# taz.de -- Kriegsverbrechen in der Ukraine: Mehr Geld für die Aufklärung | |
> In der Ukraine werden Zivilist:innen ermordet und Wohnblocks | |
> zerbombt. Die Regierung verstärkt die Hilfe für Ermittlungen wegen | |
> Kriegsverbrechen. | |
Bild: Ukraines Generalstaatsanwältin Iryna Venediktova und Strafgerichtshofs-C… | |
FREIBURG taz | Die Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine ist ein | |
wichtiges Anliegen für die deutsche Politik. Die Bundesregierung stärkt | |
deshalb den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und den | |
Generalbundesanwalt. | |
Seit März untersucht Karim Khan, der britische Chefankläger des IStGH, die | |
Situation in der Ukraine. Mehr als 40 Staaten, [1][darunter Deutschland, | |
haben ihn damit beauftragt.] Schon damals rief Khan dazu auf, ihm für die | |
große neue Aufgabe zusätzliche Mittel und zusätzliches Personal zur | |
Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung ist dem inzwischen nachgekommen, | |
wie das Auswärtige Amt auf Anfrage der taz mitteilte. So wurden dem IStGH | |
zusätzlich eine Million Euro zur Verfügung gestellt, zusätzlich zum | |
regulären deutschen Beitrag von 17,7 Millionen Euro. | |
Außerdem wird Deutschland den IStGH mit sechs bis acht Expert:innen, unter | |
anderem für technische Analysen und psychosoziale Betreuung von | |
Zeug:innen, unterstützen. Schon im Juli sollen diese bereitstehen. Unter | |
den 42 Ermittler:innen, die Khan jüngst in die Ukraine schickte, sind | |
allerdings keine Deutschen, aber 30 Niederländer:innen. | |
## Neues Strukturermittlungsverfahren | |
In Deutschland führt der Generalbundesanwalt schon seit 2015 ein | |
Strukturermittlungsverfahren zur Situation in der Ukraine durch. Anlass | |
waren damals die Annexion der Krim und die von Russland befeuerte Bildung | |
von separatistischen Volksrepubliken im Donbas. Im Rahmen solcher | |
Strukturermittlungen gibt es noch keine konkreten Beschuldigten, vielmehr | |
sammelt die Bundesanwaltschaft aus öffentlichen Quellen auf Vorrat | |
möglichst viele Informationen, falls es einmal zur Strafverfolgung in | |
Deutschland kommen sollte. | |
Am 8. März eröffnete Generalbundesanwalt Peter Frank ein neues | |
Strukturermittlungsverfahren. Hier sollen insbesondere bei den nach | |
Deutschland geflüchteten Ukrainer:innen Informationen und Beweise (etwa | |
Handyaufnahmen) gesammelt werden. Justizminister Marco Buschmann (FDP) | |
rechnet mit „Hunderttausenden von Hinweisen“. Wie viele Hinweise bisher | |
gesammelt wurden, will die Bundesanwaltschaft freilich noch nicht sagen. | |
Mit Blick auf den zusätzlichen Aufwand hat der Bundestag vor einer Woche | |
beschlossen, auch den Generalbundesanwalt zu stärken. Für das | |
Völkerstrafrecht werden künftig vier statt zwei Referate mit 24 statt 14 | |
Staatsanwält:innen zuständig sein. Die Aufstockung wurde im Bundestag | |
von der Ampelkoalition und von der gesamten Opposition begrüßt. | |
## Zahlreiche Strafanzeigen | |
In den letzten Wochen gab es bereits zahlreiche Strafanzeigen zu | |
Kriegsverbrechen in der Ukraine. Die [2][wohl bekannteste stammte von | |
Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Ex-Innenminister | |
Gerhart Baum] (beide FDP). Die Bundesanwaltschaft betont jedoch, dass | |
solche Strafanzeigen eigentlich nicht nötig seien. Sie ermittele bereits | |
„von Amts wegen“. | |
Strafanzeigen, die sich gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin | |
richten, sind ohnehin aussichtslos. Solange er im Amt ist, genießt er in | |
anderen Staaten Immunität, darf also nicht strafverfolgt werden. | |
Zudem hat die Bundesanwaltschaft immer klargestellt, dass sie „nicht für | |
die Galerie“ ermittelt, sondern um konkrete Personen vor Gericht zu | |
stellen. Echte Ermittlungsverfahren wird es also nur geben, wenn sich | |
mutmaßliche Täter in Deutschland aufhalten und verhaftet werden können. | |
Aussichtslose Auslieferungsgesuche an Russland wird es nicht geben. | |
Das 2011 eingeleitete Strukturermittlungsverfahren zur Situation in Syrien | |
hat bisher erst zu drei Strafprozessen in Deutschland geführt. Angeklagt | |
wurden jeweils Personen, die aus Syrien nach Deutschland geflohen waren. | |
Das Urteil des OLG Koblenz, das im Januar einen syrischen Geheimdienstler | |
wegen Folter verurteilte, wurde [3][weltweit als Fanal wahrgenommen]. | |
Doch auch wenn Erkenntnisse der Bundesanwaltschaft nicht in deutsche | |
Strafverfahren münden, können diese doch nützlich sein, etwa bei Verfahren | |
in anderen Staaten. Die Bundesanwaltschaft betont ihre Bereitschaft, | |
Informationen zu teilen. | |
Umso erstaunlicher ist es, dass Deutschland sich bisher nicht am Joint | |
Investigation Team (JIT, gemeinsames Ermittlungs-Team) beteiligt, das die | |
E[4][U-Justizbehörde Eurojust zur Ukraine gebildet] hat. Das JIT wurde | |
bereits im März von Polen, Litauen und der Ukraine gegründet. Im April | |
beteiligte sich IStGH-Chefankläger Khan. Und im Mai stießen mit Estland, | |
Lettland und der Slowakei drei weitere EU-Staaten hinzu. Sinn des JIT ist | |
der direkte Zugriff aller Staaten auf die Ermittlungsergebnisse. Eurojust | |
übersetzt Zeugenaussagen und Expertenberichte ins Englische. | |
Über die deutsche Teilnahme kann Generalbundesanwalt Peter Frank selbst | |
entscheiden. Es handelt sich also um keinen Beschluss der Bundesregierung. | |
Bisher heißt es in Karlsruhe nur ausweichend, man sei im guten Kontakt zum | |
JIT. Ein Grund für die deutsche Zurückhaltung könnte sein, dass bisher | |
nicht transparent ist, ob das JIT auch Hinweise auf Kriegsverbrechen der | |
ukrainischen Seite untersuchen dürfte. Die zugrundeliegende | |
JIT-Vereinbarung ist bisher geheim. | |
Kai Ambos, Göttinger Professor für Völkerrecht, warnt: „Sollte sich | |
herausstellen, dass sich die ukrainischen Ermittlungen nur einseitig auf | |
mögliche russische Taten und Täter richten, so hat nicht nur die Ukraine | |
selbst, sondern auch der sie unterstützende Westen ein | |
Glaubwürdigkeitsproblem.“ | |
10 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Russische-Kriegsverbrechen/!5839334 | |
[2] /Wegen-Kriegsverbrechen-in-der-Ukraine/!5843658 | |
[3] /Historischer-Folter-Prozess-in-Koblenz/!5825396 | |
[4] /Ermittlungen-zu-Kriegsverbrechen/!5858566 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ermittlungen | |
Kriegsverbrechen | |
Russland-Ermittlungen | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Sexualisierte Gewalt | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Russland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bericht von Amnesty International: Auf der Suche nach der Wahrheit | |
Die Organisation erhebt Vorwürfe gegen die ukrainische Armee. Diese soll | |
Zivilist:innen nicht ausreichend geschützt haben. Kiew weist dies | |
zurück. | |
Anwältin über sexualisierte Gewalt: „Es geht um Aufzwingen von Macht“ | |
In der Ukraine werden Frauen und Kinder von russischen Truppen | |
vergewaltigt. Kateryna Busol spricht über sexualisierte Kriegsgewalt. | |
Infrastruktur in der Ukraine: Statistik der Zerstörung | |
Tausende Wohnungen, Krankenhäuser und Schulen sind dem Krieg bereits zum | |
Opfer gefallen. Ein Wiederaufbau könnte zehn Jahre dauern. | |
Ermittlungen zu Kriegsverbrechen: Europas Justiz für die Ukraine | |
Immer mehr EU-Staaten teilen ihre Erkenntnisse zu Kriegsverbrechen direkt | |
mit ukrainischen Ermittlern. Deutschland ist noch nicht ganz dabei. | |
Aufnahme von Menschen aus Russland: Hilfe für Oppositionelle | |
Wer sich in Russland gegen den Kreml stellt, begibt sich in Gefahr. | |
Deutschland will bedrohten Menschenrechtsaktivist*innen Schutz | |
bieten. |