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# taz.de -- Solidarität mit Palästinensern: Mit vereinter Kraft
> Protest und Kritik zu verbieten hilft niemandem, denn Juden und
> Palästinenser ziehen am selben Strang. Solidarität mit den Palästinensern
> ist notwendig.
Bild: Protest gegen die Kämpfe im Gazastreifen in Berlin, 18.11
Viele jüdische Menschen in Deutschland haben sich in den letzten Wochen der
extremen Gewalt in Israel und im Gazastreifen nicht nur mit den
israelischen Opfern, sondern auch mit den Palästinensern solidarisch
gezeigt, sei es als Einzelpersonen oder im Kollektiv. Sie haben an
Demonstrationen teilgenommen, [1][offene Briefe] unterschrieben und
öffentlich Stellung bezogen.
Damit stießen sie nicht selten auf das Unverständnis derer, die die
Solidarität der Juden mit den Palästinensern ablehnen und die ihnen
vorwerfen, sie seien blind für den Antisemitismus oder würden sogar mit ihm
kollaborieren. Hier soll erklärt werden, warum Solidarität mit den
Palästinensern heute für den Kampf gegen [2][Antisemitismus] notwendig ist.
Vor 80 Jahren verübte Deutschland einen Völkermord am jüdischen Volk, die
schlimmste antijüdische Gewalt der Geschichte. Das heutige Deutschland
versteht sich als ein neues Deutschland. Dazu gehört die grundsätzliche
Verurteilung der eigenen antijüdischen Vergangenheit, tiefgreifende
Selbstkritik und Reue. Aus diesem Selbstverständnis resultiert ein
kompromissloser Kampf gegen den Antisemitismus. Das ist lobenswert und
vermutlich beispiellos in der Geschichte der Nationen.
Die in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen sind dankbar dafür. In
Deutschland gibt es heute zwei zentrale Ursachen für Antisemitismus. Das
größte Problem ist das Fortbestehen starker rechter, rassistischer und
antisemitischer Meinungen und Bewegungen. Ein Rassismus, der sich bereits
als tödlich erwiesen hat, wie bei den Anschlägen in Hanau und in Halle. Er
richtet sich sowohl gegen Juden als auch gegen die „neuen Semiten“, die
Migranten: Araber, Türken, Afrikaner, Muslime.
## Israel-Kritik und Judenfeindlichkeit
In der Ära Angela Merkels hat Deutschland der Welt ein bewundernswertes
moralisches Vorbild gegeben, indem es Flüchtlinge aufgenommen hat.
Gegenwärtig erleben wir eine Gegenreaktion, die sich in der aktuellen
Zunahme rechter, [3][einwanderungsfeindlicher Meinungen in AfD-Kreisen],
aber auch in der CSU und anderen Parteien zeigt.
Das zweite Problem ist, dass der anhaltende israelisch-arabische Konflikt
im Nahen Osten Wut und Hass erzeugt: Juden gegen Araber, Araber gegen
Juden. Hintergrund dieser Gefühle ist ein regionaler, politischer Kampf.
Doch der Hass wird auf beiden Seiten oft rassistisch, islamophob,
antisemitisch, und er reicht weit über den Nahen Osten hinaus. In Zeiten
extremer Gewalt und Kriege führt berechtigte Kritik und Protest gegen
Israel auch zu ungerechtfertigten Anfeindungen gegen Juden.
Deutschland duldet dies nicht und schützt Juden und Jüdinnen, was
lobenswert ist. In Zeiten politischer Turbulenzen, wie der gegenwärtigen
Gewalt in Israel und dem Gazastreifen, kann die extreme Sensibilität von
Behörden und Institutionen allerdings zu ungerechtfertigter Zensur und
Verletzung von Grundrechten führen. Dies war der Fall bei dem Verbot von
Solidaritätskundgebungen mit den Palästinensern, das inzwischen von den
deutschen Gerichten sogar für verfassungswidrig erklärt wurde.
Das ist auch der Fall bei der [4][Kriminalisierung von Slogans] wie
„Gleichheit und Freiheit zwischen Fluss und Meer“ oder dem Verbot von
Symbolen wie dem Palästinensertuch. Ein weiteres Beispiel sind Ausschlüsse
von palästinensischen Künstlern und Intellektuellen, die nicht
antisemitisch sind. Abgesehen von der Beeinträchtigung der Demokratie und
der Menschenrechte führen diese repressiven Maßnahmen zu einer
Stigmatisierung von Arabern, Muslimen und Palästinensern als antisemitisch,
und diese Stigmatisierung nimmt oft rassistische Züge an.
## Sie weigern sich, Feinde zu sein
Diese rassistische Stigmatisierung wird von rechten Parteien und Akteuren
instrumentalisiert, um Araber, Palästinenser und andere Gruppen von
Einwanderern und Flüchtlingen zu verunglimpfen und zu diskriminieren. Dies
ist der Grund, warum sich rechtsextreme Politiker jetzt als Verfechter des
Kampfes gegen Antisemitismus präsentieren. Diese Konsequenz ist besonders
unheilvoll, da hier der Kampf gegen den Antisemitismus instrumentalisiert
wird, um rassistische und islamfeindliche Politik und Meinungen zu fördern,
die sich in ihrer Qualität nicht vom Antisemitismus unterscheiden.
Der deutsche Staat und viele Deutsche verstehen das lobenswerte Gebot,
Antisemitismus zu bekämpfen und Juden zu schützen, als bedingungslose
Unterstützung des jüdischen Staats Israel. Sie verstehen, dass die
Deutschen die Pflicht haben, jede Kritik an der Politik und den
strukturellen Problemen Israels, vor allem an der seit Jahrzehnten
andauernden Ungerechtigkeit gegenüber dem palästinensischen Volk,
zurückzuweisen. Die Gleichsetzung zwischen dem Staat Israel und den Juden
ist problematisch.
Sie führt dazu, dass legitime und berechtigte Kritik an Israel generell als
antisemitisch delegitimiert wird und Kritiker zum Schweigen gebracht
werden. Diese Unterdrückung von Meinungen untergräbt zum einen die
Demokratie in Deutschland und blockiert die Diskussion über einen Frieden
im Nahen Osten. Nicht zwischen Juden und dem jüdischen Staat zu
unterscheiden führt zu Stigmatisierung und [5][Diskriminierung von
Palästinensern].
Letztlich verstärkt und reproduziert die Haltung Juden = Israel den
Antisemitismus, indem sie die Stimmen bestätigt, die Kritik an Israel
fälschlicherweise in Judenfeindlichkeit umwandeln. Aus diesem Grund fühlen
sich viele Juden in Deutschland dazu verpflichtet, gegen die Schwächung der
Demokratie und die Verschärfung des Antisemitismus vorzugehen.
Diese Stimmen verweigern sich der deutschen Gleichsetzung von Diasporajuden
und dem Staat Israel, indem sie sich mit den Palästinensern in Deutschland
solidarisieren, auch und gerade in der Zeit des Kriegs im Nahen Osten. Sie
weigern sich, Feinde zu sein, wehren sich gegen Rassismus und
Antisemitismus und gegen die rassistische Instrumentalisierung des Kampfes
gegen Antisemitismus.
7 Dec 2023
## LINKS
[1] /Offener-Brief-juedischer-Intellektueller/!5965154
[2] /Antisemitismus-in-Deutschland/!5970285
[3] /Umgang-mit-AfD-und-Rechtsextremismus/!5974023
[4] /Geschwaerzte-Palaestinenser-Parole/!5971894
[5] /Antimuslimischer-Rassismus/!5971233
## AUTOREN
Elad Lapidot
## TAGS
Israel
Antisemitismus
Juden
Araber
Gaza-Krieg
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Antisemitismus
BDS-Movement
Israelkritik
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