# taz.de -- Kunstwelt in Saudi-Arabien: Amma Baad – was danach kommt | |
> Saudi-Arabien setzt zum Quantensprung in die zeitgenössische Kunst an. | |
> Ist das Marketing oder ein echter Wandel durch Kultur? | |
Bild: Serge Attukwei Clotteys Werk „Golden Falls“ beim „DesertX-“Festiv… | |
Eine silbern schimmernde Lache am Ende des Horizonts mitten in der | |
rostroten Wüste, 400 Kilometer nordwestlich von Medina. Von Weitem ist es | |
nicht genau zu erkennen: Liegt da ein See oder spiegelt es bloß in der | |
flirrenden Hitze? „Geography of Hope“, die Arbeit des Künstlers Abdullah Al | |
Othman, funktioniert nach dem Fata-Morgana-Prinzip. | |
Das Werk, eine von 15 monumentalen Skulpturen, die das [1][Kunstfestival | |
„Desert X“] nahe der Oase Al Ula platziert hat, einer der ältesten Städte | |
der Arabischen Halbinsel und Unesco-Weltkulturerbe, ruft das Wunder auf, | |
das der Verdurstende in der Wüste erhofft. Und ungefähr so wertet der | |
Besucher Saudi-Arabiens in diesem Frühling die unerwarteten Zeichen im | |
Alltag des Landes. | |
Ob es nun die ausgelassene Rooftop-Party nach einer Vernissage von Riads | |
mondäner Athr-Galerie ist oder der spontane Jubel in der Haupthalle des | |
King-Abdulaziz-Flughafens der Hauptstadt, als eine junge | |
Frauen-Volleyball-Gruppe nach dem spektakulären Sieg bei der | |
College-Meisterschaft des Landes aus dem Gate tritt. | |
Die Frage, ob demnächst gar Alkohol in Saudi-Arabien erlaubt sein wird, | |
ließ des Landes berüchtigter Kronprinz Mohammed bin Salman gerade in einem | |
aufschlussreichen Gespräch, bei dem ihm das Magazin The Atlantic wegen | |
[2][des ihm zur Last gelegten Mordfalls Jamal Kashoggi] auf den Zahn | |
fühlte, unbeantwortet. | |
## Autoritär und konservativ | |
Überall wird dem Besucher freilich zugeflüstert, dass bereits Bars gebaut | |
werden. Coole Clubs und Restaurants sind abends rappelvoll mit Gästen | |
beiderlei Geschlechts. Sind wir wirklich in dem muslimischen Königreich, | |
das als eines der autoritärsten und konservativsten der Welt gilt? | |
„Vision 2030“ nennt sich die Strategie, mit der der ruchlose Prinz 2016 | |
sein Land aus der Zwangsjacke des sklerotischen Wahhabismus lösen wollte | |
und das nun mit lächelndem Antlitz an allen Straßenecken plakatiert ist. So | |
umstritten sie ist – markant an diesem Versuch rabiater Modernisierung ist, | |
dass sie massiv auf Kultur, auf Kunst setzt. | |
Bin Salman gründete mit „Misk Art“ ein eigenes Kunstinstitut, ließ | |
Popkonzerte und Formel-1-Rennen zu. Die Zahl der Ausstellungen überschlägt | |
sich. In dem winzigen Wüstenort Al Ula, der nun zum Touristenhub aufgepeppt | |
wird, öffnete die Athr-Galerie eine Dependance. | |
Künstler werden zu Residencies in den weitläufigen Palmenhain Mabiti | |
eingeladen. In einem riesigen, verspiegelten Kubus mitten in der Wüste | |
präsentiert Basma al Sulaiman, noch ein Royal und Mitbegründerin des Saudi | |
Arts Council, ihre Sammlung zeitgenössischer saudischer Kunst. | |
## Grenzen der Kunstfreiheit | |
[3][Fragt sich freilich, wie glaubwürdig dieses Bekenntnis ist.] | |
Schließlich werden in dem Land weiter Homosexuelle hingerichtet, Hunderte | |
Menschenrechtsaktivist:innen sitzen in Haft. Und welche Grenzen der | |
Freiheit der massiv promoteten Kunst gesetzt sind, lässt sich an dem | |
jüngsten Produkt ablesen: der kürzlich eröffneten [4][Diriyah-Biennale]. | |
„Crossing the River. Feeling the Stones“ hat der Pekinger Kurator Philip | |
Tinari die erste saudische Kunstbiennale passenderweise mit einem Motto des | |
chinesischen Umbruchs der 1970er Jahre übertitelt. Wie China ist | |
Saudi-Arabien eine Diktatur. | |
Die Biennale kopiert ihre internationalen Vorbilder. Eine coole Fabrikhalle | |
mit illuminierten Lounges, bodentiefe Fenster geben den Blick auf das alte | |
Wadi in dem historischen Stadtviertel Riads frei, nach dem die Biennale | |
benannt ist. Wirklich offensiv geht Tinaris Parcours von 60 Kunstwerken die | |
saudischen Widersprüche aber nicht an. | |
Niemand hatte erwartet, dass eine Biennale, der der saudische | |
Kulturminister Prinz Badr bin Farhan vorsteht, Abdulnasser Gharem einladen | |
würde, einen der wichtigsten saudi-arabischen Künstler. 2019 hatte der auf | |
der Art Basel mit seiner Installation „The Safe“ den Raum im saudischen | |
Konsulat in Istanbul nachgebildet, in dem Jamal Kashoggi ermordet worden | |
war. | |
## Rapide Gentrifizierung | |
Aber unbestreitbare Herausforderungen wie die Menschenrechte in dem Land | |
oder dessen Rolle in dem internationalen Krieg gegen den Jemen spielen auch | |
andeutungsweise in der Biennale keine Rolle. | |
Immerhin Zahra Al Ghamdis braune, wie Wolkenkratzer in die Höhe gezogenen | |
Lehmnetze thematisieren die rapide Gentrifizierung in dem Biennale-Viertel. | |
Dafür geht aber eine eigene Sektion „Concerning the Spiritual“ dem | |
„tieferen Nachdenken“ in einer Zeit von „Aufruhr und Übergang“ nach. | |
Christine Macel wusste schon, warum sie es ablehnte, Jurorin der „Desert | |
X“-Schau zu werden. 2019 kuratierte die Kuratorin am Centre Georges | |
Pompidou in Paris die Venedig-Biennale. „Ich wollte nicht für den Staat | |
arbeiten“, sagt sie der taz während des Besuchs. Die schicke Biennale hat | |
das [5][Festival „21,39“ in den Schatten gestellt, das Anfang März in | |
Dschidda eröffnete]. Die nach den geografischen Koordinaten der alten | |
Hafenstadt benannte alljährliche Schau ist eine Art Gegenentwurf zur | |
Diriyah-Biennale. | |
Bei ihrer Gründung 2014 legte eine Gruppe kunstbegeisterter Familien | |
jeweils 50.000 Riad dafür auf den Tisch – ein Beispiel | |
zivilgesellschaftlicher Selbsthilfe im Gegensatz zur alimentierten | |
Staatsbiennale in Riad, einem Leitprojekt der „Vision 2030“. | |
## Pionierin der saudi-arabischen Fotografie | |
„Amakin – Places“, mit dem Motto der Schau setzt die britische Kuratorin | |
Venetia Porter, Islamwissenschaftlerin des British Museum, in diesem Jahr | |
auf ein etwas traditionelles Storytelling, um an die während der Pandemie | |
vermissten Plätze zu erinnern. | |
Es ist erkennbar, wie viele Arbeiten durch den Kontext geprägt sind. Sie | |
nehmen die Gebetsnische der Moschee, das Motiv religiöser Meditation oder | |
die Kaaba in Mekka als Bezugspunkt. Zu sehen ist aber auch eines der | |
ikonischen Porträts von Reem Al Faisal, Enkelin des Staatsgründers und | |
Pionierin der saudi-arabischen Fotografie: eine junge Frau im Souk, den | |
Kopf skeptisch nach hinten gewendet. | |
Und die zeichnerischen Versuche der Adoleszenzbewältigung von Obadah | |
Aljefri würden hierzulande vermutlich als queere Identitätssuche | |
durchgehen. Einmal ist der junge Künstler als unschuldiger Junge im | |
Ringelpullover, dann als frivoles violettes Fabelwesen mit Pfeil und Bogen | |
zu sehen. | |
„21,39“ ist aber genauso ein Beweis, dass die Kunstszene nicht nur ein | |
Feigenblatt der Modernisierung von oben ist wie der Riader Non-Profit | |
Artspace „Um Slaim“. | |
## Saudi-arabische Modernisierung | |
In einem alten Schnellimbiss des gleichnamigen, früher von den indigenen | |
Najdis bewohnten Stadtviertels an der alten Stadtmauer haben die jungen | |
Architektinnen Sara Alissa und Nojoud Alsudairi ein gleichnamiges Kollektiv | |
gegründet, das die vergessene Architekturgeschichte der Stadt kartiert. | |
„Es ist ein Wunder, was in diesem Land passiert“, staunt die Beiruter | |
Galeristin Naila Kettaneh-Kunigk, gerade zu Besuch bei den beiden. So geht | |
es auch vielen Einheimischen. „Es geht so schnell. Noch vor Korzem wäre das | |
alles unmöglich gewesen“, sagt Nasser Al Salem beim Besuch in seinem Studio | |
in Dschidda. | |
Der smarte, 28 Jahre alte Architekt hat ein Symbol für das Unabsehbare der | |
saudi-arabischen Modernisierung gefunden. „Simultaneity“ hat er einen | |
minimalistischen, im Raum schwebenden Stahlreifen genannt. In dessen Mitte | |
ist das Wort „Amma Baad“ eingeflochten. | |
Wörtlich übersetzt lautet die rituelle Formel aus der Koranrezitation so | |
etwas wie: „Was danach kommt“. Der fromme Spruch ließe sich vielleicht so | |
übersetzen: Wir werden sehen, wie dieser Quantensprung in die Kunst am Ende | |
ausgeht. | |
29 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://desertx.org/dx/desert-x-alula | |
[2] /Grausame-Details-im-Fall-Khashoggi/!5540765 | |
[3] /Todesstrafe-in-Saudi-Arabien/!5838566 | |
[4] https://www.biennale.org.sa/ | |
[5] http://sac.art/ | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
## TAGS | |
Saudi-Arabien | |
Kunst | |
Menschenrechte | |
Modernisierung | |
Jordanien | |
Saudi-Arabien | |
Vereinigte Arabische Emirate | |
Jamal Khashoggi | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Pressefreiheit in Jordanien: „Wir haben ein Problem“ | |
In Jordanien besorgen Pegasus-Bespitzelungen, Festnahmen von | |
Medienmachenden und restriktive Gesetze Journalist*innen und | |
Menschenrechtler*innen. | |
Todesstrafe in Saudi-Arabien: Saudischer Exekutionsrekord | |
81 Menschen wurden an nur einem Tag hingerichtet: im Schatten des | |
Ukrainekrieges und den westlichen Sanktionen gegen Öl aus Russland. | |
Expo in Dubai: Glitzer, Sand und Stahl | |
Die Weltausstellung Expo entwirft in Dubai mit Superlativen und Kitsch eine | |
Welt der Zukunft. Beinhaltet diese Vision auch Menschenrechte? | |
Grausame Details im Fall Khashoggi: Für Washingtons Darling wird es eng | |
Im Fall des verschwundenen Journalisten verdichten sich die Hinweise auf | |
einen Auftragsmord. Der Druck auf Saudi-Arabiens Kronprinz wächst. |