# taz.de -- Leichtes Spiel für Premier Orbán: Ungarns machtlose Opposition | |
> Ungarns Oppositionsbündnis ist nach der Niederlage im April zerfallen. | |
> Premier Orbán profiliert sich völkisch rechtsextrem, seine Gegner | |
> zerlegen sich. | |
Bild: Erfolgloser Wahlkampf: Ungarns Oppositionskandidat Marki-Zay im März | |
WIEN taz | Ungarns Premier Viktor Orbán tritt seit seinem erneuten Wahlsieg | |
im April noch selbstherrlicher auf als zuvor. Von [1][Siebenbürgen] bis | |
[2][Dallas] provoziert er mit völkischen und rechtsextremen Botschaften. | |
Bei den Republikanern in den USA genießt er Kultstatus. | |
Und in der EU spielt er genüsslich den bösen Buben. Er hat den korrupten | |
orthodoxen Patriarchen Kyrill, der Putins Krieg verherrlicht, vor | |
Sanktionen bewahrt, legt sich gegen einen Energieboykott gegen Putin quer | |
und verhindert eine Mindestbesteuerung von transnationalen Unternehmen. Zur | |
Kasse gebeten werden dagegen EU-Firmen in Ungarn. Machtlos müssen die | |
Oppositionsparteien zusehen, wie die Gehälter der Regierungsmitglieder um | |
40 Prozent erhöht werden und die Parteienförderung halbiert wird. | |
Ungarns Opposition ist knapp fünf Monate nach den Wahlen macht- und | |
planlos. Und sie ist noch unübersichtlicher geworden. Als [3][Péter | |
Márki-Zay], der erfolglose Einheitskandidat des Sechsparteienbündnisses, am | |
Abend des 3. April die [4][Niederlage] eingestehen musste, stand er fast | |
allein auf der Tribüne. Das über Monate mühsam geschmiedete Bündnis ist | |
noch am Wahlabend zerfallen. | |
Budapests Bürgermeister Gergely Karácsony, einer der Architekten der | |
heterogenen Allianz, fragte sich in einem Interview gar, „ob die Wähler | |
wirklich so falsch gelegen haben, diese Opposition diesmal nicht an die | |
Regierung zu bringen?“. Sie hatte weder ein alternatives Regierungsprogramm | |
noch ein überzeugendes Schattenkabinett zustande gebracht, das die korrupte | |
Orbán-Mannschaft in Verlegenheit gebracht hätte. Folge waren 750.000 | |
Stimmen weniger als 2018 und eine kommode Zweidrittelmehrheit für Orbáns | |
Phalanx. | |
## Der Kandidat überzeugte niemanden | |
Schnell begann die Phase der Schuldzuweisungen. Die rechte Jobbik, die in | |
den letzten zehn Jahren von einer faschistoiden Führerpartei zu einer | |
Mitte-rechts-Kraft mutierte, sah ihren Kandidaten Péter Jakab schon bei den | |
hybrid organisierten Vorwahlen im Nachteil. | |
Der Abgeordnete Koloman Brenner aus der deutschen Minderheit in Ödenburg: | |
„In den Wahlkreisen auf dem Lande war es wahnsinnig schwierig, unsere | |
Wähler zur Wahl zu bringen, geschweige denn online abzustimmen.“ In vielen | |
Dörfern gebe es kein Internet und für die oft betagte Jobbik-Klientel | |
stelle das Votum im Netz ohnedies ein Hindernis dar. Deswegen sei der sehr | |
kompetente Jakab auch nicht in die engere Auswahl für die Spitzenkandidatur | |
gekommen. | |
Der parteilose Konservative Péter Márki-Zay, der schließlich als | |
Kompromisskandidat gegen Orbán ins Rennen ging, hätte niemanden überzeugt, | |
meint Brenner: „Márki-Zay, wie soll ich sagen, politisch gesehen war es | |
dann an diesem Wahlabend eindeutig, dass er der falsche Kandidat war.“ | |
Noch im Mai bestätigte die Jobbik ihren Frontmann Péter Jakab. Aber schon | |
einen Monat später schmiss er hin. Kein Wunder, höhnte der regierungsnahe | |
Kommentator Tamás Pilhál in der Zeitung Magyar Nemzet: Die ehemalige | |
„radikale nationale Zentrumspartei“ sei unter Jakabs Führung zu einer | |
„Dienerin der linksliberalen Parteien“ geworden. Außerdem sei Jakab in | |
innerparteiliche Grabenkämpfe verwickelt und stehe unter | |
Korruptionsverdacht. | |
## Zu viele Parteien – und weitere in Gründung | |
Jakab wollte zunächst als Fraktionschef im Parlament bleiben, doch Mitte | |
August kündigte er die Gründung einer neuen Partei an. Sein Nachfolger | |
Márton Gyöngyösi zögerte nicht, die Schmutzwäsche auszupacken. Jakab | |
verfolge auf Drängen seiner Sekretärin eine primitive linke Agenda. | |
Viele Jobbik-Wähler, so der Abgeordnete Koloman Brenner, wollten nicht für | |
ein Bündnis mit linken und liberalen Kräften stimmen und wandten sich der | |
rechtsextremen Jobbik-Abspaltung Mi Hazánk Mozgalom | |
(Unsere-Heimat-Bewegung) zu, die mit über fünf Prozent ins Parlament | |
einzog. | |
Die Oppositionsallianz will aber nicht aufgeben. Kurz nach der Wahl trafen | |
sich die Parteichefs und -chefinnen, um zu bekräftigen, dass diese | |
Zusammenarbeit weitergehen soll. „Es ist auch klar, dass jetzt jede | |
einzelne Partei Zeit braucht, sich selber neu aufzustellen“, sagt Koloman | |
Brenner. | |
Márky-Zay kündigte die Gründung einer neuen Mitte-rechts-Partei an, mit der | |
er 2024 bei den Europawahlen antreten will. Er will mit der neuen | |
bürgerlichen Kraft die ausgetretene Fidesz in der EPP ersetzen. Doch bisher | |
verweigern ihm die eigenen Leute das Gefolge. Wann es die Partei geben | |
wird, steht in den Sternen. | |
## Der einsame Protest des Ákos Hadházy | |
Der unabhängige Abgeordnete Ákos Hadházy hält nichts davon, weiter den von | |
Orbán ständig veränderten Spielregeln zu folgen. Er forderte alle | |
oppositionellen Abgeordneten auf, die Konstitution des Parlaments und | |
Vereidigung Anfang Mai zu boykottieren: „Wir spielen bei einer | |
demokratischen Scharade mit.“ Opposition müsse auch auf der Straße | |
stattfinden. | |
„Wenn die Opposition vor den Wahlen im staatlichen Fernsehen und Rundfunk | |
insgesamt fünf Minuten ihr Programm erläutern kann, können wir nicht über | |
echte Wahlen reden. Das war in Ungarn der Fall“, sagt Hadházy: „Der | |
Ministerpräsident konnte jede Woche eine Stunde lang reden. Das muss man in | |
Westeuropa verstehen.“ | |
Letztlich blieb er allein mit seinem Protest. | |
Die Strafe folgte auf dem Fuße. Parlamentspräsident László Kövér verweige… | |
ihm bisher einen Alternativtermin für die Vereidigung als Abgeordneter. | |
Hadházy, von Beruf Tierarzt, bezieht daher auch kein Gehalt und muss sogar | |
seinen Stab aus eigener Tasche finanzieren: „Ich musste via Crowdfunding | |
Geld sammeln und kann jetzt bis Ende des Sommers arbeiten.“ Allerdings | |
nicht im Parlamentsgebäude. Da hat er nach wie vor keinen Zutritt. | |
## Ohne Allianzen wird es langfristig nicht gehen | |
Die nächsten Wahlen in Ungarn sind die für das Europaparlament im Mai 2024. | |
Da für diese das Verhältniswahlrecht gilt und nicht Orbáns | |
minderheitenfeindliches Wahlgesetz, können die Oppositionsparteien getrennt | |
antreten. Aber spätestens bei den Kommunalwahlen im Herbst 2024 gilt es | |
wieder, Allianzen zu schmieden. | |
Die Psychologin Zsuzsanna Szelényi, eine ehemalige liberale Politikerin, | |
die sich immer noch in der Öffentlichkeit zu Wort meldet, hält das Projekt | |
der Opposition für gescheitert: „Die Einheit hat nicht funktioniert. Die | |
Opposition sitzt in einer strategischen Klemme und muss sich etwas Neues | |
einfallen lassen.“ Sie sieht einen Grund für das Scheitern der Allianz: | |
„Die Parteien stehen in Konkurrenz zueinander. Das Beste wäre, wenn es | |
nicht so viele Oppositionsparteien gäbe.“ | |
Derzeit buhlen zwei sozialdemokratische, zwei liberale, eine grüne, eine | |
alternative, eine bürgerlich rechte und eine rechtsextreme Partei innerhalb | |
und außerhalb des Parlaments um die Anti-Orbán-Stimmen. | |
Der Unabhängige Ákos Hadházy glaubt an die Gründung einer neuen Partei, die | |
einige von ihnen ersetzen könnte. Er denkt an eine Zentrumspartei mit | |
unverbrauchten Gesichtern. Ein Vorbild sieht er in Slowenien: „Da konnte | |
eine neue Partei mit einem guten Kandidaten ganz schnell erfolgreich | |
werden.“ Und die Themen? „Die Rechtsstaatlichkeit ist sehr wichtig und | |
natürlich auch die soziale Frage.“ Es sieht nicht so aus, als müsste sich | |
Viktor Orbán fürchten. | |
17 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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