# taz.de -- Kein Mittel gegen Alzheimer: Zum Vergessen | |
> Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, an Alzheimer zu erkranken. | |
> Bisher gibt keine Möglichkeit, die Demenzerkrankung aufzuhalten. | |
Bild: Sozialkontakte und Bewegung sind zwar kein Allheilmittel, fördern aber d… | |
Es ist wohl der Verlust der eigenen Identität und der Selbstbestimmtheit, | |
welche die Alzheimer-Erkrankung so beängstigend machen. Vielleicht auch, | |
dass wir nichts dagegen tun können, wenn die Erinnerungen langsam schwinden | |
und Bekanntes fremd wird – eine Heilung gibt es nicht. Medikamente können | |
allenfalls die Symptome hinauszögern. Seit vielen Jahren gab es keinen | |
nennenswerten Fortschritt auf der Suche nach Therapien. Und das, obwohl | |
etwa 50 Millionen Menschen weltweit an Demenz erkrankt sind und die Zahl | |
sich in den nächsten 30 Jahren möglicherweise verdreifachen wird. | |
Patienten fragen nach der Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung häufig, was | |
sie selbst gegen das Vergessen tun können. Leider sei das viel zu spät, | |
sagt Professor Lutz Frölich, Leiter der Gerontopsychiatrie am | |
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Eigentlich müssten | |
die Menschen schon mit der Vorsorge beginnen, bevor das Thema Alzheimer | |
ihnen überhaupt in den Sinn kommt.“ | |
Denn es ist tatsächlich möglich, sich gegen die Erkrankung zu schützen – | |
oder zumindest das eigene Risiko zu senken. Einige Faktoren, wie etwa die | |
genetische Veranlagung, können wir nicht beeinflussen, andere jedoch schon. | |
Das beginnt bereits früh im Leben: Studien haben gezeigt, dass eine gute | |
Bildung mit einem geringeren [1][Alzheimer-Risiko] einhergeht. Das liegt | |
vermutlich daran, dass wir eine Art Gehirnreserve aufbauen. Grob gesagt: Je | |
mehr wir wissen und je besser unser Gehirn auf logisches Denken trainiert | |
ist, desto eher können wir eventuelle Verluste im Alter ausgleichen. | |
Auch eine gesunde, ausgewogene [2][Ernährung] und körperliche Aktivität | |
können helfen. Sie verringern zudem unser Risiko für Bluthochdruck, der | |
seinerseits die Entstehung einer Demenz begünstigt. Wer ein aktives | |
Sozialleben führt, beugt damit ebenfalls der Alzheimer-Erkrankung vor. | |
Negativ wirken sich dagegen Depressionen und Isolation aus. Viele dieser | |
Faktoren beeinflussen sich gegenseitig. | |
## Hörgeräte können helfen | |
So ist Sport auch hilfreich, um Kontakte zu knüpfen und sogar die Symptome | |
psychischer Erkrankungen wie Depressionen zu lindern. Wer wiederum häufig | |
depressiv ist, zieht sich eher zurück und trifft seltener Freunde. Wichtig | |
ist auch das Gehör: Oft meiden schwerhörige Menschen soziale Situationen. | |
Hörgeräte können viel helfen und für ein aktiveres und angeregteres Leben | |
sorgen. | |
„Wenn wir an einigen dieser Aspekte arbeiten, könnten wir viele | |
Alzheimer-Fälle verhindern“, sagt Professor Richard Dodel, Leiter des | |
Lehrstuhls für Geriatrie an der Universität Duisburg-Essen und | |
Demenz-Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). | |
Allerdings zeigen die meisten Studien zur Alzheimer-Prävention nur | |
Korrelationen, also Zusammenhänge im Sinne von „Wer Sport macht, hat | |
seltener Demenz“. Das zeigt aber nicht direkt, dass Sport eine | |
Alzheimer-Erkrankung abwendet, wenn wir uns eigentlich (etwa durch unsere | |
Gene) auf dem Weg dorthin befinden. | |
Etwas anders war es bei der sogenannten FINGER-Studie: Hier teilten die | |
schwedischen und finnischen Wissenschaftler*innen die Teilnehmenden in | |
zwei Gruppen ein. Eine Interventionsgruppe bekam einen Ernährungsplan, | |
Sport- und Hirnaufgaben, die Kontrollgruppe nur allgemeine Tipps für ein | |
gesundes Leben. Alle Testpersonen waren zwischen 60 und 77 Jahre alt und | |
zeigten teilweise bereits leichte Beeinträchtigung bei den geistigen | |
Fähigkeiten. Das Ergebnis: Die Intervention half, die Teilnehmenden geistig | |
fit zu halten oder ihre Fähigkeiten sogar noch zu verbessern. Ein starkes | |
Argument, unser Leben entsprechend umzukrempeln? | |
Nun, ganz so einfach ist es nicht. Die Autor*innen der Studie empfanden es | |
schon als Erfolg, dass nur 12 Prozent der Teilnehmenden das Experiment | |
vorzeitig abbrachen. Denn es erforderte drastische Veränderungen der | |
Gewohnheiten. Genau regulierte Mahlzeiten, bei denen die Testpersonen | |
darauf achten mussten, wie viel Fett, Protein und Kohlenhydrate sie zu sich | |
nahmen. Auch der Verzehr von Salz, Zucker und Alkohol war deutlich | |
eingeschränkt. Dazu kamen 3 bis 8 Sporteinheiten pro Woche und verschiedene | |
Hirntrainings, also ein großer Zeitaufwand. | |
Möglicherweise helfen schon kleinere Veränderungen in unserem Alltag – es | |
gibt allerdings bisher keine Studien, die das eindeutig belegen. Und die | |
Alzheimer-Vorsorge leidet unter dem gleichen Problem wie andere | |
Präventionen: Solange wir die Krankheit nicht haben, fehlt oft die | |
Motivation für ein gesundes Leben. | |
Besonders, wenn es Verzicht bedeutet: Verzicht auf Alkohol, auf das | |
Rauchen, auf Fastfood und Süßigkeiten. Schließlich wissen wir, dass | |
ausgewogenes Essen und regelmäßige Bewegung uns gesund halten. Das Herz, | |
die Niere, die Lunge, unser gesamter Körper profitiert davon. Trotzdem | |
reicht das Wissen bei einigen Menschen nicht aus, den Magnetismus der Couch | |
aufzuheben und gesundes Essen auf den Tisch zu stellen. | |
Würde es helfen, die Alzheimer-Erkrankung bereits in einem sehr frühen | |
Stadium zu erkennen? Dann wäre es möglicherweise nicht zu spät, etwas zu | |
ändern, und es gäbe ausreichend Motivation. Neue Tests werden derzeit | |
ständig entwickelt und geprüft. Je weniger invasiv, desto besser und | |
einfacher. Deshalb arbeiten Wissenschaftler*innen an Bluttests, die | |
möglichst akkurat Alzheimer-Demenz vorhersagen sollen. | |
„Ein Bluttest wird vermutlich in zwei bis drei Jahren auf den Markt | |
kommen“, schätzt Richard Dodel. Dabei geht es allerdings um einen Test zur | |
Sicherung der Diagnose – also dann, wenn man eine Erkrankung vermutet. Für | |
die Prävention weiterhin zu spät. Die Tests können nur Veränderungen | |
erkennen, die bereits stattgefunden haben. Ob sich der Prozess dann noch | |
aufhalten lässt, ist fraglich. | |
Lutz Frölich sieht den Nutzen der Bluttests eher darin, nach der Diagnose | |
die Patienten besser zu begleiten oder klinische Studien zu unterstützen. | |
Selbst, wenn man die Erkrankung schon früh im Leben vorhersagen könnte: | |
Ohne wirksame Medikamente würde Frölich davon abraten, jüngere Menschen | |
„einfach so“ zu testen. „Bei einem positiven Befund kann ich ihnen | |
schließlich nur raten, gesund zu leben – und dafür brauche ich keinen | |
Test.“ | |
Wichtig ist es daher vor allem, mehr über die Erkrankung zu erfahren. Warum | |
zeigen manche Menschen typische Veränderungen im Gehirn, aber keine | |
Symptome? Wann setzt die Erkrankung ein? Lässt sich der Verlauf | |
beeinflussen, wenn wir die Ablagerungen im Gehirn eindämmen oder entfernen? | |
Welche Medikamente können tatsächlich helfen? | |
Meldungen von möglichen Therapien kommen immer mal wieder auf. Zuletzt | |
machte der Wirkstoff Aducanumab Schlagzeilen, der es in die Phase 3 der | |
klinischen Studien geschafft hatte. Dann die Enttäuschung, als die Studien | |
für gescheitert erklärt wurden. Und plötzlich wieder Hoffnung, als die | |
Auswertung aller Daten doch Hinweise auf wirksame Effekte lieferte. Nun hat | |
die Firma Biogen einen Zulassungsantrag bei der Food and Drug | |
Administration (FDA) in den USA gestellt. Bis Ende März 2021 soll die | |
Entscheidung fallen. Unabhängig vom Ausgang geht die Forschung weiter, | |
offene Fragen halten sich hartnäckig. | |
Vorerst bleibt uns das Dilemma: Schaffen wir es, gesund zu leben, solange | |
der Gewinn nur ein vages Versprechen ist? Vielleicht gelingt es besser in | |
kleinen Schritten. Hier ein Glas Alkohol weniger, dort ein paar Beeren und | |
Nüsse mehr, eine Runde Jogging pro Woche – den richtigen Weg muss ohnehin | |
jede*r für sich selbst finden. | |
29 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefanie Uhrig | |
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