# taz.de -- Literaturverfilmung „Kruso“: Utopie, also unausführbar | |
> Die ARD zeigt die Verfilmung von Lutz Seilers preisgekröntem Roman | |
> „Kruso“. Für die Magie müssen die Schauspieler sorgen. | |
Bild: Kapitän der DDR-Aussteiger: Kruso (Albrecht Schuch) | |
1989 ist ja nicht nur die DDR untergegangen, sondern mit ihr auch das eine | |
oder andere Idyll. Sven Regeners Erfolgsroman „Herr Lehmann“ schließt mit | |
der Maueröffnung und der Ahnung vom Ende Kreuzbergs als Zufluchtsort für | |
westdeutsche Lebenskünstler. | |
Von einem anderen Idyll und seiner Abwicklung, von den letzten Tagen einer | |
DDR-eigenen Zuflucht für ostdeutsche Lebenskünstler auf der Insel Hiddensee | |
handelt Lutz Seilers 2014 mit dem Deutschen Buchpreis dekorierter „Kruso“, | |
der nun so unweigerlich verfilmt werden musste – in Litauen, nicht etwa auf | |
Hiddensee – wie zuvor „Herr Lehmann“. Wie Herr Lehmann verdienen auch die | |
beiden „Kruso“-Protagonisten ihre wenigen Brötchen mit einem Job in der | |
Gastronomie. | |
Lutz Seilers Prosa-Debut war das eines Lyrikers. Nicht nur aufgrund seiner | |
poetischen Sprache und weil in dem Buch Georg-Trakl-Gedichte gelesen | |
werden. Vor allem kann es so eine Figur wie Kruso auf dieser Welt, in der | |
Realität eigentlich nicht geben (auch wenn viele in ihm Aljoscha Rompe | |
erkennen wollten, den verstorbenen Sänger der „Rammstein“-Vorgängerband | |
„Feeling B“). Kruso heißt in der Roman-Wirklichkeit Krusowitsch, wäscht am | |
Tag die Teller in einem Ausflugslokal und betätigt sich am Abend als | |
Fluchthelfer der anderen Art. | |
Er schart DDR Abtrünnige, sogenannte „Schiffbrüchige“ um sich, nicht um s… | |
bei ihrem Vorhaben zu unterstützen, in die real existierende Freiheit nach | |
Dänemark zu schwimmen, sondern um sie davon abzubringen. Mit drei Tagen | |
Büchern, Suppe, Alkohol, Musik und FKK – und mit einer wage ausgeführten | |
Utopie von der inneren Freiheit in der äußeren Unfreiheit. Die eine Utopie | |
ist und also: unausführbar. | |
Deshalb kommt es, wie es kommen muss. Mit der Öffnung der Grenzen gehen dem | |
Guru die Jünger aus. Nur einer bleibt: Wie Defoes Crusoe hat auch sein | |
Wiedergänger einen treuen Gefährten an seiner Seite – einen | |
Seelenverwandten im Trauma gar: Kruso hat seine Schwester, sein Schüler Ed | |
die Freundin verloren, beide wissen nicht sicher, ob durch Unfall oder | |
Suizid. | |
Seilers Roman wurde gelegentlich eine Nähe zum Magischen Realismus | |
attestiert – exemplarisch ist da eine Episode, in der Ed und Kruso aus dem | |
Küchenabfluss den „Lurch“ fischen, ein fantastisches Fabelwesen, das sie | |
feierlich beerdigen. Wie kann man das filmen? Ein Guillermo del Toro | |
(Goldener Löwe und vier Oscars für „The Shape of Water“) hätte da keine | |
Hemmungen, ein Fabelwesen zu zeigen. | |
Ein Thomas Stuber, der die Regie tatsächlich besorgt hat (Drehbuch: Thomas | |
Kirchner), weil del Toro natürlich nicht fürs deutsche Gebührenfernsehen zu | |
haben ist, präsentiert das, was nun einmal zum Vorschein kommt, wenn man | |
einen Abfluss lange nicht sauber gemacht hat: ein so ekliges wie profanes | |
Knäuel aus Haaren und Dreck und Fett. Für die Magie müssen die Schauspieler | |
(Albrecht Schuch als Kruso; Jonathan Berlin als Ed) alleine sorgen, und sie | |
tun das mit einem entrückten Gesichtsausdruck, den sie über die gesamte | |
Länge des Films kaum je ablegen. | |
Im Falle von Schuch liegt der Vergleich mit der Rolle auf der Hand, die er | |
erst vor zwei Tagen in einem ZDF-Krimi („Der Polizist und das Mädchen“) | |
verkörpert hat, nicht nur wegen der wechselnden Bart-Mode. Als | |
unfallflüchtigem Polizisten, der in eigener Sache ermittelt, steht ihm der | |
Druck da dauerhaft ins Gesicht geschrieben. Vielleicht wird Schuch | |
branchenintern als Spezialist gehandelt, wenn es gilt, ganze Spielfilme mit | |
nur einem Gesichtsausdruck zu wuppen? | |
## Stasi-Mann als läppische Knallcharge | |
Auch Thomas Stuber bleibt sich treu als Regisseur, dessen Anliegen es – | |
nicht – ist, hart ins Gericht zu gehen: nicht etwa mit den Ostdeutschen von | |
heute und ihrer Neigung zu AfD und Pegida („In den Gängen“); nicht etwa mit | |
der DDR von damals und ihren offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern: | |
Der Stasi-Mann auf Hiddensee erscheint bei ihm als läppische Knallcharge, | |
als harmlose Karikatur eines Beamtenarschs, der nur sein armseliges kleines | |
Bisschen Macht auskosten will. Sein Darsteller Andreas Schröders legt ihn | |
beinahe 1:1 so an wie den Verkehrspsychologen in „Oh Boy“. Nur dass ein | |
Stasi-Mann eben kein Verkehrspsychologe war und einen mehr kosten konnte | |
als den Führerschein. | |
Apropos „Oh Boy“ und weil bereits von Seelenverwandten die Rede war: Die | |
traumwandlerische Unsicherheit, mit der Niko Fischer in „Oh Boy“ durch | |
Berlin geht wie vor ihm Frank Lehmann (wie beiden jegliche – entrückte – | |
„Kruso“-Prätention abgeht), macht auch sie zu Seelenverwandten. Ach, hätte | |
die ARD nicht eine Verfilmung von Regeners „Der kleine Bruder“ oder „Wien… | |
Straße“ in Auftrag geben können? | |
26 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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