# taz.de -- Koningsdag in den Niederlanden: Hoch lebe der König! | |
> Baarle in den Süd-Niederlanden ist ein Puzzle mit belgischen und | |
> niederländischen Enklaven. Feiert der ganze Ort den Geburtstag des | |
> niederländischen Königs? Nein. | |
Bild: Weiße Kreuze markieren die Ländergrenze | |
BAARLE taz | Koningsdag! 56. Geburtstag des [1][niederländischen Königs | |
Willem-Alexander], das bedeutet: landesweiter Feiertag und Ausnahmezustand. | |
Schon am Morgen tragen alle Orange, als wäre das ganze Land Kulisse für ein | |
Länderspiel der Elftal: Shirts, Hosen, Umhänge und Hüte, alles orange. Die | |
Züge sind brechend voll, meist Jugendliche, gern schon morgens | |
alkoholisiert und laut. In Amsterdam, heißt es, kann man an diesem Tag über | |
Wasser gehen, weil die Grachten vollgestopft sind mit orange geschmückten | |
Booten. In Breda ist eine Bühne aufgebaut, als würden die Stones zu Willems | |
Ehren vorbeischauen. | |
Auch in Baarle, einer Gemeinde nahe der belgischen Grenze, ist es | |
feiervoll. Am Nachmittag toben die Kids auf dem Dorfplatz, ihre | |
orangefarbenen T-Shirts tragen Aufschriften wie „King for a day“ oder | |
„Little Queen“. Hoch springen die Kinder in der oranje Hüpfburg, hoch lebe | |
der König. Die Erwachsenen, auch mal mit güldenem Papp-Krönchen, lauschen | |
derweil der Lokalband The Manatees, die Pop-Klassiker erschallen lässt wie | |
etwa Pinks „Raise Your Glass“: Darauf noch zehn Pilsje, Henk! Auf unseren | |
König, auf uns. | |
Ganz Baarle feiert? Eben nicht. Der zehnjährige Ruben, gewandet in ein | |
orangefarbenes Trikot des Fußballstars Matthijs de Ligt, feixt: „Meine | |
Freundin Bente musste heute in den Unterricht, ich nicht!“ Sie geht zur | |
belgischen Schule, Ruben nebenan hatte schulfrei. | |
Damit sind wir mitten bei Baarles großer Besonderheit. Ein Teil der | |
Gemeinde ist ein Sammelsurium belgischer Enklaven, die wiederum durchsetzt | |
sind mit niederländischen Territorialstücken. Ein vielteiliges | |
Staatenpuzzle, ein Weltkuriosum. 6.500 NiederländerInnen wohnen hier, 2.500 | |
BelgierInnen. Die Puzzlestücke heißen Baarle-Nassau oder belgisch: | |
Baarle-Hertog (Herzog). Da wollen wir doch mal sehen, ob die einen toben, | |
die anderen stumm danebenstehen. | |
## Der Feiertag bringt Umsatz | |
Am Koningsdag sind hier viele niederländische Geschäfte durchaus geöffnet – | |
mit Feiernden kann man gut Umsatz machen. Eine belgische Bäckerin hat, den | |
Nachbarn zum Gruße, ihre Eclairs statt mit Schokolade mit grell-orangenem | |
Zuckerguss überzogen. Très süß! Beim Dönermann gibt es zur Feier des Tages | |
Krautsalat gratis. | |
64 Enklaven gibt es auf Erden, also Landesteile, die vollständig von einem | |
anderen Staat umschlossen sind, 30 davon sind es in Baarle. Zudem: Sieben | |
dieser Baarler Enklaven, teils nur ein paar tausend Quadratmeter groß, | |
liegen selbst in einer Enklave. Das heißt dann Exklave, Sub- oder | |
Counter-Enklave. Wie eine Matroschka-Puppe aus Staatenstückchen. | |
Wo heute ein König gefeiert wird, hatten früher Herzoge, Barone und andere | |
Ausbeutergestalten das Sagen. 1198 hatten sie den Landstrich rund um Baarle | |
untereinander aufgeteilt – heraus kam ein Flickenteppich, der immer wieder | |
die Herren wechselte, aber die kleinteilige Struktur bis heute behielt. | |
Also nennt sich Baarle „Weltkapitale der Enklaven“. | |
## Ländertafeln bieten Orientierung | |
Beim Spaziergang quert man unablässig Ländergrenzen aus weißen Kreuzen mit | |
aufgemaltem B und NL, mal diagonal über den Bürgersteig, längs einer Straße | |
(aber nicht unbedingt in der Mitte), plötzlich abbiegend, wieder | |
auftauchend. Wir entdecken sogar ausgewiesene Zweiländerparkplätze. | |
Hausnummern haben zur Orientierung oft kleine Ländersymbole. Zahllose | |
Hinweistafeln bieten Orientierung. Trotzdem fragt man sich immer wieder: | |
Äähh, wo sind wir eigentlich gerade? Im Cafe „Den Engel“ steht ein Tisch … | |
Belgien, den man aus Spaß auch in die Niederlande schieben kann. | |
Oder dies aus Notwenigkeit tun musste, etwa 2020 während Corona, weil | |
Belgien seine Grenzen zeitweilig absperrte. Der niederländische Billigladen | |
Zeeman in der Stationsstraat, mittig von einer Grenze durchquert, musste | |
den belgischen Teil im Laden damals für Wochen absperren. Heute versuchen | |
wir etwas zum günstigeren belgischen Preis zu erstehen. Nichts da, sagt die | |
Inhaberin, Kasse und Türe stehen auf niederländischem Staatsgebiet. Das | |
zählt. | |
Seit 18 Jahren führt Willem van Gool ehrenamtlich das gemeinsame | |
Besuchszentrum der beiden Baarles. Er berichtet vom Leben mit den Grenzen, | |
die nicht nur durch Wohnhäuser und Geschäfte wie bei Zeeman gehen, sondern | |
auch durch das Kulturzentrum, die Bibliothek und sogar den Gemeindesaal. | |
Ein Haus werde tatsächlich horizontal zwischen den Etagen von der Grenze | |
gequert. Auch das Standesamt sei zweigeteilt: „Da muss man aufpassen, auf | |
welcher Seite man steht, sonst ist die Ehe ungültig.“ Ernsthaft? Willem | |
nickt grinsend: Ja. | |
## Konflikte auf dem Schulweg | |
Willem ist hier aufgewachsen mit niederländischer Mutter und belgischem | |
Vater: Zu seiner Schulzeit, erzählt er, hätten sich die belgischen und | |
niederländischen Kinder auf dem Schulweg immer fürchterlich gestritten. | |
Spottlieder gab es, in etwa übersetzt: „Belgier sind grob wie Stiere, ganz | |
ohne Manieren, sie beten nicht zu Gott, sondern zum Pisspott.“ Erst als die | |
Bürgermeisterin den Unterrichtsbeginn für ein Land veränderte, damit sich | |
die Kinder nicht mehr so leicht über den Weg liefen, wurde es besser. Zudem | |
wurde ein gemeinsamer Jugendclub gegründet, dort sang man zusammen. | |
Zum Koningsdag, erzählt der Mittsechziger mit zurückhaltendem Stolz, hat er | |
jetzt den Orden von Oranje-Nassau bekommen (seit 1892 verliehen, besondere | |
Verdienste für das Gemeinwesen). „Den darf ich aber nur zu bestimmten | |
offiziellen Anlässen tragen.“ Dann empfiehlt er uns den doppelnationalen | |
Wein mit Rebstöcken in beiden Ländern. | |
Erst 1995 wurden in Baarle verbindliche Katastergrenzen festgelegt. Dreh- | |
und Angelpunkt: die Tür. Ab sofort bestimmte bei Gebäuden auf | |
Grenzgrundstücken die Lage der Haustür verbindlich die Staatszugehörigkeit. | |
Zum Entsetzen einer 84-jährigen Belgierin: Nach 68 Jahren in ihrem | |
belgischen Heim Chaamseweg 10 sollte sie plötzlich in den Niederlanden | |
wohnen. Ungewollte Exterritorialisierung! Die belgischen Behörden empfahlen | |
mit landestypischem Pragmatismus: Drehen Sie die Tür und das Fenster doch | |
um 180 Grad! Man baute um. Die Tür wanderte auf die linke Seite und wurde | |
somit belgisch. Die Frau durfte beim anderen König bleiben. | |
## Pragmatismus statt Landesrecht | |
Heute arrangiert man sich im Baarler Enklavenrat. Hier treffen sich | |
Mitglieder der beiden Gemeinderäte regelmäßig, um verbindliche Lösungen für | |
Dinge zu finden, die eben nur zusammen gehen: Straßenbau, Müllabfuhr, | |
Feuerwehr. Während Corona empfahl der Enklavenrat die strengere belgische | |
Regelung zum bestmöglichen Schutz der BürgerInnen. Pragmatismus statt | |
stures Landesrecht. Deswegen teilen sich heute sogar die beiden Polizeien | |
ein Büro. „Man sucht Lösungen und Regeln, die im Alltag taugen. Mal sind | |
das die belgischen, mal die niederländischen, und mal erfinden wir hier | |
intelligentere neue Regelungen“, sagt Willem. | |
Am frühen Abend fließt bei den Königsfeiern noch mehr Bier. Überraschend | |
gibt es belgisches Hoegaarden, ein unerwartetes Zeichen guten Geschmacks. | |
Auf der Bühne wirkt jetzt zu vollem Playback der Chor „Young Voices“ (Alter | |
bis etwa 70) mit Welthits zum Mitsingen und einheimischem Volksliedgut, | |
etwa „Vader Abraham“. | |
Und die Zukunft? Die Monarchie schwächelt, nur noch jedeR Dritte unter 24 | |
Jahren befürwortet das Königshaus. Bente könnte am 21. Juli zurückfeixen, | |
an Belgiens Nationalfeiertag, Ruben hätte Schule. Aber wie gemein: Da sind | |
ja Sommerferien! Willem van Gool will seine Baarles derweil bis Jahresende | |
auf ein neues Niveau heben – mit dem Enklaven-Pass. Die Idee: Stempel | |
sammeln beim Besuch der 64 Weltenklaven. Für die 30 in Baarle muss er noch | |
stempelwillige BewohnerInnen finden. Einen Prototyp des Passes hat er schon | |
drucken lassen. | |
Wir sehen uns schon umherlaufen, über immer neue Grenzen gehen und bei | |
Enklaven-Botschaftern Stempel sammeln. Keine Frage: Ein Besuch in Baarle | |
wird immer lohnender. Lang leben die Könige! | |
3 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
Andrea Zoei Weber | |
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