Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Länderunterschiede beim Abitur: Jeder setzt seine eigene Note
> Das Abitur soll bundesweit vergleichbar werden, versprechen die
> Kultusminister. Doch die Wirklichkeit ist weit davon entfernt.
Bild: In erster Linie leiden die SchülerInnen und LehrerInnen unter dem Bildun…
BERLIN taz | 160 Kilometer liegen zwischen Louisas alter und ihrer neuen
Schule. Und Welten. „Ich wusste, dass der Wechsel problematisch ist“, sagt
die 18-Jährige. „Aber so problematisch?“ Erst ging Louisa auf ein Gymnasium
in Heiligenstadt in Thüringen, jetzt besucht sie ein Internat in Halle in
Sachsen-Anhalt. Dort gibt es den Musikschwerpunkt, den sie sich wünschte:
Auf dem Stundenplan stehen Einzelunterricht in Cello und Klavier, außerdem
Orchesterproben.
Alles wunderbar. Nur die Noten sackten mit dem Wechseln ein: Von 1,0 nach
der 10. Klasse in Sachsen-Anhalt auf 1,7 in der 11. Klasse in Thüringen.
Immer noch gut, aber vielleicht schon nicht mehr gut genug, wenn Louisa
wirklich Medizin studieren will. Kurz überlegt sie mit ihrer Mutter:
zurückwechseln? Leider unmöglich.
Denn in Thüringen müssen Oberstufenschüler ein sogenanntes Seminarfach
belegen. Das hat Louisa in Sachsen-Anhalt bisher überhaupt nicht. „Hier
schreiben sie schon in der 10. Klasse eine Seminararbeit“, sagt sie. „Aber
das machen sie nur kurz. Es gibt dazu kein ganzes Fach.“ In Thüringen
müsste sie drei schriftliche Abiprüfungen und zwei mündliche machen. An
ihrer jetzigen Schule in Sachsen-Anhalt bereitet sich Louisa auf vier
schriftliche und eine mündliche Prüfung vor.
In Thüringen könnte Louisa schlechte Noten durch Kurse ersetzen, in denen
sie besser abgeschnitten hat. In Sachsen-Anhalt nicht. „Hier darf ich mir
keinen Ausrutscher erlauben“, sagt Louisa. „Das ist doch ungerecht.“ Zwei
Länder – zwei Abiturbestimmungen. Und beide sind nicht kompatibel.
Willkommen im Bildungsföderalismus.
## Gleich schwere Abschlussaufgaben
Dabei haben sich die Kultusminister erst Ende Juni kräftig dafür auf die
Schultern geklopft, dass sie die Reifeprüfung einheitlicher machen. Bis zum
Schuljahr 2016/2017 soll es eine deutschlandweite Aufgabensammlung für die
schriftlichen Abiturklausuren in Deutsch, Mathematik und Englisch geben.
Von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen, von Aachen bis Potsdam, in Halle
wie in Heiligenstadt sollen die Prüflinge dann nicht die gleichen, aber
gleich schwere Abschlussaufgaben bearbeiten.
„Der Aufbau eines solchen Prüfungsaufgabenpools gewährleistet die
Vergleichbarkeit des Abiturs“, sagte Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan
Dorgerloh (SPD), der derzeit der Kultusministerkonferenz vorsteht.
Die Vergleichbarkeit des Abiturs – eigentlich sollte sie hergestellt sein,
seitdem die Länder 1972 die reformierte Oberstufe eingeführt habe. Doch
nachdem die Länder 2006 die Oberstufe freigaben, wuchern die Verordnungen:
In Mecklenburg-Vorpommern etwa gibt es fünf weitgehend vorgeschriebene
vierstündige Hauptfächer und zweistündige Nebenfächer.
Ähnlich ist es in Bayern. In Nordrhein-Westfalen gibt es weiterhin das
Modell mit zwei Leistungskursen und mehreren Grundkursen. Ebenso in
Sachsen. Dort wiederum mit der Ausnahme, dass man zwar entweder Deutsch
oder Mathematik als Leistungskurs belegen muss, aber beides zusammen nicht
belegen darf. Die Liste lässt sich fortsetzen. Jedes Land kocht sein
eigenes Süppchen – eine Logik ist hier selten zu erkennen.
## Noten nach Gutdünken berechnet
Und es wird noch konfuser: Auch die Noten berechnen die Länder in
komplizierten Schlüsseln nach eigenem Gutdünken. Mancherorts tragen die
Abiturprüfungen zum Schluss viel zur Gesamtnote bei, mancherorts weniger.
In einigen Ländern kann man schlechte Noten streichen, in anderen fließt
alles in die Wertung ein. So können selbst identische Halbjahres- und
Prüfungszensuren zu völlig unterschiedlichen Notenschnitten führen.
Man könnte es als Randnotiz aus der deutschen Kleinstaaterei abtun, würden
nicht Nachkommastellen hierzulande über die Zulassung zum Studium
entscheiden. Von 9.470 grundständigen Studiengängen in Deutschland, die das
Portal hochschulkompass.de aufführt, sind lediglich 128 zulassungsfrei. „So
unterschiedliche Noten sind nicht gerecht“, sagt Ursula Walther,
Vizevorsitzende des Bundeselternrats. „Mit dem Abitur werden schließlich
Bildungs- und Berufschancen vergeben.“
So fortschrittlich die Ankündigung vergleichbarer Abituraufgaben jetzt auch
erscheinen mag: Wie man einheitlich geplante Prüfungen an völlig
unterschiedlich ausgerichteten Oberstufen andocken will, bleibt ein Rätsel.
Die Haltung der Kultusminister lautet: wird schon irgendwie. „Die
Kriterien, die für die Aufgaben entwickelt werden, dürften normierend und
standardisierend auch auf andere Bereiche wirken“, so lässt es
Kultusminister-Chef Dorgerlohh seinen Sprecher formulieren.
Selbst föderalismusfreundliche Experten wie der Münchner Bildungsökonom
Ludger Wößmann wundern sich über so viel Optimismus: „Ein Aufgabenpool wird
nur wenig Angleichung bringen“, sagt er. Sein Vorschlag: verbindliche
deutschlandweite Prüfungen in den wichtigen Fächern, überall am selben Tag
geschrieben. Erst dann würden sich die Oberstufen wirklich angleichen.
Ähnlich sieht es Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des
Philologenverbandes: „Ein zentraler Aufgabenpool fürs Abitur ergibt nur
Sinn, wenn man auch in den Oberstufen zu mehr Gemeinsamkeit kommt.“
18 Jul 2013
## AUTOREN
Bernd Kramer
## TAGS
Abitur
Bildungsföderalismus
Kultusministerkonferenz
Oberstufe
Kurssystem
Zulassung
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.