| # taz.de -- Jugendsünden: Bis 18 bitte erledigt haben! | |
| > Das Ressort taz2 feiert seinen 18. Geburtstag. Welche Erlebnisse, | |
| > Erfahrungen und Lektionen sollten vor der Volljährigkeit abgefeiert sein? | |
| Bild: Zum 18. besser eine Schaumparty als Süßes im Alkohol | |
| ## Eine Nacht in Polizeigewahrsam verbringen | |
| Mit 17 besaß ich drei Jacken, eine für den Winter, eine für Regen und eine | |
| aus Stoff. Letztere war hellbeige und hatte dutzende Taschen. Ich nutzte | |
| sie fast nie, außer in dieser Nacht eben. | |
| Es wurde viel gekifft unter den Dorfjugendlichen, ich aber vertrug es | |
| nicht. Sofort bekam ich Halluzinationen und mein Kreislauf machte dicht. | |
| Zwei-, dreimal lag ich einen Abend in der Ecke und kotzte, bevor ich | |
| beschloss, es ganz dranzugeben. | |
| Ich wohnte auf dem Dorf, die meisten Freund*innen in der Kleinstadt 15 | |
| Kilometer entfernt. [1][Der letzte Bus fuhr um acht Uhr raus], also hieß es | |
| häufig, abends nach Hause zu stoppen. An dem Abend kam nach kurzer Zeit das | |
| erste Auto und hielt auch direkt, aber die Freude währte sehr kurz, weil: | |
| waren Bullen. | |
| Die Autotür ging auf, heraus kam ein Typ, der mir direkt ins Gesicht | |
| leuchtete und ohne Begrüßung sagte: Ausweispapiere bitte. Wer bist du denn, | |
| sagte ich. Der Typ drehte sich zum Auto hin, wo sich gerade die | |
| Beifahrertür öffnete, und sagte: „Hon I doch gsait, dass der Ärger mache | |
| würd.“ Aus dem Auto kam schnaufend ein älterer Kollege des ersten und | |
| sagte: „Muss des sei.“ Unklar, ob er den Satz an mich, den Kollegen oder | |
| insgesamt ans Universum richtete. | |
| Ich war guter Dinge, weil mir keiner Schuld bewusst. Hätte ich bloß nicht | |
| diese beschissene Übergangsjacke angehabt, die ich das letzte Mal trug, als | |
| ich – das mochte sechs Monate her sein – einmal gekifft hatte. Und | |
| tatsächlich, diese Typen fanden diesen einen längst vergessenen Brocken in | |
| einer der achtundfünfzig Taschen. „Haha!“ rief triumphierend der Fahrer. | |
| „Hommers!“ | |
| Da schwante mir, dass das noch ein langer Abend werden würde. Der Typ | |
| versuchte sich hochdeutsch auszudrücken, indem er schlicht jede Silbe | |
| betonte: „Béfrágung áúf dem Pólizéirévier“. | |
| Sie packten mich auf den Rücksitz ihres Autos. Es hat nicht geholfen, dass | |
| die Rückbank durch ein Gitter vom Fahrerraum getrennt war, weswegen ich | |
| während der Fahrt immer wieder mal schrie: „Polly will Cracker!“ Ich war | |
| einfach nicht sehr schlau damals. | |
| Im Revier sperrten sie mich eine Stunde in einen Glaskasten, in dem nichts | |
| stand als ein Ficus in einer Ecke. Das Bier trieb, ich musste unbedingt | |
| aufs Klo, und ich klopfte an die Scheibe des Glaskastens, aber niemand kam. | |
| Erst als ich anfing, in den Ficus zu pissen, standen plötzlich alle an der | |
| Tür. | |
| Es folgte eine Befragung, an die ich mich kaum erinnere, und nachts um vier | |
| hatten sie dann genug und beschlossen, mich nach Hause zu fahren. Einmal | |
| quer durchs ganze Dorf mit eingeschaltetem Blaulicht, damit auch alle | |
| mitkriegten, wer da am frühen Morgen von der Polizei nach Hause gebracht | |
| wird. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Dafür hatte die | |
| Dienstaufsichtsbeschwerde meiner Eltern Erfolg: Der Typ ist jahrelang nicht | |
| befördert worden. Manchmal sind wir uns noch über den Weg gelaufen, aber | |
| ich hab ihn nie mehr nach Crackern gefragt. Frédéric Valin | |
| ## Politische Romantik hinter sich lassen | |
| Am 12. Dezember 1985 wurde Joschka Fischer im hessischen Landtag als grüner | |
| Umweltminister vereidigt. Er trug dabei weiße [2][Nike-Sneakers], die heute | |
| im Deutschen Ledermuseum zu Offenbach stehen. Fischers Schuhwahl sorgte | |
| damals tatsächlich für Aufregung, auch bei mir. Ich war seit ein paar | |
| Monaten 17, konnte also schon schreiben und schickte dem von meinen Eltern | |
| im Abonnement gehaltenen Münchner Merkur einen gepfefferten Leserbrief, die | |
| abfällige Kommentierung des Vorgangs durch das Blatt betreffend. | |
| In dem Pamphlet sprach ich wohl auch von Schein und Sein, denn ein paar | |
| Tage später bekam ich von einem Kollegen meines Vaters einen sehr viel | |
| netteren und besser gedachten und formulierten Brief, dem eine Krawatte | |
| beigelegt war – „damit bei Ihnen Schein und Sein immer übereinstimmen“. | |
| Damit hatte ich nicht nur den einzigen Leserbrief meines Lebens verfasst, | |
| sondern es mit einem Schlag auch hinter mir, die Grünen zu verteidigen. | |
| Eigentlich war ich auf die Realitäten des politischen Lebens gut | |
| vorbereitet worden. Mein alter Altgriechischerlehrer, der, so wurde | |
| erzählt, in Stalingrad von einem Panzer überfahren worden war und seitdem | |
| an einem, wie man auf Bairisch sagte, „Tatterer“ litt, hatte uns, von der | |
| Xenophon-Lektüre abschweifend, eine seiner berüchtigten weiterführenden | |
| Fragen gestellt: Was nämlich den antiken Paradepolitiker Alkibiades bei all | |
| seinem Engagement und seinen Seitenwechseln eigentlich angetrieben habe? | |
| Wir auf stures Vokabellernen und Runterübersetzen gedrillten Halbwüchsigen | |
| sahen ihn lange genug dumpf an, dass er selbst sich die Antwort gab: | |
| „Ehrgeiz!“, schrie er, einem modernen Demosthenes gleich, stetig zitternd | |
| in die Klasse, „Ehrgeiz!“ Nicht Moral, nicht der Wille, es den Menschen | |
| hienieden schöner zu machen, keine übergreifenden Ziele, sondern reine, | |
| beißende, alle Gegner wegglühende persönliche Ambition – das war Politik, | |
| das trieb ihre Protagonisten an. | |
| Bei meiner Parteinahme für Joschka Fischer hatte ich diese Lektion | |
| idealistisch verdrängt, vielleicht sogar als Erwachsenenzynismus bewusst | |
| abgewehrt. Seitdem ist mir das aber zumindest nicht mehr in der Intensität | |
| passiert, dass ich einen Leserbrief geschrieben hätte. | |
| Und wenn ich heute sehe, dass der Bundesgeschäftsführer der Grünen | |
| [3][Michael Kellner] einen Wahlkampf total vergeigt und sich trotzdem in | |
| seiner Position hält, dann darf ich sagen: Ich bin froh, dass ich seit ich | |
| 18 bin weiß, dass das keine inhaltlichen Gründe hat – sondern eben reiner, | |
| kalter, sich selbst wichtiger als alles andere nehmender und voll | |
| verwirklichter Ehrgeiz ist. Ambros Waibel | |
| ## Sprite in den Wein kippen | |
| Wer auf die Bestellung „Eine Weinschorle, bitte“ als Nachfrage „Süß oder | |
| sauer?“ hört, der oder die befindet sich vermutlich gerade in einer Bar in | |
| Baden-Württemberg. Und wer sich für die Erstere der beiden | |
| Auswahlmöglichkeiten entscheidet, ist vermutlich Teenager:in. Oder wer | |
| kippt sich sonst freiwillig Sprite in seinen Müller-Thurgau oder in seinen | |
| Merlot? | |
| Bei mir und meinen Freund:innen war das zumindest Alltag. [4][Alkopops] | |
| waren bei uns nicht so angesagt, schlicht und ergreifend zu teuer waren | |
| Rigo und Bacardi Breezer. Doch bei der Kreativität, welche Getränke sich | |
| gut mischen lassen, gab es keine Grenzen. Hauptsache süß, Hauptsache, es | |
| ballert. | |
| Deswegen kippten wir auch Sprite in „den guden Roden“, einen Wodka mit | |
| Blutorangengeschmack. Oder eben Cola in den Rotwein, was wahlweise Korea | |
| oder Kalte Muschi genannt wurde. Auch gegen Bananensaft im Hefeweizen | |
| hatten wir nichts. Und am lustigsten wurde es, wenn sich wer eine Tüte Ahoi | |
| Brause in den Mund schüttete, um sie dann mit einem Kurzen | |
| herunterzuspülen. Im Nachhinein alles eher schlechte Ideen. | |
| Wieso? Soll doch jede:r trinken, was er oder sie will, oder? Theoretisch | |
| ja. Doch wer sich Sprite in seinen Rotwein kippt, der mag vermutlich | |
| einfach keinen Rotwein und dafür viel lieber Limo. Aber keinen Alkohol zu | |
| trinken als 16-Jährige? Quasi undenkbar. Deswegen ist es so schön, dass die | |
| Zeiten hinter uns liegen und wir in der Bar einfach eine Cola bestellen | |
| können, wenn uns danach ist. Carolina Schwarz | |
| 18 Oct 2021 | |
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| [1] /Verkehrswende-auf-dem-Land/!5803906 | |
| [2] /Vorabdruck-Mode-und-andere-Neurosen/!5674614 | |
| [3] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Portraet-Michael-Kellner-ist-d… | |
| [4] /Alkoholmissbrauch-bei-Jugendlichen/!5758847 | |
| ## AUTOREN | |
| Frédéric Valin | |
| Carolina Schwarz | |
| Ambros Waibel | |
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