# taz.de -- Journalist bekommt Morddrohungen: Entenfleisch mit frischem Blut | |
> Seit der Berliner Journalist Trung Khoa Le kritisch über die | |
> vietnamesische Regierung berichtet, erhält er Morddrohungen. | |
Bild: Blutige Enten stehen im Vietnamesischen für eine Todesdrohung, etwa für… | |
BERLIN taz | An sein Telefon geht Trung Khoa Le nur noch, wenn er den | |
Anrufer kennt. Seine Bürotür im Berliner Xuan Center, dem zweitgrößten | |
Asiamarkt Europas, steht nicht wie sonst weit offen. Der | |
deutschvietnamesische Journalist aus Berlin sagt, er fühle sich bedroht. | |
Von Offiziellen in Vietnam und von einer Privatperson aus München. Letzten | |
Dienstag hat er Strafanzeige bei der Berliner Polizei gestellt und diesen | |
Moment für seine Onlinezeitung mit einem Foto festgehalten. Darauf hält er | |
seinen deutschen Presseausweis ins Bild. | |
Seit neuneinhalb Jahren betreibt der 46-Jährige neben einer Firma für | |
Sicherheitstechnik die zweisprachige Onlinezeitung Thoibao.de (Die Zeit), | |
das größte vietnamesischsprachige Medienangebot aus Deutschland. „Neun | |
Jahre lang habe ich immer schön über Vietnam geschrieben. Seit ein paar | |
Monaten schreibe ich die Wahrheit“, sagt der Mann, der 1993 zum Studium der | |
Mediengestaltung nach Deutschland kam. | |
„Neun Jahre lang war Le treuer Gefolgsmann der vietnamesischen Botschaft. | |
Jetzt denkt er mit seinem eigenen Kopf und inszeniert das“, sagt einer | |
seiner Kritiker, der anonym bleiben will. Les Eltern waren in der DDR | |
Vertragsarbeiter. Er ist vietnamesischer Staatsbürger und Mitglied im | |
Deutschen Journalistenverband. Wann immer vietnamesische Staatsgäste nach | |
Deutschland kommen, ist er vor Ort und berichtet. So auch zum G20-Gipfel. | |
Vietnam gehört zwar nicht zur Gruppe der 20 führenden Industriestaaten, hat | |
aber derzeit den Vorsitz der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft | |
(APEC) inne. In seiner Funktion als APEC-Vertreter weilte Vietnams | |
Ministerpräsident Nguyen Xuan Phuc beim G20-Gipfel in Deutschland. | |
Die vietnamesische Presse, etwa das führende Onlinemagazin VietNamNet, | |
überhöhte den Besuch des in Vietnam umstrittenen Ministerpräsidenten vorab: | |
Auf persönliche Einladung Angela Merkels werde der Politiker nach Berlin | |
und Hamburg reisen. Von Merkel werde er ebenso empfangen wie US-Präsident | |
Donald Trump, Chinas Staatspräsident Xi Jinping und Wladimir Putin aus | |
Russland, schrieben mehrere Medien in Hanoi. Kurz: Nguyen Xuan Phuc habe | |
das kleine Vietnam und sich selbst in eine Reihe mit den Großen dieser Welt | |
gestellt. | |
## Die Legende widerlegt | |
Diese Legende hat der Journalist Le auf seiner kleinen Onlinezeitung | |
detailliert und sachlich hinterfragt. Das Ergebnis: Ein Empfang des | |
vietnamesischen Premiers im Kanzleramt war nie vorgesehen, lediglich ein | |
kurzes Händeschütteln mit der Gastgeberin in Hamburg. Im deutschen | |
Protokoll war zu lesen, dass er nicht als Staatsmann aus Vietnam zu dieser | |
Ehre kam. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den vietnamesischen | |
Politiker zwar empfangen – aber als APEC-Vertreter. Laut Protokoll hat er | |
in dem Vieraugengespräch auch eine Verbesserung der Menschenrechtslage in | |
Vietnam angemahnt. Viel blieb also nicht übrig von der Legende, der Premier | |
habe Vietnam zu Ruhm verholfen. Es waren lediglich deutsche | |
Regierungsverlautbarungen, die Le bemühte, um die Legende zu widerlegen. | |
Doch schon das war für Hanoi nicht akzeptabel. Die Machthaber reagierten | |
sofort. Am nächsten Tag war Les Website in Vietnam blockiert. Das Schicksal | |
teilt er nicht nur mit zahlreichen vietnamesischsprachigen privaten Blogs | |
und Onlinemagazinen aus der Diaspora, sondern auch mit der britischen BBC. | |
Deren vietnamesischer Dienst stellt regelmäßig Hanoier | |
Regierungsverlautbarungen infrage. | |
Den staatlich gesteuerten Medien im Inland ist es zwar erlaubt, über | |
Korruptionsskandale oder über die soziale Schieflage zu berichten. | |
Kritische Worte über höchste Staatsmänner sind aber tabu. Die werden | |
hofiert. Viele Blogger in Vietnam, die den Führungsanspruch der | |
Kommunistischen Partei infrage stellten oder über Arbeitnehmerproteste | |
berichteten, sind inhaftiert. | |
Le sitzt in einem Café in Berlin. Es ist früher Abend. Er sieht nach den | |
Zugriffszahlen auf seiner Seite: 13.000 Klicks hat er pro Tag, drei Viertel | |
aus Deutschland, ein Viertel aus Vietnam, zeigt seine Grafik. „Noch vor | |
Wochen waren die Zugriffszahlen aus Vietnam höher. Deutlich höher“, sagt | |
er. Aber jetzt müsse man dort mühevoll die Sperre umgehen. | |
## Wieder Ausgeladen | |
Die vietnamesische Botschaft habe den Berliner Journalisten per Mail noch | |
während des Gipfels von zwei Veranstaltungen ausgeladen, für die er bereits | |
eine Einladung erhalten hatte, sagt er. In Deutschland ist so ein Umgang | |
mit kritischen Journalisten ein Unding. Für Vietnams Machthaber hingegen | |
gelten kritische Stimmen als Sicherheitsrisiko. | |
Die erste Veranstaltung, für die Le eine Ausladung erhielt, war ein von der | |
Botschaft und der vietnamesischen Industrie- und Handelskammer | |
veranstaltetes deutsch-vietnamesisches Wirtschaftsforum mit dem Premier. | |
Das fand in eben jenem Dong Xuan Center in Berlin statt, in dem auch Le | |
sein Büro hat. Das Dong Xuan Center ist ein riesiger Asiamarkt mit mehreren | |
Gewerbehallen, Bürogebäuden und einem Kulturhaus. | |
Ein Stück Vietnam in Deutschland, wo vietnamesische Staatsgäste gern | |
Landsleute treffen und fähnchenschwingend begrüßt werden. Auch von einer | |
Rede des Premiers in einem Luxushotel vor handverlesenen Getreuen sei Le | |
nachträglich ausgeladen worden. Die vietnamesische Botschaft äußert sich | |
dazu nicht. Sie reagiert nicht auf Anfragen der taz. | |
Es ist seit Jahren offizielle Staatspolitik Vietnams, die Landsleute im | |
Ausland auf Regierungskurs und nationale Werte einzuschwören. Vietnam | |
betreibt den eigenen Fernsehsender VTV4 für Vietnamesen im Ausland. Und | |
Staatspersonen halten bei Staatsbesuchen im Ausland regelmäßig Reden vor | |
Landsleuten, schwören sie auf nationale Werte ein. Le berichtet in seinem | |
Onlinemagazin über solche Veranstaltungen. Kritisch sieht er sie nicht. Er | |
ist vietnamesischer Patriot und eigentlich kein Gegner der Hanoier | |
Regierung. Er hat lediglich diesen Monat offizielle Verlautbarungen auf | |
ihren Wahrheitsgehalt geprüft. | |
## Besuch von der Geheimpolizei | |
Darum kann er schlecht damit leben, von Hanoi zu einer Art Staatsfeind | |
gemacht zu werden. „Vor einer Woche waren Beamte der Geheimpolizei in | |
meinem Haus in Hanoi“, sagt Le der taz. Das Haus hat er an Verwandte | |
vermietet. Die seien gefragt worden, wo Le sich aufhalte. Jetzt habe er | |
Angst. | |
Aber es seien nicht nur Offizielle, die ihm Angst machen. Ein Vietnamese | |
aus München, N., bedrohe ihn per SMS. Le hat die Bedrohungen in seiner | |
Zeitung dokumentiert. Das Kalkül dahinter: Die Öffentlichkeit schützt ihn. | |
„Iss zur Entspannung doch mal etwas Entenfleisch mit frischem Blut“, stand | |
in der SMS. Und auf Facebook kommentiert N. ein Foto von Les Seite mit den | |
Worten: „Schaut es euch alle mal an und gebt mir eure Meinung, damit wir | |
ihn auf Entenfleisch mit frischem Blut einladen können.“ | |
Wer kein Vietnamesisch versteht, wird das nicht als Bedrohung wahrnehmen. | |
Doch „Entenfleisch mit frischem Blut essen“ steht für eine Todesdrohung, | |
etwa für „Ich schlage dich tot“, wie auch zwei Dolmetscher bestätigen. | |
Das mache Le Angst, auch weil er die Biografie von N., dem Mann aus | |
München, kenne, wie er sagt. In den 1990er Jahren habe es im Osten | |
Deutschlands blutige Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Banden | |
vietnamesischer Zigarettenhändler gegeben, berichtet Le. Ein Bruder von N. | |
wurde dabei Le zufolge in Leipzig ermordet. | |
Welche Rolle N. genau in einer dieser Gruppierungen spielte, sei nie | |
wirklich ermittelt worden. Er sei rechtzeitig aus Deutschland ausgereist, | |
so Le, und lebte bis zu seiner Wiedereinreise viele Jahre im Ausland. Auch | |
unterhalte er enge Kontakte zum vietnamesischen Botschafter in Berlin. Ein | |
Foto, das der taz vorliegt, zeigt ihn Ende 2016 beim Biertrinken mit dem | |
Botschafter Xuan Hung Doan. Doch eines scheint N. auch mit Le gemeinsam zu | |
haben: Rufen ihn Unbekannte an, nimmt er nicht ab. Alle Versuche der taz, | |
ihn nach seiner Sicht der Dinge zu fragen, gingen ins Leere. Einen | |
Anrufbeantworter gibt es nicht. | |
31 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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