# taz.de -- Kommentar Zypern-Verhandlungen: Ein Knäuel von Interessen | |
> Ist es überhaupt wünschenswert, dass Griechen und Türken auf Zypern | |
> wieder in einem gemeinsamen Staat leben? Es ist auf jeden Fall nötig. | |
Bild: Was wollen eigentlich die Zyprioten? Diese griechischen Bürger demonstri… | |
Es sind 49 Jahre vergangen, da begannen unter dem Dach der Vereinten | |
Nationen die ersten Zypern-Verhandlungen. Sie blieben, ebenso wie Dutzende | |
weitere Lösungsversuche, ergebnislos. 1974 gab es einen rechtsradikalen | |
Putsch bei den Griechen, die türkische Invasion führte zur Teilung der | |
Insel, später erklärten die Türken ihren Teil für selbstständig. | |
Die Verhandlungsführer von 1968 sind längst verstorben. Und Zyprioten im | |
Alter von unter 50 Jahren können sich nicht mehr an das Zusammenleben | |
zwischen Insel-Griechen und -Türken erinnern. „Friedhof der Diplomaten“ | |
wird der Zypern-Konflikt auch genannt – weil sich bisher alle Verhandler | |
daran die Zähne ausgebissen haben. | |
[1][In der Nacht zum Freitag war es wieder so weit]: Eine Zypern-Konferenz | |
in Genf wurde ergebnislos vertagt. Nun sollen zunächst Experten aller | |
Seiten ein Folgetreffen vorbereiten. Warum aber kommt man mit dieser | |
kleinen Insel nicht zu Potte? Und ist es überhaupt wünschenswert, dass | |
Griechen und Türken dort wieder in einem gemeinsamen Staat leben? Auf | |
Zypern hat die Zeit längst Fakten geschaffen. Viele Bewohner haben sich mit | |
der Teilung abgefunden und sich dabei nicht schlecht eingerichtet. Die | |
Vorstellung eines gemeinsamen Bundesstaats bedroht diese Bequemlichkeiten | |
sogar. Sie zwänge zu politischen Kompromissen mit dem vermeintlichen Feind. | |
Viele Zyprioten sind dazu nicht mehr bereit. | |
Sie türmen Bedingungen über Bedingungen auf, in der Hoffnung, die jeweils | |
andere Seite möge daran Gespräche scheitern lassen und dann den Schwarzen | |
Peter erhalten. Auch wenn den politischen Führern Nikos Anastasiades und | |
Mustafa Akinci diese Logik widerstrebt: Sie müssen sie berücksichtigen, | |
wollen sie nicht als Verräter gebrandmarkt werden. Akinci muss zudem | |
[2][Rücksicht auf die Türkei nehmen], von der seine Regierung politisch, | |
wirtschaftlich und militärisch abhängig ist. Das aber macht Kompromisse so | |
unendlich schwierig. Und deshalb verhandeln beide Seiten seit Monaten um | |
die Frage, ob der zyperntürkische Teil des geplanten Bundesstaats nun 28,2 | |
oder 29,2 Prozent der Fläche der Insel umfassen soll und andere | |
Absurditäten dieser Art. | |
## Die Macht hsitorischer Taumata | |
Zu den innenpolitischen kommen die äußeren Schwierigkeiten. Die Türkei | |
unterhält im Norden Zyperns eine Armee mit mehreren Zehntausend Soldaten. | |
Vielen türkischen Zyprioten, traumatisiert von brutalen Angriffen | |
griechischer Rechtsradikaler, gilt diese Truppe auch als Schutzmacht. Zwar | |
liegen die Attacken Jahrzehnte zurück, doch historische Erzählungen sind | |
rationalen Argumenten schwer zugänglich. | |
Für die Insel-Griechen wiederum symbolisieren diese Soldaten Tod, | |
Vertreibung und eine furchtbare Niederlage. Die türkische Armee war es, die | |
etwa 150.000 Menschen im Jahr 1974 zur Flucht aus ihren Dörfern und Städten | |
in den unbesetzten Süden zwang. Auch diese historische Erzählung wird von | |
Generation zu Generation weiter getragen. Deshalb verlangen die Griechen | |
den Abzug dieser Soldaten, während viele Zyperntürken sie behalten wollen. | |
Das aber erleichtert der türkischen Regierung ihre Position, auf dem | |
Verbleiben der Truppe zu bestehen. | |
Tatsächlich ist der Griff nach Zypern [3][auch in Ankara] Teil einer | |
nationalen Erzählung. Sie spricht von Blut, das nicht umsonst vergossen | |
werden durfte, von Helden, die die Flagge aufzogen und davon, dass man eine | |
einmal erlangte militärische Position nicht räumen dürfte. | |
Einen Kompromiss in diesem Knäuel von Interessen kann es nur geben, wenn | |
alle Seiten ihr Gesicht waren können. Dazu bedarf es ehrlichen Willens, und | |
der war auf Zypern und in dessen Umgebung in den vergangenen Jahrzehnten | |
höchst unterschiedlich ausgeprägt, um es vorsichtig auszudrücken. Jetzt | |
sind die Partner auf Zypern zwar zum Frieden in einem gemeinsamen | |
Bundesstaat bereit, allein die Türkei beharrt weiter auf ihrer | |
militärischen Präsenz. Dort gibt es wichtigeres als die Insel. Recep Tayyip | |
Erdogan will ein Präsidialsystem installieren, und dazu benötigt er die | |
Zustimmung der radikalen Nationalisten, für die ein Abzug einer Schmach | |
gleichkäme. | |
## Auch ein eigefrorener Konflikt kann wieder heiß werden | |
Deshalb ist es alles andere als verwunderlich, dass die Genfer | |
Zypern-Konferenz ergebnislos geblieben ist. Umgekehrt ist es schon ein | |
gewisser Fortschritt, dass man sich erneut treffen möchte. Ein Kompromiss | |
wäre nicht unmöglich, mit lang gestreckten Übergangszeiten beim Abzug der | |
türkischen Armee und mit großzügigen Hilfen für die ärmeren türkischen | |
Zyprioten. Ob es dazu kommen wird, wissen nur die Götter. | |
Gewiss aber ist, dass eine Zypern-Lösung dringend gebraucht wird, und das | |
nicht nur wegen des eingefroren Konflikts auf der Insel selbst, wo schon | |
lange keine Schusswechsel mehr zu verzeichnen sind. Dafür gibt es zwei | |
gewichtige Argumente. | |
Die Sicherheitslage im Nahen Osten ist nicht gerade so, dass sie zu | |
Optimismus Anlass gäbe. Auch eine eingefrorener Konflikt kann bei | |
veränderten äußeren Bedingungen wieder heiß werden. Und die Zypernfrage hat | |
schon zweimal dazu geführt, dass es beinahe zu einem Krieg zwischen | |
Griechenland und der Türkei gekommen wäre. | |
Vor allem aber braucht die Welt im allgemeinen und die Europäische Union im | |
besonderen, gefährdet von einem undurchschaubaren US-Präsidenten Donald | |
Trump und Expansionsgelüsten in Moskau, zerrissen vom Brexit und dem | |
Wiederaufleben des Nationalismus, dringend eine positive Nachricht. Zypern, | |
das könnte ein Signal dafür werden, dass sich Jahrzehnte alte | |
nationalistisch geprägte Konflikte lösen lassen. Nichts wäre wichtiger in | |
diesen Tagen. | |
13 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] //!5371024/ | |
[2] /!5372412/ | |
[3] /!5368995/ | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
Zypern | |
Griechenland | |
Putschversuch Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Zypern | |
Zypern | |
Reiseland Zypern | |
Zypern | |
Zypern | |
Zypern | |
Zypern | |
Zypern | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zypern bei der EU-Wahl: Der erste Türke für Europa | |
Niyazi Kızılyürek ist türkischer Zypriote und kandidiert im griechisch | |
geprägten Zypern für das EU-Parlament. Seine Chancen stehen sogar gut. | |
Wahlen in Zypern: Präsident Anastasiades regiert weiter | |
Der amtierende konservative Präsident Nikos Anastasiades geht als Sieger | |
aus der Stichwahl. Der linke Gegenkandidat Stavros Malas unterliegt. | |
Wahl in Nordzypern: Die Linke hat schlechte Karten | |
Bei der Wahl im türkischen Teil Zyperns räumen die Konservativen ab. Die | |
Wiedervereinigung hat für die Stimmbürger nur geringe Prioriät. | |
Praxistest für Reiseleiter: Für viele ein Traumjob | |
Bei einer Reise nach Nordzypern können sich angehende ReiseleiterInnen in | |
der Praxis ausprobieren. Eine akribische Vorbereitung ist unerlässlich. | |
Konferenz zum Zypern-Konflikt: Immerhin kein Desaster | |
Bei einer Zypern-Konferenz in Genf wird nach einem Sicherheitsabkommen für | |
das Ende der Teilung gesucht. Heikel ist die Rolle der Türkei. | |
Kommentar Friedensgespräche Zypern: Nicht ohne die Türkei | |
In Genf beginnen Friedensverhandlungen für Zypern. Ohne Zustimmung Ankaras | |
wird eine wirkliche Lösung für den geteilten Inselstaat nicht zu haben | |
sein. | |
UN-Gipfel zu Zypern: Vielleicht ein historischer Moment | |
Erstmals seit Jahrzehnten treffen sich die Garantiemächte Zyperns, um den | |
Konflikt zu lösen. Die Präsenz türkischer Truppen gilt als Stolperstein. | |
Zypern-Gespräche in der Schweiz: Wiedervereinigung verschoben | |
Die Zypern-Verhandlungen wurden ohne Ergebnis beendet. Überraschend reisten | |
die Staatschefs der beiden Inselteile ab. Ein weiteres Treffen steht noch | |
nicht fest. | |
Geteilte Insel: Zypern-Lösung so nah wie nie | |
Ab Montag verhandeln griechische und türkische Zyprioten über ein Ende der | |
Teilung. Ein Problem: die Präsenz türkischer Truppen im Norden. |