# taz.de -- Kommentar Ukraine: Keine Kompromisse | |
> Wenn die Demonstranten jetzt nachlassen, gibt es eine schreckliche | |
> Niederlage. Janukowitsch wird sich an keine Absprachen halten. | |
Bild: Durchhalten in Kiew. | |
Die Aufforderungen von Frank-Walter Steinmeier, Regierung und Opposition in | |
der Ukraine sollten sich doch bitte friedlich einigen und Kompromisse | |
schließen, sind riskant. Steinmeier biedert sich damit nicht nur an die | |
Regierungen der Ukraine (und Russlands) an, seine Äußerungen widerlegen | |
auch die bekundeten guten Absichten. | |
Man kann den dortigen Widerstand nicht nach taktischen Gesichtspunkten | |
verstärken oder verringern wie Polizeieinsätze. Dass sich Janukowitsch in | |
die Krankheit zurückgezogen hat, ist ein Indiz dafür, dass sich die | |
Sicherheitskräfte ohnehin vorbereiten, mit aller Macht loszuschlagen, zeigt | |
aber auch, wie stark die Opposition gegenwärtig noch ist. Die Folge einer | |
Niederlage wäre eine nachhaltige Entpolitisierung der ukrainischen | |
Bevölkerung beziehungsweise ihrer jetzt mobilisierten Teile. | |
Die Sprecher der Oppositionsbewegung hatten daher recht, als sie den | |
Eintritt in die Regierung verweigerten. Sie hätten sich rasch diskreditiert | |
und wären ohne den Rückhalt der rebellischen Menge von Janukowitsch wieder | |
gefeuert worden. | |
In den deutschen Medien erscheinen die Führer der Opposition besonders | |
gewichtig zu sein, auf „Augenhöhe“ mit Janukowitsch oder Putin – vor all… | |
unser aller Boxweltmeister Vitali Klitschko. Er ist ist zivil und | |
vergleichsweise sympathisch und er hat auf der Tribüne eine wichtige | |
Funktion. Er kann redend den Widerstand verstärken oder schwächen. Doch er | |
kann ihn nicht steuern. Denn die Menge auf dem Maidan agiert, ohne auf ihn | |
als Befehlshaber zu hören. | |
## Von Janukowitsch ist nichts zu erwarten | |
Von der anderen Seite Kompromisse zu erwarten wäre blauäugig. Sie setzen | |
Verhandlungspartner voraus, die sich an ihre Zusagen halten müssen und | |
können. Janukowitsch aber wird sich in dieser zugespitzten Lage auf keinen | |
Fall an für ihn ungünstige Absprachen halten, sofern er sie unterlaufen | |
kann. Sobald die Demonstranten nach Hause gegangen sind, wird er sein Wort | |
brechen. | |
Keine Regierung ist unabhängig von ihrer Machtbasis. Gerade deshalb setzt | |
der demokratische Rechtsstaat ja eine freie öffentliche Sphäre und eine | |
funktionierende Zivilgesellschaft voraus. Denn es gibt überall und immer | |
auch andere Akteure, die ein eher distanziertes Verhältnis zur | |
Öffentlichkeit haben. Je stärker segmentiert und je uninformierter diese | |
ist, desto freier können sich die Schattenstrukturen entfalten. | |
Zu ihnen gehören in der Ukraine und in Russland die keineswegs geschlossen | |
und einheitlich funktionierenden, aber in gleicher Weise korrupten | |
Gewaltapparate. Sie sind offenbar kaum beherrschbar. Die Position der | |
Oligarchen ist hingegen unterschiedlich. | |
## Entpolitisierte Gewaltapparate | |
In Russland ist es Putin gelungen, sie weitgehend zugunsten der | |
Gewaltapparate zu entpolitisieren. In der Ukraine sind die Oligarchen | |
gegenüber Janukowitsch vergleichsweise stärker. Sie hätten sowohl im Fall | |
einer russischen Übermacht etwas zu verlieren wie durch EU-Sanktionen; und | |
sie handeln rationaler, strategischer und in der Regel politisch klüger als | |
die Gewaltstrukturen – auch wenn sie sich keineswegs am Gemeinwohl | |
orientieren. Auf jeden Fall sind sie zuverlässiger als ein angezählter | |
Präsident, der sich verzweifelt an die Macht und den errafften Wohlstand | |
klammert. | |
Angesichts der Machtverhältnisse wirken die deutsche und die europäische | |
Außenpolitik nahezu naiv. Natürlich würden gerade im ukrainischen Fall | |
wohlorchestrierte Sanktionen der rebellischen Zivilgesellschaft im Kampf | |
gegen die Oligarchen helfen. | |
Sollte der ukrainische Aufstand erfolgreich sein, würde ein Paradies der | |
Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der wirtschaftlichen | |
Prosperität nicht ohne Korruption entstehen. Könnte die Außenpolitik | |
Deutschlands die listige Absicht haben, die Ukraine aus der EU | |
herauszuhalten, weil man sich mit Bulgarien und Rumänien schon genug | |
Probleme eingehandelt hat, die man nicht mehr zu kontrollieren weiß? | |
31 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Erhard Stölting | |
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