# taz.de -- Linken-Politikerin über Studi-Hilfen: „Die 100 Millionen sind Sy… | |
> Etwa 700.000 Studierende stehen ohne Nebenjob da. Reicht die angekündigte | |
> finanzielle Unterstützung aus? Nicole Gohlke von der Linkspartei ist | |
> skeptisch. | |
Bild: Studierende in der Bredouille: Nicht alle Studentenjobs können im Homeof… | |
## taz: Frau Gohlke, Union und SPD haben sich am Donnerstag auf zinslose | |
Darlehen für Studierende im Umfang von 650 Euro und einen | |
100-Millionen-Euro-Nothilfefonds geeinigt. Ein Lichtblick? | |
Nicole Gohlke: Ich finde das wirklich ernüchternd. Ich hatte mir mehr | |
erhofft, nachdem die SPD vergangene Sitzungswoche Widerstand angekündigt | |
hat. Die 100 Millionen Euro sind vielmehr Symbolik, damit die SPD irgendwie | |
davonkommt. Dass die Bildungsministerin sich über sämtliche Stimmen aus der | |
Hochschullandschaft hinwegsetzt, ist schockierend. | |
## Welche Stimmen meinen Sie? | |
Es gibt kaum Akteure, die keine Nothilfen fordern und die nicht auf die | |
finanzielle Notlage vieler Studierender und deren Konsequenzen hinweisen. | |
Ein Studienabbruch ist keine Lappalie. Das sind nicht nur die Linken oder | |
Studierendenverbände, sondern sogar die Junge Union und die | |
Hochschulrektorenkonferenz, die [1][finanzielle Soforthilfe] fordern. Das | |
zeigt ja, dass wir es hier mit einem echten Breitenproblem zu tun haben. | |
## Hessen und Saarland haben eigene Nothilfeprogramme für Studierende | |
gestartet, in Hessen war der Nothilfefonds nach zwei Tagen leer. | |
Ich finde das gut, dass symbolisch überhaupt was getan wird. Aber das | |
Problem ist doch Folgendes: Unser Bildungs- und Hochschulsystem ist | |
chronisch unterfinanziert. Das tritt durch die aktuelle Corona-Krise nun | |
verstärkt hervor. Schon vor der Krise war hier alles auf Kante genäht. Das | |
BAföG erreicht viele Studierende nicht. Für die, die es erreicht, ist es in | |
der Regel nicht existenzsichernd. Wie im Gesundheitssystem trifft man auch | |
im Hochschulwesen auf eine ziemlich marode Struktur, in der jetzt zuerst | |
die durchs Raster fallen, die sich ohnehin nur mit Schwierigkeiten den | |
Platz im System erkämpft haben. Wir stehen vor einer hochschulsystemischen | |
Krise, in der es jetzt nicht nur um finanzielle Soforthilfe geht. | |
## Sondern? | |
Beispiel Online-Lehre: Eine [2][Umstellung auf Online-Vorlesungen] ist | |
nicht von heute auf morgen möglich. Ich habe die letzten Wochen mit | |
Studierendenvertretungen aus der ganzen Republik telefoniert – da gibt es | |
große Sorgen seitens der Studierenden. Wer beispielsweise in Bautzen oder | |
Berchtesgarden wohnt, wo das Netz nicht so toll ausgebaut ist, kann an der | |
Online-Lehre nicht partizipieren. Gleiches gilt für die, die ihre Kinder | |
momentan zuhause betreuen müssen. | |
## Wie könnte diesen Studierenden geholfen werden? | |
Ein „Kann-Semester“ könnte zumindest den Druck auf die Studierenden | |
lockern. Prüfungen könnten dann beispielsweise freiwillig geschrieben und | |
Abgabefristen nach hinten verschoben werden. Auch diesbezüglich äußert sich | |
das Ministerium nicht. Wir stehen vor Problemen, die wir grundlegend – auch | |
über Corona hinaus – anpacken müssen. | |
## Wie zum Beispiel eine BAföG-Reform? Im vergangenen Jahr wurden mehr als | |
900 Millionen Fördermittel nicht abgerufen, gleichzeitig beziehen nur 12 | |
Prozent der 2,9 Millionen Studierenden BAföG. Was zeigt uns das? | |
Die Förderquote der BAföG-Empfänger ist weiter gesunken. Die BAföG-Reform | |
2019, die auch die SPD sehr gepriesen hat, konnte nicht greifen: Die | |
Bedarfssätze und Freibeträge wurden nicht ausreichend erhöht. Dadurch | |
wurden im Bundeshaushalt mehr Mittel eingestellt, als ausgegeben wurden. | |
Wir schlagen vor, diese Mittel als Sofort-Hilfe für Studierende zu nutzen. | |
## Wie könnte eine gerechtere BAföG-Förderung aussehen? | |
Wir hantieren beim BAföG die ganze Zeit mit Regelsätzen, die nicht | |
bedarfsdeckend und willkürlich festgesetzt sind. Man müsste sich an einem | |
Existenzminimum orientieren und die Förderung daran anpassen. Warum geht | |
man beim Hartz IV-Satz beispielsweise von Unterkunftskosten aus, die sich | |
an reale Mietkosten annähern, beim BAföG jedoch nicht? | |
Die Ausgaben erhöhen sich ständig durch Inflation und Preissteigerungen. | |
Wir brauchen ein BAföG, dass dynamisch darauf reagiert und sich nicht an | |
realitätsfernen Regelsätzen orientiert. Leider waren Hochschulthemen jedoch | |
nie die Top-Themen in der Diskussion. Vielleicht wird sich das jetzt | |
ändern. Ich bin beeindruckt, mit welcher Vehemenz sich viele | |
Hochschulakteure momentan zu Wort melden. | |
## Wie kommt es, dass die Belange Studierender so wenig Gehör finden? Es | |
hat ja schon lange gedauert, bis die Ministerin sich überhaupt zur | |
Situation Studierender in der aktuellen Corona-Krise geäußert hat. | |
Ich habe das Gefühl, dass sich dadurch ein Diskurs abbildet, der nicht | |
unbedingt neu ist. In den letzten Jahren gab es eine Art | |
Akademiker-Bashing. Ganz offensiv formuliert von der extremen Rechten, als | |
eine Wissenschafts- und Akademikerfeindschaft. Studierende und | |
Wissenschaftler werden in solchen Diskursen oft als verzogene, urbane | |
Städter dargestellt. An ganz vielen Ebenen geht diese Debatte aber fehl. | |
Studieren ist mittlerweile der Hauptausbildungsweg. Über 60 Prozent eines | |
Jahrgangs fangen ein Studium an. Das liegt natürlich auch daran, dass sich | |
viele dadurch mehr Karriereoptionen und ein halbwegs sicheres Einkommen | |
erhoffen. Hinzu kommt aber auch, dass die Berufswelt immer weiter | |
akademisiert wird – von der Hebamme bis zum Mechatroniker. Die Wirtschaft | |
fragt das auch nach. | |
Studieren ist mittlerweile keine elitäre Angelegenheit mehr wie vor 150 | |
Jahren, sondern eine Breitengeschichte. Natürlich tun sich Kinder von nicht | |
akademischen Eltern schwerer damit, reinzukommen und einen Abschluss zu | |
machen. Aber klar ist doch: Wenn ich möchte, dass jeder studieren kann und | |
dass soziale Gründe dies nicht verhindern, dann muss ich Instrumente | |
finden, wie ich das ermögliche – vor allem in der derzeitigen Corona-Krise. | |
2 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Luisa Kuhn | |
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