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# taz.de -- Vietnamesische ArbeiterInnen in Leipzig: Leben in Plastik-Asien
> Viele Leipziger Vietnamesen kamen zu DDR-Zeiten als Vertragsarbeiter. Im
> Dong Xuan Center leben sie bis heute in einer eigenen Welt.
Bild: Kommt zwar aus Japan, wird im Dong Xuan Center aber trotzdem massenweise …
Leipzig taz | Die exotischste Ecke Leipzigs befindet sich inmitten einer
Industrieödnis. Nur fünfzehn Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, zwischen
Gleisen und Bundesstraße, erhebt sich ein Komplex aus grauem Wellblech. In
großen roten Lettern steht darauf geschrieben: Dong Xuan Center. Hier, im
Nordosten der Stadt, befindet sich der größte Asiamarkt in
Mitteldeutschland. Vom weitgehend leeren Parkplatz aus lässt sich das noch
nicht vermuten. Man muss schon nähertreten.
Die offenstehenden Türen graben sich wie Mauselöcher in den grauen Block
hinein. Sie geben den Blick frei auf lange Gänge, die das Center waagerecht
und senkrecht durchkreuzen. Hier reiht sich Geschäftsparzelle an
Geschäftsparzelle, nur getrennt durch zentimeterdünne Wände. Die Besitzer
dieser Läden arbeiten still vor sich hin. Sie packen Kiste um Kiste aus,
schälen T-Shirt um T-Shirt aus den Plastikhüllen, in die sie einzeln
eingeschweißt sind.
Sie entpacken eine ganz eigene Welt – aus Plastikblumen, grellen
Handyhüllen, Bergen von Spitzengardinen, Strandtüchern mit
Hundewelpenaufdruck und Wühlkisten voller CDs vietnamesischer Popstars, die
in Deutschland sonst niemand kennt. Die meisten Menschen im Dong Xuan
Center aber dürften sie kennen, denn hier arbeiten vor allem Vietnamesen.
Es ist kurz vor zwölf Uhr mittags. Unter dem Wellblechdach heizt sich die
Luft auf wie in einem Gewächshaus. Manche der Verkäufer sitzen gelangweilt
vor ihren Parzellen oder unterhalten sich mit dem Besitzer des Ladens
nebenan. Doch im vorderen Teil des Centers hat eine junge Vietnamesin mit
Namen Cai* offenbar viel zu tun. Hinter der Ladentheke brütet sie mit einem
Taschenrechner über einem Zettel voller Zahlen.
Sie blickt auf, die Haare zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, die
Augenbrauen dick nachgezeichnet. Ohrringe in Form von Wassermelonenspalten
baumeln links und rechts an ihrem Kopf. Wie die meisten hier kann sie kaum
Deutsch, Englisch sei besser. Cai wohnt eigentlich in Vietnam, wo sie als
Krankenschwester arbeitet. Nur drei Wochen ist sie in Leipzig zu Besuch, um
Tante und Onkel im Laden zu helfen. Die wollen nächste Woche das erste Mal
seit fünf Jahren Urlaub machen. Cai soll sie dann vertreten.
Hinter den Regalen, auf denen sich T-Shirts in grellem Blau, Rot und Grün
bis unter die Decke stapeln, steckt ihre Tante den Kopf hervor. Huynh Hoa*,
52, trägt einen knappen Jumpsuit mit blauem Muster und dazu Flipflops. Sie
ist klein und stämmig, ihr Haar trägt sie kurz. „Was wollen Sie“, sagt sie
skeptisch, ihre Stirn kräuselt sich. Es ist mehr eine Aussage als eine
Frage. Dann erzählt sie doch, mit starkem vietnamesischem Akzent: „Mein
Mann und ich führen dieses Geschäft seit fast zehn Jahren.“
## Eine Generation von DDR-Vertragsarbeitern
Sie lässt sich schwerfällig auf einen niedrigen Hocker neben ihrer Nichte
fallen. „Seitdem bin ich so gut wie jeden Tag hier. Von morgens bis
abends“, sagt sie. Montag bis Samstag, zehn Uhr morgens bis zehn Uhr
abends, das sind auch die Öffnungszeiten des Dong Xuan Centers. „Ich gehe
hier zum Friseur, esse hier, kaufe ein.“ Sogar ein Reisebüro gibt es auf
dem Gelände.
Hoas Mann kam in den 1980er Jahren in die DDR. Wie viele andere Vietnamesen
wurde er damals aus dem „sozialistischen Bruderstaat“ angeworben, denn die
DDR brauchte Arbeiter für ihre staatlichen Betriebe. So kamen bis 1989 um
die 60.000 Vietnamesen als Vertragsarbeiter nach Ostdeutschland. Doch der
Staat war nur an ihrer Arbeitskraft interessiert – die SED-Führung verbot
den Kontakt zu DDR-Bürgern, sie wurden separat untergebracht und nach zwei
bis fünf Jahren sollten die Vertragsarbeiter wieder nach Vietnam
zurückkehren. Ihre Partner durften sie nicht mit nach Deutschland nehmen.
So folgte Hoa ihrem Mann auch erst nach der Wende. Doch die DDR-Betriebe
mussten schließen – auch die Fabrik, in der ihr Mann Elektrogeräte montiert
hatte, schloss. Er war arbeitslos geworden und sein Aufenthaltsstatus nach
der Wende lange Zeit unsicher. Die ehemaligen Vertragsarbeiter mussten aber
ein Einkommen nachweisen, um bleiben zu dürfen – da blieb oft nur die
Möglichkeit, schnell ein eigenes Geschäft zu gründen.
Hoa und ihr Mann schlugen sich durch, betrieben mal eine
Änderungsschneiderei, mal einen Imbiss. „Ich habe alles mitgemacht“, sagt
Hoa und lacht trocken. Die Vietnamesen erschufen sich damals ihren eigenen
Arbeitsmarkt – weil sie mussten. So entstand auch das Dong Xuan Center, ein
Ort, den vor allem die einstigen Vertragsarbeiter prägten.
Auch heute trifft man dort vor allem diese Generation an. Im Dong Xuan
Center kennen sie sich untereinander, sie sprechen ihre Sprache und essen
gemeinsam Phô – eine Suppe mit Nudeln, Gemüse und reichlich Fleisch. So
unterscheiden sie sich von der neuen Generation vietnamesischer
Einwanderer, die vor allem wegen des Studiums kommt und unter Deutschen als
fleißig und gut integriert gilt.
Doch für die Integration der ehemaligen Vertragsarbeiter wurde auch nach
der Wende von offizieller Seite kaum etwas getan – es gab keine
Deutschkurse und keine geförderte Ausbildung. Im Dong Xuan Center spüren
das Besucher bis heute. Obwohl die meisten vietnamesischen Händler seit
Jahrzehnten hier leben, sprechen sie kaum Deutsch. Und viele leben noch
immer am Existenzminimum. Wie viel Hoa und ihr Mann am Tag verdienen? Sie
zuckt mit den Achseln: „Weiß nicht genau.“ Weil sie keine eigenen Kinder
haben, reicht es meistens.
## Das Geschäft läuft schlecht
„Dong Xuan“ heißt zu Deutsch „blühende Wiese“. Aber die Geschäfte sc…
nicht zu blühen. Kunden waren heute Vormittag jedenfalls noch keine da.
Ausschließlich Händler scheinen in den Gängen umherzuwandern. Trotzdem wird
jedes Gespräch mit einem „Keine Zeit, ich muss arbeiten“ vorzeitig beendet.
Man fragt sich, für wen hier eigentlich gearbeitet wird.
Viele Parzellen stehen heute leer, Türen bleiben verschlossen. Am schwarzen
Brett vor dem Eingang der Marktverwaltung hängt ein Zettel: „Freie
Ladenflächen zu vermieten!“ Raum 12 a, 58 Quadratmeter stehen für 652,55
Euro monatlich zur Verfügung. Auch die Ladenfläche neben der Hoas war bis
vor Kurzem noch belegt. „Es waren gute Freunde“, sagt sie und blickt zum
leeren Geschäft hinüber.
Es habe sich nicht mehr gelohnt. „Wir haben hier auch schon mal mehr
verkauft.“ Einige Händler haben dem Center mittlerweile den Rücken gekehrt
und sich andere Möglichkeiten gesucht. Flexibilität, das war schon immer
eine Stärke der ehemaligen Vertragsarbeiter.
Anders ergeht es dem gleichnamigen Center in Berlin. Das ist mittlerweile
ein Touristenmagnet: Es gibt geführte Touren und Hipster kommen, um eine
richtige Phô-Suppe zu probieren. Die sechs Hallen sollen künftig sogar
erweitert werden. Der Besitzer Nguyen van Hien, der zuvor auch das
Leipziger Center gegründet hatte, plant eine richtige „Asiatown“ in
Berlin-Lichtenberg – mit einem Hotel, einem Wohnblock für Angestellte und
einer eigenen Nudelfabrik.
## Kriminelles Image
Davon können Leipzigs Dong-Xuan-Händler nur träumen. Vielmehr dominieren
hier die Negativschlagzeilen – von frühmorgendlichen Polizeirazzien wegen
Drogenhandels und Hehlerei, zuletzt 2014. Seitdem sind die Händler
skeptischer geworden, kaum jemand möchte mit der Presse sprechen. Auch Hoa
möchten ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung sehen.
Viele der Vietnamesen im Dong Xuan Center treten nur ungern an die
Öffentlichkeit. Die eigenen Netzwerke und Großfamilienstrukturen haben
ihnen bisher mehr genutzt als Medien und Politik. Das scheint auch Hoas
Nachbarin zu denken. In ihrem Laden verkauft sie Spitzengardinen, die sich
auf dem Boden zu Türmen stapeln. Sie streift dazwischen umher. „Ich möchte
lieber nicht über mein Leben sprechen“, erwidert sie. Dabei blinzelt sie
heftig. „Mein Leben ist nicht so schön.“
Hoa klopft mit den Händen fest auf ihre Oberschenkel und erhebt sich mit
einem Ruck. „Ich muss jetzt weiterarbeiten“, sagt sie und nickt höflich,
aber bestimmt. Sie müsse ihrer Nichte noch viel vom Geschäft erklären. Die
schreckt aus ihren Gedanken hoch. In der Zwischenzeit ist es in der Halle
noch heißer geworden. „Aber ich will mich nicht beschweren“, sagt sie noch
zum Abschied, fast entschuldigend.
Auch das ist ein Klischee über Vietnamesen: fleißig, genügsam,
zurückhaltend. Hier in den Hallen im Norden Leipzigs dominiert die
Generation der DDR-Vertragsarbeiter. Auch deshalb hält sie bis heute an
ihrem Leben und an ihren Läden im Dong Xuan Center fest.
* Namen geändert
24 Jul 2017
## AUTOREN
Jana Lapper
## TAGS
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DDR
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