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# taz.de -- Jugendsport in der Pandemie: „Wir sind Kämpfer“
> Wie der Basketballverein Alba Berlin trotz der coronabedingten
> Restriktionen versucht, für Mädchen und Jungen im Klub Normalität zu
> erhalten.
Bild: Ein Bild aus vergangenen Tagen: Alba-Kids 2016 als Pausenfüller in der A…
BERLIN taz | Es ist ein kalter Frühlingstag in Berlin. Signalgelbe
Fahrradpolizisten kontrollieren einen Rennradler an der Prenzlauer Allee,
reden belehrend auf ihn ein. An der Ecke Schönhauser steht die urbane
Jeunesse dorée mit FFP2-Maske Schlange, um in der In-Bäckerei „Zeit für
Brot“ einen viertel Laib für 5 Euro zu kaufen oder eine Zimtschnecke für 4.
Auf dem Sportgelände vor dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion ist gegen 9 Uhr
noch nichts los. Die Fußballer kicken noch nicht, und die Basketballer
dribbeln noch nicht unter den überdachten Freiplätzen.
Am Nachmittag herrscht hier, mitten in Prenzlauer Berg, so etwas wie
Normalität. Kinder treiben Sport – unter den Bedingungen der Pandemie.
Eigentlich müsste man sagen: Sie simulieren Normalität, denn die Fußballer
haben hier seit Monaten kein richtiges Spiel gespielt, die Basketballer
genauso. Vieles ist verboten, und was erlaubt ist, wissen manchmal sogar
die Trainer nicht. Der Zirkus, der seit einer halben Ewigkeit auf dem
Gelände steht, verkauft natürlich keine Tickets. Als ein Versprechen für
die Zukunft, die vielleicht irgendwann mal wieder Spaß und Unterhaltung
bringt, steht er verloren und trotzig da.
Über dem Berliner Sport an der Basis liegt der Mehltau des
Infektionsschutzes. Direkt davon betroffen ist Alba Berlin, der große
Basketballklub der Stadt. Seine Geschäftsstelle liegt gegenüber dem
Stadion, in dem früher Stasi-Chef Mielke seine Dynamo-Fußballer siegen sah.
Es ist ein ziemlich hässlicher Flachbau, aber drinnen hat man schon immer
Visionen Raum gegeben. Albas Vordenker für den basketballerischen Unterbau
ist Henning Harnisch. Aus seinem Kellerbüro hat er den Gast wohl schon
heranradeln sehen, weswegen er die taz im Eingangsbereich abfängt. Wir
kennen uns schon lange. Henning Harnisch gehört mit zum taz-Universum. Für
die Leibesübungen hat er in den nuller Jahren eine Kolumne geschrieben,
[1][später auch im Feuilleton].
Im Konferenzraum, der so kühl wie das Gebäude wirkt, frage ich Henning
Harnisch, den ehemaligen Nationalspieler, heute 53 Jahre alt, was aus Albas
Sportidee geworden ist in diesen Zeiten. Alba, das ist ja nicht nur die
erste Männermannschaft, die zuletzt Meister wurde und die mit den Großen in
der Euroleague spielt. Alba, das ist, wie es [2][im Internet auf der
Vereinsseite] heißt, „eine Sportidee, die Schule macht“.
## Utopie einer Sportstadt
Konkret: „Jeder kann jederzeit und überall seinen Lieblingssport machen.
Denn in der ganzen Sportstadt arbeiten gut ausgebildete und hauptamtliche
Trainer. Und alle wirken mit: Politiker, Bildungseinrichtungen,
Wohnungsbaugesellschaften, Energieträger und andere Institutionen. Sie
helfen dabei, Stadtteile aufzuwerten und so zu entwickeln, dass Schlagworte
wie 'Recht auf Bewegung’ oder ‚lebenslanges Sporttreiben für alle‘ keine
leeren Worthülsen sind.“
Das ist die Utopie einer Sportstadt, ein wirkmächtiger Traum, der
vielleicht in ein paar Jahrzehnten Realität wird. Aber was ist nach bald 14
Monaten Virus, Lockdown und Hygieneauflagen eigentlich noch übrig von Albas
großer Sportidee? Ist sie tot? Was ist aus dem Recht auf Bewegung geworden?
Harnisch antwortet, wie es seine Art ist, vorsichtig, fast tastend auf
diese Frage.
Seine Repliken sind – um die Basketballsprache zu bemühen – nie krachende
Dunkings, sie sind sondierende Dribblings eines Aufbauspielers; er ist als
„Vizepräsident Jugend“ eh Teamplayer geblieben. „Nein, kaputt ist gar
nichts“, sagt er, „das ist jetzt eben eine Auszeit, eine Zeit mit anderen
Regeln. Der Grundsatz, dass sich ein Verein wie Alba Berlin in der Stadt um
Basketball kümmert und dabei neue Ideen entwickelt, bleibt natürlich
bestehen.“
Dass Alba nicht in Duldungsstarre verharrt oder nur passiv die Vorgaben des
Berliner Senats umsetzt, das hat man schon im ersten Lockdown im Frühjahr
des vergangenen Jahres gesehen. Alba fing an, in der Kabine der Profis
kleine Youtube-Filmchen zu produzieren: [3][„Albas tägliche Sportstunde“].
Das Projekt wurde zum Renner. Manche Episoden wurden fast zwei Millionen
Mal angeklickt. Selbst Eltern in Bayern oder im Saarland turnten mit ihren
Kindern vorm Monitor. Was anfangs eher für die vielen Kinder- und
Jugendteams von Alba gedacht war, wurde zum nationalen Sport-Tutorial und
zum Beweis, wozu Privatinitiativen – im Gegensatz zur einfallslosen
Trägheit des Staates – fähig sind.
## Verbeamtung einer Idee
Alba fühlte sich verantwortlich für Kita-Kinder und Schüler, derweil sich
die Exekutive in Belangen der Kinderbewegung verdünnisierte. Bis in den
Juni 2020 lief das Projekt, dann musste die ausgepowerte Alba-Truppe eine
Pause machen. Das neue Projekt heißt nun „Sport macht Spaß“ und wird vom
Bundesinnenministerium unterstützt. Und wie das oft ist, wenn eine Idee
verbeamtet wird, ist das Interesse nicht mehr so groß. Die letzten beiden
Ausgaben von „Sport macht Spaß“ hatten nur 2.250 und 2.700 Klicks. Der
fehlende Zuspruch kann auch dadurch zustande kommen, dass der Ewig-Lockdown
zu einer allgemeinen Unlust und zu grundlegenden Motivationsproblemen in
der Zielgruppe geführt hat.
Der Deutsche Olympische-Sportbund (DOSB) hat unlängst [4][vor dem
Sportausschuss des Bundestages ein düsteres Bild] vom Fitnesszustand der
Kinder und Jugendlichen gezeichnet. In der Klageschrift heißt es, grob
gesagt, ein Großteil des stillgelegten Nachwuchses würde mit deutlichen
Anzeichen von Verfettung sowie ernsthaften Konditionsmängeln vorm Computer
sitzen und gar nicht mehr wissen, was es heißt, Schweiß zu vergießen – von
den psychischen Deformationen gar nicht erst zu reden.
Außerdem hätten sich eine Million Mitglieder von ihren Sportvereinen
verabschiedet, beklagt der Sportbund und wird trotz fehlender Erfolge nicht
müde, Lobbying fürs Sporttreiben zu machen: Hört doch auf uns, scheint der
DOSB zu rufen, wir haben tolle Hygienekonzepte und Draußensport ist so gut
wie ungefährlich!
Aber die Politik hat offensichtlich ihre eigene Agenda, und da ist
Verschärfung das Gebot der Stunde. Das [5][neue Infektionsschutzgesetz],
das zahlreiche Grundrechte massiv einschränkt, macht auch Sport wieder
schwerer. Da konnte der Linken-Politiker Dietmar Bartsch in einer aktuellen
Parlamentsdebatte noch so emphatisch an CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus
appellieren („Die Kinder sind der blinde Fleck in der Pandemie-Bekämpfung,
zu Kindern und Familien sind sie hammerhart, aber in der Wirtschaft
wachsweich“), die „Bundesnotbremse“ wurde am Donnerstag im Bundesrat
verabschiedet. [6][Für Berlin heißt das] im Regelungsdeutsch der
Pandemiebekämpfer: „Sport darf nur allein oder mit insgesamt höchstens fünf
Personen aus insgesamt höchstens zwei Haushalten kontaktfrei und unter
Einhaltung der Abstandsregelungen erfolgen.“
Das gilt nicht für die Profimannschaft von Alba. Außerdem: Ab einer
Inzidenz von 100 ist künftig für Kinder bis 14 „die Ausübung von Sport nur
noch ohne Kontakt im Freien in Gruppen von höchstens fünf Kindern
zulässig“.
## Gefrostete Finger
„Wir sind Kämpfer“, sagt Henning Harnisch, „und natürlich fehlt dem
Spielsport Basketball mit dem Spiel der Kern; wir müssen aber auch geduldig
sein und andere Ideen entwickeln, damit ein bisschen was läuft.“ Zum
Beispiel das Training der Kinder und Jugendlichen. In der U12 der Mädchen,
wo auch die Tochter des Autors mittrainiert, lief selbst im Winter bei
Frost und Graupelschauern das Training auf dem überdachten Freiplatz.
Manchmal war nur Zweiertraining unterm Korb mit Anweisungen möglich, einer
To-do-Liste, die Trainerinnen auf Zettel geschrieben hatten. Der Spaß an
der Korbjagd litt, wenn die Finger wieder mal zu Eiszapfen erstarrten, doch
mit der Mahnung der Eltern („Sei froh, dass du noch spielen kannst, das ist
ein Privileg in diesen Wochen“) machte sich die Tochter dann doch immer
wieder auf den Weg.
Die älteren Mädchen und Jungs konnten monatelang oft gar nicht trainieren;
als kürzlich die 14-Jährigen erstmals wieder zusammenkamen, war
Jugendtrainer Nicholas Behne regelrecht schockiert. „Ich habe eine U14“,
sagt er, „die hatte ich das letzte Mal im Teamtraining Ende Oktober. Am
Montag habe ich sie wiedergesehen, und das war eine Katastrophe. Die
konnten nach fünf Minuten nicht mehr. Die waren völlig k. o. Ich merke es
auch an meinen eigenen Kindern. Wenn ich mit dem einen Kind Fußball spiele,
dann ist es nach zwei Minuten fix und fertig und muss sich hinsetzen.“
Verliert der Sport in Deutschland also einen kompletten Jahrgang? Kann der
Rückstand je wieder aufgeholt werden? „Ein Kind macht im Gegensatz zu einem
Erwachsenen keinen Fitnessport, ein Kind bewegt sich mit den anderen
zusammen – oder gar nicht“, markiert Behne das Hauptproblem. „Das ist auch
die Tücke der digitalen Sportangebote. Ich sage zwar immer: ‚Mach die
Kamera an!‘ Aber viele sind nur alibimäßig dabei und spielen eigentlich
Fortnite im Hintergrund.“
Man müsse ganz schnell etwas tun für die älteren Teenager, findet Nicholas
Behne. Henning Harnisch ist weniger fordernd. Er sagt, Alba könne sich
eigentlich nicht beschweren. „Wir reihen uns ein, und solange es nicht
geht, geht es nicht.“ Bleibt die Frage: Wann geht wieder was?
25 Apr 2021
## LINKS
[1] /Henningway/!t5590477
[2] https://www.albaberlin.de/jugend/ueber-uns/sportidee/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=olNR0RNaXyU&list=PLcUd7GU7SfYPmefk8gDE_…
[4] https://www.bundestag.de/presse/hib/834400-834400
[5] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bundesweite-notbremse-1888…
[6] https://www.berlin.de/corona/
## AUTOREN
Markus Völker
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