# taz.de -- Khuon über Regisseur im Hausarrest: „Ein Zeichen für Kirill“ | |
> Kirill Serebrennikov steht in Moskau unter Hausarrest. Das Deutsche | |
> Theater in Berlin zeigt zwei Stücke von ihm. Ein Gespräch mit dem | |
> Präsident des Bühnenevereins. | |
Bild: Szene aus „Machine Müller“ von Kirill Serebrennikov und dem Gogol Ce… | |
taz: Herr Khuon, Sie waren im Februar mit dem Deutschen Theater in Moskau | |
am Gogol-Center zu Besuch. Wie ist es dort gelaufen? | |
Ulrich Khuon: Das war überwältigend. Wir haben gehofft, dass es eine | |
Verwandtschaft zwischen den beiden Theatern gibt, was die | |
gesellschaftspolitische Energie von Theaterarbeit angeht, und das haben | |
wir dort auch gespürt. Natürlich findet Theater in Moskau unter ungleich | |
schwierigeren Bedingungen statt, das ist schon klar. Wir haben „Berlin | |
Alexanderplatz“ gezeigt, von Sebastian Hartmann, das war für das Publikum | |
des Gogol-Theaters ein ungewohnt langer Abend, über vier Stunden. Das | |
Publikum ist sehr jung und scheint politisch sehr bewusst. Das merkt man in | |
Gesprächen, auch nach vier Stunden Theater war da ein großes Bedürfnis zu | |
diskutieren. Man spürte, dass der Regisseur Kirill Serebrennikov sich | |
zusammen mit seinem Theater einen Ort erschaffen hat, wo eine große | |
Neugierde und Offenheit und auch ein widerständiges politisches Bewusstsein | |
vorhanden sind. | |
Kirill Serebrennikov steht seit August letzten Jahres unter Hausarrest. | |
Konnten Sie mit ihm persönlich reden? | |
Nein, das wird unterbunden. Der Kontakt ist nur indirekt. Die Schikane des | |
Hausarrest liegt auch darin, dass Kirill völlig abgeschnitten wird von der | |
Öffentlichkeit und auch von seinem eigenen Theater. Der zweite Schritt ist | |
der, dass der Arrest immer wieder neu verlängert wird, die Anklageschrift | |
erweitert wird. Die Beträge der Veruntreuung, die ihm vorgeworfen wird, | |
wachsen. Das geht jetzt bis Mai. | |
Wann haben Sie den Plan gefasst, das Gogol-Center mit zwei Inszenierungen | |
von Kirill Serebrennikov ins Deutsche Theater einzuladen und dort zu | |
spielen? | |
Das Interesse an seiner Arbeit existiert schon länger. An der Komischen | |
Oper hat er 2012 „Lulu“ inszeniert, ich habe auch „Salome“ in Stuttgart… | |
der Oper gesehen. Dann habe ich ihn angesprochen und dachte, so eine | |
kraftvolle, metaphernreiche Inszenierungsweise täte uns gut. Er hatte | |
großes Interesse, auch bei uns zu arbeiten. Vor zwei Jahren haben wir ihn | |
in seinem Theater besucht. Da entstand dann das Gefühl, dass die | |
Lebendigkeit, die Intensität der Kommunikation, aber auch die Ausgestaltung | |
des Theaters für ein Forum steht, wie wir uns das auch wünschen. | |
Es geht bei den Gastspielen Ende März also nicht nur um ihn als Regisseur? | |
Schon damals entstand der Plan, dass er nicht nur bei uns inszeniert, | |
sondern sich die Theaterhäuser auch jeweils in der anderen Stadt | |
vorstellen. Es wird bei uns am DT neben den Vorstellungen auch Einführungen | |
und Nachgespräche sowie eine große Diskussion über die Situation in Moskau | |
und vor allem die von Kirill geben, wir zeigen Filme von ihm, sodass man | |
als Zuschauer eine Vorstellung von seiner Theaterarbeit als Ganzem | |
entwickeln kann. | |
Ist so ein Austausch einfach zu realisieren? | |
Ohne das Goethe-Institut hätten wir das nicht hinbekommen. Die haben das | |
sehr wichtig genommen, die Hilfe des Leiters Rüdiger Bolz und von Astrid | |
Wege war Gold wert. Sie schildern, dass die politische Aufgeladenheit vor | |
Ort sehr hoch ist und trotzdem eine Bereitschaft existiert, sich zu | |
positionieren. Man vermutet, dass die Situation angstbesetzt ist, aber | |
davon spürt man, wenn im Theater ist, in den Diskussionen wenig. | |
Kommen werden zwei Inszenierungen von Serebrennikov, „Kafka“ und „Machine | |
Müller“. Was kann man da erwarten? | |
Die beiden Inszenierungen sind typisch für seinen Stil, sehr körperbetont, | |
sehr ausdrucksstark. Er sucht die Energie, die Kraft, die Schönheit der | |
Körper. Und er schreitet in beiden Stücken einen Kosmos ab, sie gehen über | |
einzelne Texte von Kafka und Müller hinaus. Das ist jeweils ein Versuch, | |
über eine Figur, Kafka und Müller, eine ästhetische Welt zu entwickeln. | |
Kafkas Welt ist sehr hermetisch und gekennzeichnet von einer endlosen | |
Bedrohung und dem Abarbeiten am Nichterreichbaren. Heiner Müllers negatives | |
Geschichtsbild ist eine Folie, auf der man Theaterarbeit in Moskau sehr gut | |
verstehen kann. Düster, aber nicht depressiv. Von den Schauspielern sind | |
viele jung, sie tragen das kraftvoll, ohne Schwermut. | |
Also nicht wie das Klischee vom schwermütigen Russland. | |
Auch bei früheren Reisen nach Russland habe ich erfahren, dass das Reden, | |
das endlose Reden, oft kein Lamento ist, sondern eine Art Rettungsversuch, | |
eine Art Beschwörung. Wir werden ein besseres Leben haben, es wird uns | |
besser gehen in der Zukunft. Gleichzeitig ist die Gefahr da, dass das | |
Beschwören das Handeln ersetzt. So entsteht ja auch die Frage: Schafft die | |
Demokratie sich selber ab? | |
Wie meinen Sie das jetzt? | |
Im Moment ist eine Mehrheit in Russland ja wohl der Meinung, so wie es mit | |
Putin läuft, ist es nicht falsch. Man hat immer noch das Bild, dass | |
Diktaturen konstituiert werden über militärische Macht und durch Terror und | |
das Volk kleingehalten wird. Inzwischen sieht man, unter anderem auch in | |
Ungarn oder Polen, dass die Sehnsucht groß ist nach einer autoritären, | |
durchsetzungsstarken, diktatorischen Führung. | |
Mit Blick auf diese gesellschaftlichen Veränderungen, wie sehen Sie die | |
Rolle des Theaters? Sie haben kürzlich gesagt, vor diesem politischen | |
Hintergrund werden sie wieder wichtiger. | |
Ich denke schon, dass wir als Gesellschaft spüren, dass wir in dem | |
berechtigten Versuch, alles in Frage zu stellen, die Grundlage dessen, was | |
wir haben, die Demokratie oder Europa, auch gefährden. Deshalb ist es | |
wichtig, dass man jenseits der Politik offene, gesprächsintensive Orte hat | |
im Vorfeld und in den Zwischenräumen politischer Entscheidungen. Das sind | |
die Orte der Kunst, die ja im Grunde eine Schicht dazwischenlegen, die sich | |
nicht gleich an Parteipolitik orientiert. Da ist ein riesiges Bedürfnis, | |
sich auch in analogen Räumen zu bewegen und die Fragen an die Gesellschaft | |
positiv und kritisch zugleich zu gestalten. | |
Die Künste sehen sich sehr auf der Seite des Zweifels; ist positiver zu | |
denken neu für sie? | |
Künstler sind Widerspruchsgeister. Aber wenn nur noch Widerspruch da ist, | |
bleibt die Frage, wofür stehen wir eigentlich, auch berechtigt. Das kann | |
auch verhandelt werden in den Künsten. Die Politik allein, ihre | |
Bindungskräfte sind da überfordert. | |
Dass Sie das Gogol-Center jetzt einladen, ist auch eine politische Geste | |
der Unterstützung des Regisseurs Kirill Serebrennikov. | |
Es ist mehr als eine solidarische Geste, es gibt schon länger eine | |
Beziehung, das Gastspiel war unter anderen Aspekten geplant. Aber jetzt | |
geht es erst recht darum, das hinzukriegen. Es ist ein Zeichen für Kirill | |
und dafür, dass auch die russische Gesellschaft dem Widerspruch einen Raum | |
geben soll. Das tut sie auf unterschiedlichen Wegen nun überhaupt nicht, | |
den Umgang mit Regimekritikern kann man nicht verharmlosen. Welche Kraft | |
die Aktion „Free Kirill“ hat, ist schwer einschätzbar. Aber sie hat auf | |
jeden Fall eine Kraft für Kirill, zu sehen, dass er nicht vergessen wird in | |
der intellektuellen und in der Theaterwelt. Das ermuntert und kräftigt | |
ihn. | |
Was soll er am Deutschen Theater inszenieren? | |
Geplant war für diesen Mai „Decamerone“, das haben wir jetzt verschoben. | |
Jetzt hoffen wir, mit ihm einen neuen Termin zu finden, wenn er frei ist. | |
26 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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