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# taz.de -- Künstliche Intelligenz und Vermüllung: KI killt das Web
> Jetzt, wo nahezu alle KI benutzen können, gilt vor allem eins: Das Netz
> quillt vor KI-generiertem Müll über. Ist das Internet noch zu retten?
Bild: Der Überblick ist längst verloren
Wenn man im Internet oder dem, was von der Utopie einer Cyberagora übrig
geblieben ist, surft, hat man das Gefühl, durch eine
hyperkommerzialisierte, gigantische Shopping-Mall zu laufen: Am Eingang
wird man von einem Nacktscanner durchleuchtet, und wenn man ein Geschäft
betritt, wird man auf Schritt und Tritt von einem übergriffigen
Kaufhausdetektiv verfolgt, der einem in die Taschen und Einkaufswägen
glotzt.
Auf dem Amazon-Marktplatz drehen Computeralgorithmen sekündlich an der
Preisschraube, hinter den Schaufenstern der Facebook-Filiale Instagram
präsentieren Influencer die neueste Mode, und in der schummrigen Trinkhalle
der Plattform X krakeelen rechte Scharfmacher herum, nachdem der neue
Hauseigentümer im Maschinenraum das Ventil für Hass und Hetze geöffnet hat.
Die kleinen inhabergeführten Bars, Cafés und Buchhandlungen sind
verschwunden und der Datenhygiene der Tech-Giganten zum Opfer gefallen, die
nach dem Vorbild von Baron Haussmann eine Flurbereinigung durchführen
ließen. Nichts soll anrüchig oder unsicher wirken, alles soll blitzblank
poliert und sicher sein. Wie in einer Gated Community. Trotz dieser
Hygienemaßnahmen stolpert der Besucher an jeder Ecke über Abfall.
Man muss diese Analogie bei netzpolitischen Debatten im Hinterkopf
behalten. Seit dem Siegeszug von ChatGPT quillt das Internet vor Müll über:
[1][Amazon wird mit KI-generierter Schrottliteratur überschwemmt], [2][die
Plattform X mit KI-generierten Pornobildern vollgespammt], [3][Spotify mit
KI-generierten Songs geflutet], die teils sogar von Bots gestreamt werden,
um die Klickzahlen in die Höhe zu schrauben. Digitaler Kapitalismus am
Limit.
## KI ist eine Revolution der Produktion
War das Internet eine Revolution der Publikation, ist KI eine Revolution
der Produktion. Mit frei zugänglichen KI-Werkzeugen kann heute jeder zum
Buchautor werden. Einfach ein Manuskript aus dem Automaten herauslassen,
ein Cover prompten, fertig ist das E-Book. Wer braucht noch Autoren oder
Lektoren, wenn es KI gibt? Was vormals in mühevoller Manufakturarbeit
hergestellt wurde, ist heute seriell produzierte Massenware.
Die US-Zeitschrift [4][Sports Illustrated etwa hat mithilfe von KI nicht
nur Texte produziert, sondern auch Autoren erfunden]. Vollautomatisierte
Webseiten, die das Internet pausenlos mit KI-generierten Nonsense-Inhalten
vollmüllen, schießen wie Pilze aus dem Boden.
Gewiss, Spam war schon immer ein Problem des Internets, doch der
synthetische Schrott, der in den digitalen Ozeanen herumtreibt, hat in
seiner Masse eine ganz andere Qualität, weil er das digitale Ökosystem
verschmutzt. Die Tauchroboter, die sogenannten Webcrawler, mit denen
Suchmaschinen wie Google Webseiten nach Relevanz gewichten und indexieren,
fischen in diesem Müllstrudel im Trüben – und verlieren ihre Orientierung.
So spuckte Google bei der Bildersuche nach „Tank Man“ – jenem mutigen Man…
der sich im Juni 1989 am Tiananmen-Platz in Peking einer Panzerkolonne
entgegenstellte – im vergangenen Jahr [5][ein KI-generiertes Fake-Selfie]
als Top-Ergebnis aus. Schon seit einiger Zeit beklagen Nutzer die
nachlassende Qualität der Suchmaschine. Die Ergebnisliste sei mit Anzeigen
und suchmaschinenoptimiertem Müll gepflastert, heißt es.
## Attraktivität des Werbeumfelds gefährdet
Jahrelang konnten sich die Tech-Konzerne das Müllproblem vom Leib halten,
indem sie einen digitalen Putztrupp auf den Philippinen beschäftigten, der
für ein paar Dollar am Tag den Unrat aussortierte. Doch jetzt dringt dieser
Müll an die klinisch reinen Benutzeroberflächen – und gefährdet die
Attraktivität des Werbeumfelds. Die digitalen Klärwerke sind überfordert.
Auf Youtube gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von [6][Kinderkanälen wie
„Super Crazy Kids“], die mithilfe von synthetisierten Audioschnipseln
KI-generierte Animationsfilme produzieren (teils in fehlerhaftem Englisch).
Es sind dümmliche, lieblos zusammengeschusterte Fetzen, die mit ihrem
nervtötenden Gedudel („Teddy Bear, Teddy Bear“) einzig dazu gemacht sind,
Kinder abzulenken.
Der Autor Erik Hoel warnte in einem Blog vor einer „semantischen
Apokalypse“: „Jetzt, wo Generative künstliche Intelligenz die Kosten der
Bullshit-Produktion auf nahe null gesenkt hat, sehen wir klar die Zukunft
des Internets: eine Müllhalde.“
Die Gegenwart des Internets ist aber erst mal Bergbau: Die Datenmineure
bedienen sich an frei zugänglichen Text- und Bilddatenbanken wie an einem
Steinbruch und trainieren mit dem Rohstoff ihre KI-Systeme.
## Finanzialisierung und Fortifizierung des Webs
Während zahlreiche Nachrichtenseiten wie etwa die New York Times, CNN sowie
der Guardian ihre [7][Archive für die Webcrawler von OpenAI gesperrt]
haben, [8][lizenziert das Onlineforum Reddit die Forenbeiträge an Google] –
für 60 Millionen Dollar im Jahr. Der Mikrobloggingdienst [9][Tumblr und die
Plattform WordPress.com verkaufen ihre Daten derweil an Midjourney und
OpenAI]. Mauern hier, Moneten da.
KI befeuert die soziale Schließung, die Tendenz zur Finanzialisierung und
Fortifizierung des Webs, das in immer mehr hermetisch abgeriegelte
Datensilos fragmentiert wird. Die Idee der KI-Vordenker besteht darin, das
Internet in eine separate Box zu packen und in einen neuen Hypertext zu
weben.
Wenn ChatGPT den Dreißigjährigen Krieg erklärt, braucht man das World Wide
Web im Grunde nicht mehr – zumindest nicht als Forum, Debattenraum oder
Bibliothek, sondern nur noch als digitales Umspannwerk, um eine Verbindung
zu den Servern herzustellen. Das Internet wird auf eine rein technische
Funktion reduziert.
Das Problem: Es gibt aufgrund der Aushöhlung des Urheberrechts kaum noch
finanzielle Anreize, Texte im Netz zu schreiben, welche hochleistungsfähige
Sprachmodelle wie ChatGPT aber dringend brauchen, um sich
weiterzuentwickeln. Die Gefahr eines KI- Kannibalismus ist daher real: Die
datenhungrigen KI-Systeme könnten mangels Alternativen KI-generierte
Inhalte fressen und in automatisierten Weiterverwertungsschleifen das
vorgekaute Denken so lange wiederkäuen, bis sie am Ende einen
substanzlosen Brei ausspucken.
## Informationelles Fast Food
Dass das Internet kaputt ist, ist ja keine neue Diagnose. Die Tech-Konzerne
haben die Hyperlinkstruktur und damit die Vielfalt des World Wide Web
zerschlagen und mit ihren affektökonomisch hochgetunten Algorithmen den
Hass bis in die feinsten Kapillare der Gesellschaft injiziert. Doch je mehr
die KI-Roboter die digitale Allmende abweiden und ihren Müll verbreiten,
desto mehr kulturelle Brachen und Ödland entstehen im virtuellen Raum.
Der Journalist James Vincent hat in [10][einem klugen Essay für das
Onlinemagazin The Verge] geschrieben, dass wir gerade die Geburtswehen
eines neuen Informationskosmos erleben: „Die KI killt das alte Web, und das
neue Web kämpft, geboren zu werden.„Nur: Wie und von wem wird dieses
Internet gestaltet? Mit welcher Legitimation? Wem gehört es? Welche Such-
beziehungsweise Kulturtechniken braucht es, um Informationen zu finden und
zu verifizieren? Wie stellt man Öffentlichkeit her?
Die von der libertären Krypto-Community verfochtene Idee des Web3, die das
Internet auf eine [11][dezentrale Blockchain] setzen will, denkt das Netz
mehr als Vermarktungsmöglichkeit für die Creator-Industrie denn als
digitale Gegenöffentlichkeit.
Und auch die Vision eines [12][Metaverse], das Facebook-Gründer Mark
Zuckerberg zum 3D-Internetnachfolger aufbauen will, wirkt noch papieren –
Meta hat mit dem Prestigeprojekt einen zweistelligen Milliardenbetrag
verbrannt. Vielleicht bleibt am Ende die leise Hoffnung, dass sich das alte
Web reparieren lässt und in der Gated Community doch noch das eine oder
andere Café eröffnet, wo man kein informationelles Fast Food aufgetischt
bekommt.
29 Mar 2024
## LINKS
[1] https://www.wired.com/story/scammy-ai-generated-books-flooding-amazon/
[2] https://variety.com/2024/digital/news/x-twitter-blocks-searches-taylor-swif…
[3] https://www.wired.com/story/spotify-ai-music-robot-listeners/
[4] https://www.bbc.com/news/world-us-canada-67560354
[5] https://www.spiegel.de/netzwelt/web/tank-man-google-zeigt-fake-selfie-als-e…
[6] https://www.youtube.com/channel/UC2RNg_QGZriSGQo6enPLpeQ
[7] /AI-Verordnung-der-EU/!5992441
[8] https://www.cbsnews.com/news/google-reddit-60-million-deal-ai-training/
[9] https://www.engadget.com/tumblr-and-wordpress-posts-will-reportedly-be-used…
[10] https://www.theverge.com/2023/6/26/23773914/ai-large-language-models-data-…
[11] /Blockchain-Technologie/!5767405
[12] /Facebooks-Metaverse/!5812202
## AUTOREN
Adrian Lobe
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