# taz.de -- Klamotten in Belarus: Die falsche Hose | |
> Ein Galonstreifen in weiß-rot-weiß bringt einer Frau in Grodno eine | |
> Geldstrafe ein. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. | |
> Folge 59. | |
Bild: Richtige Mütze? Richtiger Mundschutz? – Frau in Minsk im November 2020 | |
Am vergangenen Sonntag fuhr ich in Minsk mit der Metro, in den Zügen war es | |
still und menschenleer. Um elf Uhr morgens schlief die ganze Stadt noch. | |
Die Erinnerung an den August 2020 kam zurück. Als wir Metro fuhren und der | |
Metrofahrer des Zuges, vollgestopft mit klugen Menschen, die Luftballons | |
und Flaggen in den Händen hielten, schrie: „Es lebe Belarus!“ Und der ganze | |
Waggon antwortete ihm im Chor: „Es lebe ewig!“ Wissen Sie, das erinnerte an | |
den Tag des Sieges (9. Mai, Nationalfeiertag in Ländern der ehemaligen | |
UdSSR, an dem an den Sieg der Sowjetunion über das nationalsoszialistische | |
Deutschland 1945 erinnert wird, Anm. d. Redaktion). | |
Zum Glück wird das mobile Internet mittlerweile sonntags nicht mehr | |
abgestellt, draußen ist es wärmer geworden und die Menschen kommen jetzt | |
wieder zahlreich zu den Protestdemonstrationen. Die | |
Menschenrechtsorganisation Wjasna hat [1][Listen aller Verhafteten in ganz | |
Belarus] veröffentlicht. Am Abend des 31. Januar kehrten ungefähr 170 | |
Menschen nicht zurück in ihre warmen Wohnungen, sondern blieben in | |
Erwartung ihres Gerichtsurteils im Gefängnis. Schon seit einem halben Jahr | |
sind die Belarussen nicht einverstanden damit, wie die Wahlen | |
„stattgefunden“ haben. Und ganz gleich, welchen Repressionen sie ausgesetzt | |
sind, sie hören nicht auf, für ihre Stimmen zu kämpfen. | |
Wir haben uns schon „gewöhnt“ an [2][absurde Verhaftungen]. Aber folgende | |
Geschichte kann ich nicht unerwähnt lassen. Im Januar ging Ljubow Sarlaj, | |
Mutter zweier kleiner Kinder, mit ihrer Freundin im Zentrum von Grodno | |
spazieren. Als sie sich gerade einen Kaffee holten, sah sie, wie | |
OMON-Männer auf sie zugerannt kamen. Sie trug eine Hose mit Galonstreifen, | |
also einer seitlich aufgesetzten Borte, die an die weiß-rot-weiße Symbolik | |
erinnert, die jetzt von den Machthabern überall ausgemerzt wird. | |
„Es war ein ganz normaler freier Tag, keine Demos oder | |
Protestveranstaltungen“, erzählt Ljubow. Wir wollten nur ein bisschen | |
frische Luft schnappen, quatschen, spazieren gehen. Aber als wir schon auf | |
dem Weg zurück zu meinem Auto waren, kam die Sonderpolizei OMON mit der | |
Absicht, mich festzunehmen. Ich war verwirrt. Ich hatte nur ein paar | |
unbeobachete Sekunden, um meiner Familie mitzuteilen, dass ich über Nacht | |
vermutlich nicht nach Haus kommen würde. | |
Gerichtsprozess via Skype | |
Ein bisschen später habe ich versucht, wenigstens den Grund für die | |
Festnahme herauszufinden. Sie fragten mich: „Sie wollen sagen, dass Sie so | |
eine Hose ohne Grund tragen?“ Es stellte sich heraus, dass meine Kleidung | |
die öffentliche Ordnung stört. Vor Gericht habe ich erklärt, dass ich diese | |
gefütterte Hose mit Muster schon seit 2014 trage. | |
Letztendlich blieb Ljubow für einen Tag in Haft, dann wurde sie entlassen, | |
weil sie im Mutterschaftsurlaub war und zu Hause ihre Kinder auf sie | |
warteten. | |
„Der Gerichtsprozess fand über Skype statt, einen Tag nach dem Vorfall“, | |
erinnert sich Ljubow. Der Zeuge (ein OMON-Mitarbeiter, der die Frau | |
festgenommen hatte), sagte: Ljubow Sarlaj habe geschrien: „Es lebe | |
Belarus“. „Aber ich trug keine Maske und auf den Videoaufnahmen ist | |
deutlich zu hören, dass nichts dergleichen vorgefallen ist. Das Gericht hat | |
das ignoriert. Ich muss (umgerechnet) 187 Euro Strafe zahlen und wurde | |
angeklagt, gegen die Anordnung der Durchführung von Massenveranstaltungen | |
verstoßen zu haben (Artikel 23.34 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten). | |
Die Strafe an den Staatshaushalt hat Ljubow bislang nicht gezahlt, sondern | |
Widerspruch gegen das Urteil eingelegt. | |
„Das ist doch wirklich blödsinnig und absurd. Die Hose werde ich auch | |
weiterhin tragen. Nach diesem Vorfall haben die Zeitungen über mich | |
geschrieben, die Polizei sieht mich schief an. Nach den Wahlen, als die | |
Machthaber beschlossen hatten, alle Belarussen zum Schweigen zu bringen, | |
konnte ich diesen Ungerechtigkeiten nicht tatenlos zusehen. Im August und | |
September bin ich zu Demos gegangen. Am 8. März soll ich wieder mit der | |
Arbeit beginnen, bei der Post. Aber sie haben mir schon zu verstehen | |
gegeben, dass mich dort Schwierigkeiten erwarten wegen meiner politischen | |
Ansichten. Doch selbst, wenn sie mich rausschmeißen, bleibe ich bei meiner | |
Meinung.“ | |
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey] | |
5 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Olga Deksnis | |
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