |
| Bertrand Bisimwa: Wir haben uns nie entschieden, gegen das | |
| Tshisekedi-Regime zu den Waffen zu greifen. Wir verteidigen uns gegen den | |
| Krieg, den uns das Regime aufgezwungen hat. [2][Am 12. Dezember 2013 | |
| unterzeichneten wir ein Friedensabkommen] mit der Regierung, das neun Jahre | |
| lang nicht umgesetzt wurde. Als Präsident Felix Tshisekedi 2019 an die | |
| Macht kam, glaubten wir, dass er die in diesem Abkommen aufgeworfenen | |
| Probleme berücksichtigen würde. Wir versprachen ihm unsere Treue und | |
| entsandten eine Delegation nach Kinshasa, um ihm unsere Entscheidung zur | |
| bedingungslosen Kapitulation mitzuteilen. Tshisekedi schlug seinerseits | |
| vor, unsere Kämpfer in die Armee zu integrieren und drei Spezialeinheiten | |
| zu bilden, um punktuelle Sicherheitsaktionen im Osten des Landes | |
| durchzuführen. | |
| Nach 14 Monaten Vorbereitung der Vereinbarung bat er unsere Delegierten, in | |
| unser Hauptquartier in den Bergen zurückzukehren, während er auf die | |
| Logistik wartete. Zwei Wochen später startete die Armee Angriffe auf unsere | |
| Kämpfer, die an der Flanke des Sabinyo-Vulkans auf ihre Kapitulation | |
| warteten. Also wehren wir uns. | |
| Was sind historisch die Hauptgründe für Ihren Krieg? | |
| Die historischen Ursachen unseres Kampfes sind seit mehreren Jahrzehnten | |
| dieselben. Die schlechte Regierungsführung des Landes, in der die | |
| herrschende politische Elite ein System von Plünderung und Raub installiert | |
| hat und die einfachen Bürger verarmen. Die allgemeine Unsicherheit, | |
| verursacht durch bewaffnete Gruppen, die von den Führern fabriziert wurden, | |
| um die Rohstoffe illegal auszubeuten. Die Völkermord-Ideologie, die von den | |
| Verantwortlichen für den [3][Völkermord an den Tutsi 1994 in Ruanda] auch | |
| in der kongolesischen Bevölkerung verbreitet worden ist. Die Weigerung der | |
| Regierung, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die sichere Rückkehr | |
| unserer Flüchtlinge in das Land zu gewährleisten, deren Staatsbürgerschaft | |
| sie ihnen unter dem Vorwand verweigert, sie seien Ausländer. | |
| Unsere ruandophonen Landsleute leiden unter Diskriminierung, Hassreden und | |
| Fremdenfeindlichkeit. Das hat sich so weit verschärft, dass mittlerweile | |
| beispielsweise in der Provinz Maniema die Ruandophonen nicht mehr nur | |
| getötet werden, sondern auch ihr Fleisch als Essen serviert wird. | |
| Kongolesische Beamte, Politiker, Armee- und Polizeibeamte sowie Akteure der | |
| Zivilgesellschaft rufen die Menschen offen dazu auf, zu den Waffen zu | |
| greifen, um Ruandophone zu töten. Ihre Adressen werden auf Fernsehkanälen | |
| und in sozialen Netzwerken veröffentlicht und die Bevölkerung angestachelt, | |
| sie in ihren Häusern anzugreifen. | |
| Die Zahl der bewaffneten Gruppen ist von 44 im Jahr 2012 auf 185 im Jahr | |
| 2021 gestiegen. Unserer Bevölkerung wird in Nord-Kivu und in Ituri von | |
| einer islamistischen Terrorgruppe die Kehle durchgeschnitten. | |
| Warum wurden die Forderungen der M23 von Kongos Regierung nie aufgegriffen? | |
| Die Regierung hat den tatsächlichen Inhalt der Vereinbarungen, die wir 2013 | |
| gemeinsam unterzeichnen, nie offengelegt. Sie begnügte sich damit, uns | |
| Amnestie anzubieten, verzichtete jedoch darauf, die eigentlichen Ursachen | |
| der Konflikte anzugehen, wie es vorgesehen war. Sie verfolgt die klare | |
| Absicht, die öffentliche Meinung zu manipulieren und die Bevölkerung gegen | |
| uns aufzubringen, um sich von ihren Verpflichtungen zu lösen. | |
| Dieses Jahr ist Kongo der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) beigetreten. | |
| Die EAC schlägt jetzt neue direkte Verhandlungen zwischen Kongos Regierung | |
| und M23 vor. Was wären da Ihre Hauptforderungen? | |
| Wir fordern eine gute Regierungsführung im Land und das Ende der ethnischen | |
| Diskriminierung gegenüber uns Ruandophonen sowie die Errichtung einer | |
| Armee, die die Sicherheit aller kongolesischen Bürger sowie die sichere | |
| Rückkehr unserer Flüchtlingsfamilien in eine für sie sichere Heimat | |
| garantieren kann. | |
| Die Regierung weigert sich aber, mit M23 zu sprechen. Was passiert dann? | |
| Wenn die Regierung uns weiterhin Krieg aufzwingt, werden wir uns weiterhin | |
| verteidigen und unser Volk schützen. Wir werden Schritte unternehmen, um | |
| einen sicheren Raum für alle Kongolesen zu schaffen, einschließlich der | |
| Flüchtlinge, die ein friedliches Leben führen wollen. Das soll der | |
| Regierung von Kinshasa beweisen, dass ein sicherer Kongo möglich ist. | |
| Haben Sie Vertrauen in das Engagement der EAC? Sie bietet sich als | |
| Vermittler an und hat nun Truppen im Kongo stationiert, um einen | |
| Waffenstillstand zu garantieren. | |
| Wir haben Vertrauen in die EAC, weil die meisten Staaten, aus denen sie | |
| besteht, unsere Probleme gut kennen und wissen, was zu tun ist, um sie zu | |
| lösen. Wir fordern alle dasselbe, nämlich: Dialog und ein Ende des Krieges. | |
| Es wurden kenianische Truppen in Goma stationiert, auch ugandische Truppen | |
| sollen bald anrücken. Was ist Ihre Reaktion darauf? | |
| Wir werden keine militärischen Auseinandersetzungen mit ihnen anzetteln. | |
| Wir sind bereits damit zufrieden, dass die EAC und die Afrikanische Union | |
| und alle Staaten der Welt zu Verhandlungen zwischen uns und Kongos | |
| Regierung aufrufen. Das ist viel wichtiger. | |
| In den vergangenen Tagen sind die M23-Kämpfer aber weiter vorgerückt. | |
| Warum? | |
| Die FDLR (von ruandischen Völkermordtätern gegründete Miliz im Kongo) | |
| kollaboriert mit der kongolesischen Armee, um uns anzugreifen. Nicht erst | |
| seit heute, sondern schon lange. Die FDLR erhebt in diesen Gebieten Steuern | |
| bei der Bevölkerung, wie zum Beispiel in Tongo. Dort müssen die Bauern der | |
| FDLR Steuern zahlen, wenn sie auf ihre Äcker wollen. Wir haben nun die | |
| Gelegenheit genutzt, unsere Bevölkerung von diesem Joch zu befreien. | |
| Ihre Kämpfer stehen nun erneut vor Goma, wie schon 2012. Planen Sie die | |
| Stadt erneut einzunehmen, wenn die Regierung sich weigert zu verhandeln? | |
| Wir hatten eigentlich nie vor, die Kontrolle über ein Gebiet zu übernehmen, | |
| um es zu verwalten. Aber das Kräfteverhältnis am Boden zwingt uns oft dazu, | |
| die Langstreckengeschütze zu neutralisieren, die die Armee und deren | |
| verbündete Milizen gegen uns einsetzt. Damit beschießen sie dicht | |
| besiedelte Gebiete, die unter unserer Kontrolle stehen. | |
| Um Verhandlungen zuzustimmen, hat die Regierung die Bedingung gesetzt, dass | |
| die M23 sich von ihrem eroberten Gebiet zurückzieht. Sind sie dazu bereit? | |
| Ich glaube nicht, dass die Regierung dies erneut durchsetzen kann. Sie | |
| haben dies bereits 2012 als Bedingung gesetzt, und wir haben uns | |
| zurückgezogen und hatten dann nichts mehr. Dasselbe geschah im April dieses | |
| Jahres. Die kongolesische Regierung hat unseren Rückzug immer ausgenutzt, | |
| um sich in eine Position der Stärke zu versetzen und dann den Krieg neu zu | |
| starten, anstatt einen Dialog aufzunehmen. Aber die ganze Welt weiß, dass | |
| es keinen militärischen Ausweg gibt. Nur eine politisch initiierte, | |
| friedliche Lösung kann der Region dauerhaften Frieden bringen. | |
| 24 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Krieg-im-Ost-Kongo/!5078499 | |
| [2] /184-Tag-Kongo-Kriegsverbrecherprozess/!5052695 | |
| [3] /Finanzier-von-Ruandas-Voelkermord/!5880523 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| M23-Rebellen | |
| M23 | |
| Kongo | |
| Goma | |
| Ruanda | |
| GNS | |
| Kongo | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kämpfe im Osten Kongos: M23-Rebellen ziehen nicht ab | |
| Ein Ultimatum der Regierungen der Region an die M23-Rebellen verstreicht | |
| ergebnislos. M23 verlangt direkte Gespräche mit Kongos Regierung. | |
| Krieg mit M23-Rebellen in Kongo: Rebellen zielen auf Goma | |
| Die Rebellenbewegung M23 rückt im Osten Kongos auf die Millionenstadt Goma | |
| vor. Panik bricht unter Kriegsvertriebenen aus. | |
| Schwere Kämpfe im Ostkongo: Kongos Armee sucht die Entscheidung | |
| Kongo will die M23-Rebellen zerschlagen und Verhandlungen mit ihnen | |
| überflüssig machen. Doch die Rebellen schlagen zurück. | |
| Krise zwischen Kongo und Ruanda: Diplomatie gegen die Hitzköpfe | |
| Die Regierungen der Demokratischen Republik Kongo und Ruandas führen | |
| Gespräche, um ihre politische Krise zu lösen. Derweil landen in Goma | |
| Kampfjets. |