# taz.de -- Linke und Israel: Zwingende Prinzipien | |
> Ja, an der Politik Israels ist aus progressiver Sicht viel zu | |
> kritisieren. Aber unumstößliche Bedingung ist, das Existenzrecht Israels | |
> anzuerkennen. | |
Bild: Aufstehen gegen Terror, Hass und Antisemitismus. Eine Solidaritätskundge… | |
Schon in den ersten Tagen nach dem bestialischen Terrorangriff der Hamas | |
auf israelische Zivilist*innen wurde deutlich, wie unterschiedlich | |
linke Bewegungen auf den 7. Oktober und den Krieg gegen die Hamas blicken. | |
Die diametral gegensätzlichen Positionen der internationalen und der | |
deutschen Sektion von Fridays for Future zeigen dies eindrücklich. Es ist | |
legitim, zu diesem Konflikt sehr unterschiedliche Positionen einzunehmen. | |
Und doch gibt es Prinzipien bei der Beschäftigung mit dem Nahostkonflikt, | |
die für alle progressive Bewegungen zwingend sein sollten. Das gilt erst | |
recht, wenn sie für sich in Anspruch nehmen, kluge Zukunftskonzepte zu | |
vertreten, und sich grundsätzlich für Frieden einsetzen. Für uns gehören im | |
Folgenden diese zwingenden Prämissen zum diskursiven Rahmen mit Blick auf | |
den Nahostkonflikt: | |
Auf der grundlegenden Ebene gehört dazu eine universalistische Haltung, die | |
Israelis und Palästinensern gleichermaßen mit Mitgefühl begegnet. Daraus | |
folgt für uns das Gebot der Humanität, also vor politischen Äußerungen – | |
insbesondere, wenn sie erstmals nach dem 7. Oktober artikuliert werden – | |
[1][zunächst den Opfern und ihren Angehörigen sein Mitgefühl auszusprechen] | |
und den Terror der Hamas klar zu verurteilen: | |
Die Hamas hat Kinder gefoltert, Leichen verstümmelt, Hunderte Menschen auf | |
einem Festival hingerichtet und niedergemetzelt, | |
Friedensaktivist*innen entführt. Die Hamas ist keine | |
Befreiungsorganisation, sondern eine faschistische Bewegung, die | |
Meinungsfreiheit, LGBTQIA*-Rechte, Frauenrechte, Demonstrations- und | |
Pressefreiheit brutal unterdrückt und zu deren Kern seit ihrer Gründung der | |
Antisemitismus zählt. | |
Vor diesem Hintergrund macht [2][die Stellungnahme des autonomen Berliner | |
Hausprojekts „Rigaer Straße“ vom 1. November sprachlos]. Die Hamas-Morde an | |
den Festivalteilnehmer*innen als Weg zur Befreiung auszulegen, muss | |
man erst einmal hinkriegen. Dass man sein Menschsein nicht über Bord werfen | |
muss, um Israel zu kritisieren, [3][zeigt hingegen die Interventionistische | |
Linke Berlin]: Sie demonstriert, dass die unmissverständliche Verurteilung | |
der Gräueltaten und die Distanzierung von der Hamas ohne Probleme mit einer | |
harten Kritik am Vorgehen der israelischen Armee und der Siedlungspolitik | |
im Westjordanland vereinbar sind. | |
Der Nahostkonflikt wird von sehr vielen linken Organisationen durch die | |
historischen und analytischen Linsen der postkolonialen Theorie betrachtet. | |
Das ist aus vielen Gründen schwierig, vor allem aber ist es ahistorisch. | |
Und gleichermaßen mutet es ironisch an, war es doch deren Errungenschaft, | |
die kolonialen Unterdrückungsmechanismen aus den verstaubten Archiven | |
herauszuholen und ihre heutigen politischen Implikationen zu verdeutlichen. | |
Der Nahostkonflikt zeigt indes, dass sich der Postkolonialismus gut für | |
Geschichtsklitterung und Antisemitismus eignet. Dadurch fällt hinten | |
runter, dass Jüdinnen und Juden dasselbe historische Anrecht haben, in der | |
Region zu leben wie Palästinenser*innen. Juden werden gleichgesetzt mit | |
weißen europäischen Eroberern, die unermessliches Leid in die Länder | |
Amerikas, Afrikas und Asiens gebracht haben. Doch wer diese Parallele | |
zieht, negiert die Geschichte des jüdischen Volkes und des Nahen Ostens vor | |
und nach 1947. | |
## Zuwanderung seit Ende des 19. Jahrhunderts | |
In den heute völkerrechtlich anerkannten Gebieten Israels leben seit | |
tausenden Jahren Jüdinnen und Juden. Eine erste größere Zuwanderung | |
aufgrund der Pogrome im zaristischen Russland Ende des 19. Jahrhunderts | |
erfolgte weitestgehend friedlich durch Landkäufe von der ansässigen | |
Bevölkerung. Zudem sind die meisten der heute in Israel lebenden Jüdinnen | |
und Juden Nachfahren der Juden, die nach 1948 aus Ländern wie Syrien, | |
Ägypten und dem Irak vertrieben wurden, obwohl sie dort hunderte Jahre | |
gelebt hatten. | |
Am Handeln des Staates Israel gab und gibt es zu Recht viel zu kritisieren | |
– nicht erst, aber insbesondere seit der aktuellen ultranationalistischen | |
Regierung Netanjahu. Aus progressiver und menschenrechtlicher Sicht muss | |
man die Politik des Staates Israel kritisieren: so die jahrelange Blockade | |
des Gazastreifens, die diskriminierende Politik gegenüber der arabischen | |
Bevölkerung in Israel und die völkerrechtswidrige Besatzung und brutale | |
Siedlungspolitik im Westjordanland. Hier muss sich Israel mit den gleichen | |
Maßstäben messen lassen, die wir an die Politik anderer Staaten anlegen. | |
Nicht weniger, aber auch nicht mehr. | |
## Nicht überlebensfähig ohne Unterstützung | |
Die Anerkennung des Existenzrechts Israels ist dabei die Prämisse, von der | |
aus diese Kritik entspringen muss. Dieses Recht zu negieren, bereitet die | |
Grundlage für eine Entmenschlichung der israelischen Zivilbevölkerung und | |
für die Rechtfertigung der Morde und Hinrichtungen von mehr als 1.400 | |
Menschen. Die Anerkennung des Existenzrechts Israels sollte deswegen für | |
linke Bewegungen, die sich auf das Völkerrecht berufen, eine | |
Selbstverständlichkeit sein. Das gilt vor allem angesichts der Tatsache, | |
dass die Gründung des Staates auf einen Beschluss der UN-Vollversammlung | |
von 1947 zurückgeht. Dass es den dazu korrespondierenden palästinensischen | |
Staat noch nicht gibt, ist unverzeihlich. Dennoch wäre es historisch | |
einseitig, im Hinblick auf die Geschichte seit 1947, die Verantwortung | |
dafür allein Israel anzuhängen. | |
Nichtsdestoweniger haben vermeintlich progressive Organisationen kein | |
Problem damit, die sofortige Beendigung jeglicher US-amerikanischer Hilfe | |
für Israel zu fordern. Stillschweigend erkennen sie Israel damit de facto | |
das Existenzrecht ab. Ohne militärische und finanzielle Unterstützung – | |
insbesondere durch die USA – wäre Israel nicht überlebensfähig in | |
Anbetracht der offenen Feindschaft von Ländern wie dem Iran und den von ihm | |
unterstützten Terrormilizen wie der Hisbollah. Und ohne die frühere Hilfe | |
hätte Israel die vergangenen Kriege verloren und würde heute nicht mehr | |
existieren. | |
Astrid Deilmann ist seit 2022 geschäftsführende Vorständin bei Campact. | |
Felix Kolb gehört zu den Mitbegründern von Campact und ist seit 2008 | |
geschäftsführender Vorstand. | |
25 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Motive-der-Hamas/!5969587 | |
[2] https://www.jungewelt.de/artikel/462378.zum-kontext-eines-asymmetrischen-kr… | |
[3] https://interventionistische-linke.org/beitrag/zum-krieg-israelpalaestina | |
## AUTOREN | |
Felix Kolb | |
Astrid Deilmann | |
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