# taz.de -- Thronwechsel in den Niederlanden: Willem der Letzte | |
> Am 30. April tritt Königin Beatrix ab, Sohn Willem wird neuer Regent. | |
> Nicht alle Niederländer werden in den Jubelchor einstimmen. | |
Bild: Königslied und Krönungstorte: Der Devotionalienhandel für die Zeremoni… | |
„Königin Beatrix. Den Haag“ steht auf dem Kuvert. Es ist etwas | |
überdimensioniert, 100 mal 50 Zentimeter groß und von diesem | |
unverwechselbaren Dunkelblau mit leichtem Violettstich, das alle | |
steuerpflichtigen Niederländer kennen. | |
Jeder scheint an diesem Morgen über die Kuverts zu reden, in der S-Bahn, im | |
Radio, denn es ist „blauer Freitag“ und damit die letzte Möglichkeit, zum | |
Monatsende die jährliche Steuererklärung einzureichen. | |
Anjo Clement ist ein aufmerksamer älterer Herr. Um auch die Königin an den | |
blauen Freitag zu erinnern, ist er in aller Frühe nach Den Haag gekommen. | |
Jetzt läuft er mit diesem übergroßen Umschlag, ordnungsgemäß addressiert an | |
die Steuerbehörde, durch den Wald in Richtung Huis ten Bosch, Beatrix’ | |
Wohnsitz. | |
Jogger ziehen vorbei, eine Kitagruppe in blauen T-Shirts wartet mit großen | |
Augen vor dem schmiedeeisernen Tor, und dann steht Clement vor einem jungen | |
Polizisten: „Wir haben hier eine Steuererklärung für die Königin“, sagt … | |
ernsthaft. „Die muss heute jeder abgeben, und sie doch auch, eigentlich?“ | |
## 40 Millionen Subvention | |
Es ist dieses „eigentlich“, das ihn an den Palast bringt. Natürlich weiß | |
er, dass das niederländische Königshaus, mit knapp 40 Millionen Euro an | |
Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln das teuerste in Westeuropa, von der | |
Steuerpflicht befreit ist. Clement ist Vorsitzender der republikanisch | |
gesinnten Nieuw Republikeins Genootschap (NRG). | |
Dass Beatrix und ihre Familie wie alle anderen Bürger Steuern zahlen sollen | |
und ihre Bezüge gesenkt werden, fordert die NRG seit ihrer Gründung vor 15 | |
Jahren. Dies sind die Nahziele. Langfristig wollen sie der „Herrschaft des | |
Hauses Oranje-Nassau ein Ende machen“, steht in ihrem Manifest. | |
An diesem Morgen steht Anjo Clement nicht allein vor dem Tor. Begleitet | |
wird er von einem schlaksigen jungen Mann mit schwarzer Stoppelfrisur. Er | |
trägt ein Jackett und einen lässig gebundenen Schal um den Hals, und in | |
einem Moment, in dem die Wache nicht hinsieht, zieht er mit geübtem Griff | |
einen Aufkleber aus der Tasche. Im nächsten Moment ziert das rot umrandete | |
Logo mit durchgestrichener Krone ein Messingschild neben dem Tor. Der Mann | |
zückt sein Handy, macht ein Foto und mit ein paar Daumenbewegungen hat er | |
es gepostet. Ein Grinsen hängt in seinen Mundwinkeln. Der Tag fängt gut an. | |
## Es ist 2013 | |
Gegen die Monarchie, sagt Gijs Peskens, ist er eigentlich schon, solange er | |
sich erinnern kann. Aber in den letzten Monaten widmet er sich verstärkt | |
einem Netzwerk namens „Het is 2013“ („Es ist 2013“). Die überwiegend j… | |
Mitglieder wollen die Thronübergabe am 30. April nutzen, um in der | |
Hauptstadt zu protestieren. Weil sie ein Königshaus „nicht mehr zeitgemäß�… | |
finden, fordern sie ein Referendum über dessen Zukunft. IT-Spezialist | |
Peskens, 27, ist einer der Köpfe der Bewegung. | |
Es ist eine eigentümliche Allianz, die da in diesem Frühjahr | |
zueinanderfindet, und deren Vertreter sich nun im Wald vor dem Schloss | |
treffen: auf der einen Seite die etablierten Republikaner, meist über 50 | |
und gut situiert, auf der anderen die junge, social-media-affine | |
Protestbewegung. | |
Fast scheint es, als wollten sie in Beatrix’ letzten Monaten auf dem Thron | |
auf ironische Weise unterstreichen, was die Anhänger des Königshauses so | |
oft zu seiner Verteidigung vorbringen: dass die Oranjes das Land vereinen, | |
dass sie Zusammenhalt bieten und Identifikation stiften, gerade in den | |
politisch turbulenten Jahren, die hinter den Niederlanden liegen. Und nun | |
wird ausgerechnet die Thronübergabe zum Amalgam zweier Gruppen, die zuvor | |
kaum Berührungspunkte hatten. | |
In der Welt von Gijs Peskens gibt es Computertüfteleien, Nächte vor dem | |
Bildschirm, Kaffeeflecken auf dem Taschenkalender und viel Aktivismus. Er | |
ist Mitglied der Piratenpartei und lebte als Occupy-Aktivist monatelang im | |
Amsterdamer Camp. „Schon als Achtjähriger habe ich mich über Ungleichheit | |
geärgert“, erzählt er, als er und Anjo Clement später ihre Aktion in einem | |
Ausflugscafé besprechen. „Das betraf Armut in Afrika ebenso wie die | |
Monarchie.“ | |
## Muse Joanna | |
Clement, der ganz seriös mit dunklem Mantel und Hut daherkommt, war im | |
Vergleich dazu ein Spätberufener. Mit Anfang 20 gründete er an der | |
Universität von Tilburg eine Studentengewerkschaft und war überhaupt viel | |
mit der Frage nach den Machtverhältnissen beschäftigt. „Da landet man | |
automatisch bei den Oranjes.“ | |
30 Jahre lang hat Clement für die Stadtverwaltung von Den Haag gearbeitet. | |
Unter anderem entwarf er eine Imagekampagne, um das Ansehen der Stadt, die | |
das Jugoslawien-Tribunal beherbergt, auf dem Balkan zu verbessern. Auch als | |
Pensionär will Clement von schwierigen Missionen nicht die Finger lassen. | |
Neulich schrieb er einen Brief an alle Abgeordneten: Einem König, der nicht | |
demokratisch gewählt ist, seien sie gar nichts schuldig. | |
Dass nun der seriöse Clement und der aktivistische Peskens zusammensitzen, | |
hat mit einer Frau zu tun, die Gijs Peskens “unsere Muse“ nennt und die im | |
Januar als „Studentin Joanna“ bekannt wurde. Wenige Tage nachdem die | |
Königin ihren Abschied verkündet hatte, besuchte sie Utrecht. Eine Gruppe | |
Menschen erwartete Beatrix an einer Absperrung, als Joanna zufällig | |
vorbeikam. Spontan besorgte sie sich ein Stück Pappe und bemalte sie mit | |
den Worten: „Es ist 2013! Weg mit der Monarchie!“ | |
Keine Minute später wurde sie von zwei Polizisten aus Sorge um die | |
öffentliche Ordnung abgeführt. Nach einem Talkshow-Auftritt war die | |
Studentin auf dem besten Weg zum Medienstar, doch dann trat die 23-Jährige | |
auf die Bremse. Heute hält sie sich am Rand der Protestbewegung, die sich | |
seither nach ihrem Karton „Het is 2013“ nennt. | |
Für die traditionelle republikanische Bewegung wurde der Fall Joanna zum | |
Weckruf. Endlich schien die Frage nach der Monarchie eine Rolle zu spielen, | |
und der Zustrom der meist studentischen Aktivisten wirkte wie eine | |
belebende Infusion. An einem Frühjahrsabend treffen sich alle Gruppierungen | |
in einem kleinen Kellerlokal im Zentrum von Utrecht: die etablierten | |
Republikaner, Vertreter der „Kritischen Studenten Utrecht“, einige ältere | |
Anarchisten und der niederländische Zweig der Menschenrechtsgruppe Hijos. | |
Vor der Versammlung teilen sie Flugblätter aus: Sie fordern, Jorge | |
Zorreguieta, den Vater der neuen Königin Máxima, vor Gericht zu stellen, | |
der zur Zeit der argentinischen Junta Staatssekretär für | |
Landwirtschaftschaft war. | |
## 14 Abgeordnete dagegen | |
Dann betritt Gijs Peskens das Podium. „In einer Demokratie müssen alle | |
Ämter allen zugänglich sein“, beginnt er. Und dann ist da wieder dieses | |
linkische Grinsen. „Wenn ich will, muss ich auch Staatsoberhaupt werden | |
können.“ Lachen im Publikum. Dann erläutert er die nächsten Schritte: | |
Während der offiziellen Zeremonie bei der Thronübergabe soll in kleinen | |
Gruppen protestiert werden, da in der näheren Umgebung schon vier Personen | |
als unerlaubte Demonstration gelten. Ein anarchistischer Blogger stimmt ihm | |
zu. | |
„Wir müssen uns trauen, die Oranjes auszulachen und öffentlich zu zeigen, | |
wie lächerlich sie sind. Ich hoffe auf lustige Szenen am 30. April.“ Und | |
dann fügt er hinzu: „Auf dass die antimonarchische Opposition zum letzten | |
Mal in einen Bierkeller passt.“ | |
Ein paar Wochen später sitzen Gijs Peskens und Anjo Clement auf dem Rückweg | |
vom Palast im Auto und erörtern den Stand der Dinge. „Hast du gehört? Der | |
Chef der Sozialdemokraten will, dass die Königin Steuern zahlt – | |
mittelfristig“, sagt Peskens. Auch Clement hat gute Nachrichten. Vier | |
weitere Abgeordnete wollen Willem-Alexander den Eid verweigern. „Damit sind | |
es insgesamt 14.“ | |
Ob das die Folge seines Briefes ist, vermag er nicht zu sagen. Immerhin, so | |
der alte Republikaner, sind das alles Zeichen dafür, dass sich die Dinge | |
ändern. „Ich denke, dass Willem wirklich der letzte König sein wird.“ Sein | |
junger Mitstreiter stimmt zu. Dann steigt Gijs Peskens aus und fährt mit | |
dem Zug weiter. Doch zuvor klebt er vor dem Bahnhof noch ein paar Sticker | |
mit durchgestrichener Krone an. | |
29 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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