| # taz.de -- Jella Haase und die RAF: Fack ju Kapitalismus | |
| > Schauspielerin Jella Haase sprach in einem Interview über die RAF. Nun | |
| > wird ihr eine Nähe zu dieser unterstellt. Doch das ist verkürzt. | |
| Bild: Bei genauerer Lektüre birgt das Interview noch ganz andere Sensationsmel… | |
| Folgende Schlagzeile mag Sie überraschen, aber ich verspreche Ihnen, am | |
| Ende werden Sie verstehen. Jella Haase soll Grundgedanken der RAF teilen. | |
| Aber handeln wir zuerst ab, was geschah: Die Schauspielerin Haase, vielen | |
| bekannt durch den Kino-Erfolg „Fack ju Göhte“ oder das Drama „Kriegerin�… | |
| und inzwischen in Filmen wie der Neuverfilmung von [1][„Berlin | |
| Alexanderplatz“] zu bewundern, gab [2][dem Magazin Zeit Verbrechen ein | |
| Interview]. | |
| Darin geht es um ihre eigenen Erfahrungen mit Kriminalität, um Jugendsünden | |
| und die neue Rolle als Linksautonome in ihrem aktuellen Streifen „Bis wir | |
| tot sind oder frei“. Haase erzählt von ihrer Kindheit in einem Bezirk mit | |
| hoher Verbrechensrate, von ihrer Überzeugung „Regeln und Gesetze zu | |
| übertreten, um Denkanstöße zu liefern und Veränderungen anzustoßen“ und | |
| über das Böse im Menschen an sich. Das Interview ist kurzweilig, die | |
| Antworten meist interessant, ein Promotermin der besseren Sorte. | |
| Gegen Ende des Gesprächs wird die Schauspielerin gefragt, ob es Kriminelle | |
| gibt, die sie bewundert. Haase nennt die Graffiti-Crew 1UP, eine längst zum | |
| Synonym für Sprayer mit ideologischem Background mutierte Gruppe, die sich | |
| durch besonders waghalsige Aktionen und dazugehörige Videos weltweit einen | |
| Namen machte. So weit so gut, nichts was außerhalb eines Schrebergartens | |
| für Aufruhr sorgt. | |
| Doch kurz darauf kommt der Teil, den die Springer-Presse aktuell zum Anlass | |
| nimmt, um Jella Haase eine skandalöse Nähe [3][zur Rote Armee Fraktion zu | |
| attestieren]: „Mich beschäftigt auch die RAF“, erklärt Haase. „Ich | |
| erarbeite einen Monolog, der auf ihren Texten basiert. Die RAF hat Menschen | |
| umgebracht, das darf und will ich nicht verharmlosen. Aber den | |
| Grundgedanken, die Kapitalismuskritik, den teile ich.“ | |
| ## Schlagzeile, die sitzt | |
| Nun gut, könnte man denken: Die RAF hat ihren bewaffneten Kampf als die | |
| höchste Form des Marxismus-Leninismus begriffen. Wenn jemand also die | |
| Gewalt der RAF verdammt, als politisches Mittel ausschließt, aber die | |
| grundlegenden Gedanken nachvollziehen kann, müsste man annehmen, dass dort | |
| jemand Sympathien für Marx & Co hegt. | |
| Oder zumindest für alternative Gesellschaftsformen. In einer Welt, die sich | |
| immer neueren, absurderen Formen des Turbokapitalismus unterwirft, | |
| vielleicht nicht die schlechteste aller Ideen. „Der ausufernde Kapitalismus | |
| und die Märkte müssten gesetzlich besser reguliert, Konzerne wie Amazon | |
| oder Google ganz anders besteuert werden“, fährt Haase fort. Klingt eher | |
| nach „Schauspielerin Jella Haase für neue gesetzliche Regulierungen im | |
| Steuerrecht“. | |
| Aber natürlich wäre das eine etwas schwerfällige Schlagzeile. Also | |
| entschied man sich bei Springer spontan lieber für: „Schauspielerin Jella | |
| Haase teilt Grundgedanken der RAF“. Rumms, das sitzt! In den sozialen | |
| Medien geht jetzt die übliche Maschinerie los: Die einen empören sich, die | |
| anderen feiern die junge Frau als neue kommunistische Ikone, ein paar Memes | |
| werden gepostet und mittendrin stellen semiwitzige Comedians fest, dass der | |
| eigentliche Skandal darin liegt, dass man überhaupt weiß, wer Jella Haase | |
| ist, weil „Fack ju Göthe“ ja ungebildeter Nonsens sei. Es sind die | |
| Mechanismen des Internets, wir lieben und hassen sie alle gleichermaßen. | |
| Was dabei leider auf der Strecke bleibt, ist das Interview einer extrem | |
| talentierten Schauspielerin. Aber gut, wir alle müssen gucken, wo wir | |
| bleiben, und bei genauerem Hinsehen entdeckt man dann tatsächlich weitere | |
| frappierende Sensationsmeldungen, die sich gut für die eine oder andere | |
| Headline eignen. So ist Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt laut eigener | |
| Aussage ein glühender Porsche-Fan – ganz genau wie Andreas Baader. Der | |
| schießwütige Lederjackenträger mit Hang zu stillosen Sonnenbrillen (Baader, | |
| nicht Poschardt) kommt ebenfalls aus Bayern, fuhr laut Augenzeugenberichten | |
| gerne seinen weiblichen Mitstreiterinnen über den Mund und geriet oft in | |
| Verdacht, den Lärm über den Inhalt zu stellen. | |
| Die Verbindungen sind glasklar, man muss sie nur sehen wollen. | |
| Danke, Jella Haase. | |
| 23 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Burhan-Qurbani-ueber-Heimatlosigkeit/!5694528 | |
| [2] https://www.zeit-verlagsgruppe.de/pressemitteilung/jella-haase-eine-faust-i… | |
| [3] https://www.welt.de/vermischtes/article226874183/Kapitalismuskritik-Schausp… | |
| ## AUTOREN | |
| Juri Sternburg | |
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