# taz.de -- Lokalpolitiker über Kurd:innen in Iran: „Mehrfache Unterdrückun… | |
> In Iran werden Kurd:innen als ethnische Minderheit, als Sunniten und | |
> als sozial Unterschicht diskriminiert. Das meint der Aktivist Civan | |
> Akbulut. | |
Bild: Protest mit Bild der mutmaßlich getöteten kurdischstämmigen iranischen… | |
taz: Die derzeitigen Proteste in Iran begannen in den kurdischen Gebieten. | |
Fand die Islamische Revolution 1979 auch unter Kurd:innen Unterstützung? | |
Civan Akbulut: Unter der Herrschaft des Schahs wurden die Kurd:innen | |
brutal unterdrückt: Sie wurden nicht als eigenes Volk anerkannt, das | |
kurdische Siedlungsgebiet wurde heruntergewirtschaftet und militarisiert. | |
Das damalige Regime fürchtete sich vor den Kurd:innen und handelte auch | |
entsprechend. Deshalb begrüßten die nach so vielen Jahren Leid, wie viele | |
andere auch, die Revolution – in der Hoffnung, dass damit die Unterdrückung | |
ein Ende finden würde. Ursprünglich war das auch keine islamische | |
Revolution, sondern eine Bewegung der breiten Masse, an der auch | |
Progressive beteiligt waren. Es war eine Revolution gegen den Schah, die | |
von allen getragen wurde, die unter ihm litten. | |
Wann kam das böse Erwachen? | |
Nachdem der Schah vertrieben wurde, ging es ganz schnell. Schon in den | |
ersten Tagen wurden die kurdischen Parteien verboten, die | |
Zwangsverschleierung wurde verkündet. Dagegen gab es Widerstand, aber der | |
wurde brutal zerschlagen. Damals hätte man bereits sehen können, in welche | |
Richtung das geht. Aber auch progressive Kräfte schauten erstmal weg. Auch | |
Linke und Liberale versuchten etwa Frauen mundtot zu machen. Denn der Kampf | |
gegen den Imperialismus, gegen die USA, schien ihnen damals wichtiger als | |
die Rechte von Minderheiten und Frauen – ein Trugschluss, diese Haltung | |
rächte sich schnell. Kritiker:innen wurden verhaftet, vertrieben, | |
ermordet – bis heute. | |
Weshalb wendeten sich Linke so gerne diesen anti-imperialistischen Ideen | |
zu? | |
Die Revolution und vor allem die Strukturen, die hinter dem heutigen Regime | |
stecken, haben diese Idee propagiert. Der Schah stand für den | |
Imperialismus, für den Westen, und die Menschen wollten eine andere Lösung, | |
eine Alternative. Da ging die Mehrheit mit. Aber als die Revolution dann | |
erfolgreich war, füllten die iranischen, radikal-schiitischen Strukturen, | |
die damals schon sehr stark waren, sofort das Macht-Vakuum. | |
Immer wieder gab es danach Aufstände der Kurd:innen gegen die Islamische | |
Republik. Woran sind sie gescheitert? | |
Schon zu Zeiten des Schahs waren die kurdischen Gebiete in Iran extrem | |
militarisiert. Alles wurde überwacht – selbst wenn man nur die Familie | |
besuchen wollte. An dieser Militarisierung wurde auch nach der Islamischen | |
Revolution festgehalten, weil die Unzufriedenheit dort ja nicht abgenommen | |
hatte. Das Regime war sich dieser Dynamik bewusst und sorgte sich um seine | |
Stabilität. Nicht ohne Grund befinden sich einige der wichtigsten | |
Gefängnisse des Iran in den kurdischen Gebieten. Immer wieder werden | |
kurdische Aktivist:innen und politische Personen getötet, im In- und | |
Ausland. Wer die kurdische Sprache lehrt, muss mit extremen Repressionen | |
rechnen. Andererseits ist es auch so, dass es verschiedene politische | |
Akteure in Ost-Kurdistan – dem kurdischen Teil des Iran – gibt, die | |
untereinander zerstritten sind. | |
Die Diskriminierung der Kurden äußert sich auch in der Bürokratie: Etwa, | |
dass Mahsa Amini offiziell nicht ihren kurdischen Namen, Jina, tragen | |
durfte. | |
Der Staat ist bewusst stark zentralistisch organisiert – alles läuft über | |
Teheran, man schafft bewusst eine ständige Abhängigkeit. Es geht darum, die | |
kurdischen Gebiete so unattraktiv wie möglich zu machen, sie in allen | |
Lebensbereichen weitestgehend zu isolieren. Iran verfährt nach dem Motto: | |
Du darfst kurdisch sein, aber sobald du dich als eigenständiges Volk | |
definierst, hast du ein Problem. Iran sieht sich als Vertreter Gottes auf | |
Erden und da ist das Verständnis von Rechten ein ganz anderes: Die Kämpfe | |
der Kurd:innen werden als unislamisch gesehen – denn sie schwächen ja den | |
Staat, der sich als Sprecher Gottes auf Erden versteht. Iran möchte erst | |
gar keinen Anschein von Rechtsstaatlichkeit wahren. | |
Ein Grund, weshalb die Proteste gerade in den kurdischen Gebieten so stark | |
sind? | |
Kurd:innen werden im Iran mehrfach unterdrückt. Einerseits, weil sie eine | |
Minderheit sind, aber auch, weil sie mehrheitlich dem sunnitischen Islam | |
angehören. Es ist aber auch eine Klassenfrage: Kurd:innen gehören zu den | |
ärmsten Gruppen des Landes. Als kurdische Person ist man immer von dieser | |
Mehrfach-Diskriminierung betroffen und kann sich dieser kaum entziehen. | |
Deshalb ist vor allem in den kurdischen Gebieten der Hass, die Abneigung | |
gegen das Regime besonders groß ist. Im Fall von Jina Mahsa Amini kommen | |
diese Faktoren zusammen – als Kurdin, Frau und Studentin vereint sie jene, | |
die mit dem Regime brechen wollen. Denn es ist in seinen Grundfesten | |
unterdrückerisch, frauenfeindlich, queerfeindlich und anti-kurdisch. | |
Die Islamische Republik ist also nicht reformierbar? | |
Ja, und genau deshalb geht es den Protestierenden aktuell nicht darum, | |
einige wenige Zugeständnisse zu bekommen. Die Menschen wollen endlich | |
selbst über sich bestimmen können. Das Regime steht und fällt zum Beispiel | |
mit der Zwangsverschleierung, weil sie symbolisch für diese Unterdrückung | |
steht. | |
Was können westliche Staaten tun, um die Protestierenden zu unterstützen? | |
Es reicht nicht aus, Iran nur mit Sanktionen zu fluten – diese erreichen | |
das Regime ohnehin kaum. Stattdessen müssen wir im Westen ernsthaft | |
solidarisch sein mit den Protestierenden. Wir müssen uns darum bemühen, die | |
Kämpfe, die aktuell in Kurdistan und ganz Iran geführt werden, zu | |
verstehen. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn das Regime in Deutschland und | |
Europa Politik macht. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn das Regime im | |
eigenen Land Menschen ermordet, nur weil sie eine andere Meinung haben. | |
Leider war Iran lange Zeit kaum relevant, auch bei Linken. | |
Es gab einen sehr verschwommenen Diskurs über den „Globalen Süden“, der | |
Kritik an islamischen Staaten kaum zuließ. Dieser Diskurs hat dazu geführt, | |
dass Solidarität fehlt. Es hat lange gedauert, bis viele im Westen | |
verstanden haben: Gegen das iranische Regime zu sein, ist legitim. Gegen | |
Zwangsverschleierung zu sein, ist legitim. Und es ist ein Skandal, dass das | |
im linken Kontext lange Zeit ignoriert wurde. Es ist wichtig, genau darüber | |
jetzt zu reden. | |
24 Oct 2022 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
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