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# taz.de -- Klimakrise und Überfischung: Deutschlands Abschied vom Dorsch
> Die Population des Fischs vor der deutschen Ostseeküste hat wohl einen
> Kipppunkt überschritten. Dass sie sich wieder erholt, ist
> unwahrscheinlich.
Bild: Macht sich rar: der Dorsch
Berlin taz | Der [1][Dorschbestand] in der westlichen Ostsee ist einer
neuen Studie zufolge zusammengebrochen. Das Papier, das kürzlich in der
Fachzeitschrift [2][Nature Science Report] veröffentlicht wurde, kommt zu
dem Schluss, dass diese Fischpopulation ihren Kipppunkt überschritten hat.
„Wird solch ein Kipppunkt erreicht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein
befischter Bestand sich schnell erholt“, teilte die Universität Hamburg
mit, deren Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) die
Federführung hatte.
Für die Fischerei in der Ostsee gehört der Dorsch zum
Brot-und-Butter-Geschäft. Neben dem Hering ist er wesentlicher Beutefisch
für eine Handvoll Trawler und 1.100 kleine Kutter. Sie prägen das Ambiente
der Ostseeküste, ihre Identität und stellen Arbeitsplätze.
All das ist bedroht. Die Fangmengen sind in den vergangenen Jahrzehnten im
Vergleich zur Mitte der 90er Jahre um 80 Prozent zurückgegangen, wie es die
[3][Daten des Heinrich-von-Thünen-Instituts] zeigen.
Zwar gab es wie 2016 immer mal wieder starke Jahrgänge, aber wie
Studienleiter Christian Möllmann von CEN vermutet, war das ein letzter
Ausreißer: Die Überfischung und der Klimawandel hätten das heutige niedrige
Niveau verfestigt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft gute Jahrgänge
kommen, ist gering“, sagt Möllmann.
## Ökosystem noch weitgehend unerforscht
Zusammen mit Kollegen des Centers for Ocean and Society (CeOS) an der Uni
Kiel und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung
(iDiv) Halle-Jena-Leipzig hat Möllmann Fischereidaten von Jahrzehnten
mithilfe statistischer Modelle ausgewertet.
Sie stützten sich dabei auf die „Katastrophentheorie“, die sonst auch zur
Vorhersage von Börsencrashs oder dem Kollaps von Gebäuden genutzt wird.
Ihre Anwendung legt nahe, dass der Dorschbestand in der westlichen Ostsee
einen neuen stabilen Zustand auf niedrigem Niveau erreicht hat.
Ursache hierfür sei das Zusammentreffen zweier Faktoren, sagt Möllmann: Die
jahrzehntelange Überfischung habe die Elterngenerationen verkleinert. Und
schlechtere Umweltbedingungen erschwerten es dem Bestand, sich zu erholen.
Möllmann räumt ein, dass das Ökosystem noch weitgehend unerforscht sei.
„Keiner kann behaupten, dass er weiß, was passiert – außer dass die
geringere Nachwuchsproduktion mit der Erwärmung korreliert.“
Möllmann kritisiert, dass die Umweltveränderungen bisher nicht in die
Bestandsprognosen des Internationalen Rats für Meeresforschung ([4][Ices])
eingeflossen seien, an denen die EU ihre [5][Fangquoten] ausrichtet.
Deshalb sei zu viel gefangen worden und der Bestand eingebrochen.
An der Studie gibt es aber auch Kritik. Christopher Zimmermann vom
Thünen-Institut, deutscher Vertreter beim Ices, findet die
Kipppunkt-Theorie interessant. Letzlich sei sie aber ein alter Hut. „Früher
haben wir das Regime-Shift genannt“, sagt er. „Das Problem ist, dass man
das nur in der Rückschau sehen kann.“
Möllmann wirft er vor, dass er und seine Kollegen aus vier vergangenen
stabilen Perioden mit unterschiedlichen Niveaus auf die Zukunft schließen
würden. Das sei aber unseriös, weil sie nur einen statistischen, aber
keinen funktionalen Zusammenhang feststellten. Auch der Ices berücksichtige
Umweltveränderungen, behelfe sich beim Dorsch deshalb aber mit dem
Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.
Und was sagt die betroffene Branche? Peter Breckling vom Deutschen
Fischereiverband räumt ein, dass es grundlegende Veränderungen in der
westlichen Ostsee geben könnte, sagt aber: „Die Reduzierung der Fangmenge
ist nicht unbedingt die alleinige Schlüsselgröße.“
17 Aug 2021
## LINKS
[1] /Ostseefischer-zu-niedrigerer-Fangquote/!5720279
[2] https://www.nature.com/articles/s41598-021-93843-z
[3] https://www.fischbestaende-online.de/fischarten/kabeljau-dorsch/dorsch-west…
[4] http://www.ices.dk/
[5] /Kritik-an-deutscher-Fischereipolitik/!5782868
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Nachhaltigkeit
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Dorsch
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