| # taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Stolz auf die Jugend von heute | |
| > Früher hieß Öko-Revolte, dass man der Eltern-Generation den Stinkefinger | |
| > zeigte. Heute sind viele zugleich engagiert und entspannt. | |
| Bild: Die Staatsmacht trägt sie auf Händen: Protestierer bei „Ende Gelände… | |
| Mein Ältester ist am Telefon: „Hallo Papa, die Polizei hat uns gerade die | |
| Grundrechte entzogen.“ Er klingt ganz begeistert. Mit ein paar tausend | |
| anderen saß unser Sohn am letzten Wochenende irgendwo am Hambacher Tagebau | |
| in einem Polizeikessel. Coole Leute, sagte er, gute Aktion, dieses „Ende | |
| Gelände“ da müsse man doch hin. Also verbrachte er kurzentschlossen zwei | |
| Nächte im Fernbus, um sich die Grundrechte entziehen zu lassen. | |
| Ich war nie wirklich das, was man einen stolzen Vater nennt. Ich finde es | |
| seltsam, wie begeistert Eltern oft davon sind, wenn ihr Nachwuchs nicht | |
| völlig aus dem Ruder läuft. | |
| Aber meine Kinder und ihre Altersgenossen erstaunen mich immer wieder: Sie | |
| demonstrieren gegen die Agrarindustrie oder die Kohlelobby so | |
| selbstverständlich wie sie nächtelang am Computer ballerspielen. Für sie | |
| ist Autofahren etwas, was Opas und Omas machen. Ihre Klamotten kaufen sie | |
| Second Hand, bestehen auf fairer Schokolade und sind alle Vegetarier oder | |
| Schlimmeres. | |
| Die Freundin meines Sohnes flog in den Herbstferien nicht mit ihren Eltern | |
| in den Süden, sondern fuhr per Bus in die Alpen. Weil: Fliegen ist böse. | |
| ## Die Jungen wissen: Für sie ist immer weniger da | |
| Klar, da ist viel jugendlicher Sturm und Drang dabei. Aber das soziale und | |
| ökologische Bewusstsein kommt bei vielen ganz selbstverständlich daher, ist | |
| mein Eindruck. Viele – vielleicht ja auch nur eine Minderheit – haben | |
| begriffen, dass für sie nicht mehr viel übrig bleibt, wenn wir jetzt alles | |
| auffressen. So ganz geschlafen haben sie also nicht, als es in der Schule | |
| um Kohle, Klima, Plastikmüll und Artensterben ging. | |
| Sie engagieren sich sogar, obwohl ihre Lehrer und Eltern das gut finden. | |
| Sowas ging bei uns ja gar nicht. Was haben wir uns mit unseren Eltern alles | |
| an den Kopf geworfen, als es ums Waldsterben ging oder um diese | |
| Nachrüstung, die nicht Autos, sondern Atomraketen betraf. Früher ging | |
| Revolte nur, wenn man damit den alten Säcken den Stinkefinger zeigen | |
| konnte. Heute bedankt sich die Revolution artig bei Mama und Papa für die | |
| Demo-Sandwiches. | |
| Wächst da die Avantgarde heran, die endlich die Welt rettet? Jüngste | |
| Umfragen lassen leider daran zweifeln: Demnach ist die Bedrohung der Umwelt | |
| bei Jüngeren weniger Thema ist als bei uns Grufties. Und die Jugend ist | |
| zwar für Öko, aber beim Konsum, bei Klamotten und beim Handy will sie keine | |
| Abstriche machen. Man schlage ihnen auch mal vor, nur alle fünf Jahre zu | |
| ihren Freunden nach Chile zu fliegen: Krasse Idee, Alter, chill mal! | |
| Vielleicht haben unsere Kinder was von uns geerbt. Nämlich: Bei allem | |
| Widerspruch zum Kapitalismus selbst voller Widersprüche zu leben. Wir | |
| hinterlassen ihnen ja nicht nur einen Planeten, auf dem wir den Bestand | |
| aller wilden Wirbeltiere rücksichtslos dezimiert haben. Sondern auch | |
| Wissen, Technik und Geld, um vieles viel besser zu machen als wir. | |
| Wenn ich mir die Generation Hambi ansehe, denke ich: Wir haben als Eltern | |
| vielleicht doch nicht alles falsch gemacht. Vor allem haben wir vor 20 | |
| Jahren nicht auf die Leute gehört, die jammerten: „In diese Welt kann man | |
| keine Kinder setzen.“ Doch, kann man. Sollte man sogar. | |
| 3 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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