# taz.de -- Schauspielerin Jella Haase: „Wir brauchen einfach Anarchie“ | |
> Als Chantal im Film „Fuck ju Göhte“ wurde Jella Haase 2013 bekannt. In | |
> „Chantal im Märchenland“ kehrt sie in die alte Rolle zurück. Warum tut | |
> sie das? | |
Bild: Jella Haase bei der Premiere von „Chantal im Märchenland“ in München | |
Leicht verspätet und mit schwarzer Sonnenbrille betritt [1][Jella Haase] am | |
späten Vormittag die Zoo Loge – ein Café im Kino Zoopalast in | |
Berlin-Charlottenburg. Hier sind wir in der Premierenwoche von „Chantal im | |
Märchenland“ zum Interview verabredet. Die Komödie ist ein Spin-Off von | |
„[2][Fuck Ju Göhte]“, in der aus der Hauptschülerin aus der 10b eine | |
Möchtegern-Influencerin geworden ist, die versehentlich in der Grimm ’schen | |
Märchenwelt landet. Beim Eintreffen entschuldigt sich Haase für die | |
Sonnenbrille, die Nacht sei kurz gewesen. Zur Begrüßung fragt sie mich. | |
„Kennen wir uns? Ich glaub, ich habe dich schon einmal gesehen.“ Wir kennen | |
uns nicht, aber bleiben beim Du. | |
taz: „Fack ju Göhte“ war 2013 ein Überraschungserfolg. Aus heutiger Sicht | |
ist der Film auch wegen sexistischer Witze nicht gut gealtert. Wieso hast | |
du dich entschieden trotzdem zur Rolle Chantal zurückzukehren, Jella? | |
Jella Haase: Mittlerweile hat sich die Gesellschaft verändert, man muss | |
Witze anders erzählen. Zum Glück. Aber dass es bei „Chantal im Märchenland… | |
klappt, da habe ich mir weniger Sorgen gemacht. | |
Wieso? | |
Bora (Anmerkung d. R.: Der Regisseur Bora Dagtekin) hat sein ganzes | |
Herzblut reingesteckt und wir haben in der Entstehungszeit sehr viel | |
gesprochen. Er weiß, wofür ich stehe und womit ich mich privat | |
auseinandersetze. Deswegen war von Anfang an klar, dass wir Chantal in | |
einen neuen Kontext setzen. Nämlich in einen feministischen, der im besten | |
Fall empowernd ist. Für mich war es ein richtiger Befreiungsschlag zu der | |
Figur zurückzukommen. Immer wieder haben Menschen zu mir gesagt: „Ach, Frau | |
Haase, jetzt haben Sie sich endlich freigespielt von Chantal.“ Und ich | |
dachte immer: Freigespielt? Wovon denn? Es wurde mir immer angedichtet, | |
dass ich Probleme mit der Figur hätte und mich davon emanzipieren müsste. | |
Und genau deswegen habe ich mich gefreut, mit ihr zurückzukommen. | |
Trotzdem könnte man sagen, dass Chantal eine stereotype Darstellung einer | |
jungen Frau aus der Unterschicht ist. | |
Der Film spielt natürlich mit Klischees, aber das ist ja auch der Reiz. Und | |
die Darstellung von Chantal finde ich extrem vielschichtig. Dem Film | |
gelingt, ganz viel Wahrheit in eine komödiantische Erzählung zu verpacken, | |
ohne dass es platt oder stereotyp wird. Außerdem gefällt mir, eine | |
vermeintlich „dumme“ Person, also eine junge Frau aus einer | |
bildungsferneren Schicht oder aus ärmerem Milieu, eine | |
Heldinnengeschichte zu geben. | |
Du bedienst verschiedene Genres: Spielst am Theater, in Serien, Kurz- und | |
Langfilmen – aber fast immer eine Heldinnenfigur. Suchst du dir die gezielt | |
aus? | |
Das sind die Rollen, die mir angeboten werden oder für die ich auch zum | |
Casting gehen muss. Die zu mir kommen, die ich mir aber natürlich auch dann | |
gezielt aussuche. Und auch die die mir Spaß machen. Bei „Chantal“ habe ich | |
mich im Vorhinein gefragt: Was will ich eigentlich mit diesem Film? Mein | |
Wunsch war, und das klingt jetzt vielleicht abgedroschen, dass die Leute | |
einfach kurz fröhlich sind. Dass sie den Alltag und diese krisenbehaftete | |
Welt vergessen und lachen können. Auch „Fack ju Göhte“ war damals so | |
erfolgreich, weil der Film sich etwas getraut hat und keine Angst davor | |
hatte, derbe zu sein. Das wollten wir jetzt auch und mussten dafür viel | |
diskutieren. | |
Worüber man noch lachen darf? | |
Darum hat Bora sich nie geschert. Er sagt: Wir dürfen über alles lachen. | |
Und das Schöne ist ja, in dem Film bekommt jede Figur und Gruppe ihr Fett | |
weg. Gerade jetzt, wo alles so starr und eng wird, dürfen wir den Humor | |
nicht verlieren, aber wir wollen natürlich auch nicht diskriminieren. Wir | |
sind also irgendwie politisch korrekt – aber irgendwie auch nicht. Wir | |
wollten das Gleichgewicht für unsere sehr sensibilisierte Gesellschaft | |
finden und trotzdem noch lustig sein. Gleichzeitig hat der Film natürlich | |
eine absolute Tiefe, setzt auf eine Diversität und neue Rollenbilder und | |
hat eine wichtige Message. | |
Die wichtigste ist wohl der Wert von Freund_innenschaft. Aber auch das | |
Thema Social Media ist sehr präsent. Der Film wirkt wie eine Warnung vor | |
Instagram & Co. | |
Aber mit erhobenen Stinkefinger statt mit einem Zeigefinger. Ich persönlich | |
finde das Thema superwichtig. Wir lassen uns im Internet zuspammen und | |
unsere Aufmerksamkeitsspanne schrumpft. Erst bei der Premiere ist mir noch | |
einmal klar geworden, wie Chantal sich eigentlich permanent selbst | |
inszeniert, sich ständig filmt und alles ins Internet stellt. Das ist doch | |
gruselig. | |
Hast du als Schauspielerin nie Druck verspürt, dich bei Instagram und Co | |
selbst zu vermarkten? | |
Doch schon. Als der erste „Fack ju Göhte“ raus kam, wurde uns geraten ein | |
Facebook-Profil anzulegen. Und Bora – man muss wirklich sagen, dass er ein | |
Marketing-Genie ist – war der Erste, der in Deutschland eine virale | |
Werbekampagne gestartet hat mit Videos, die extra für Facebook und Youtube | |
produziert wurden. Ich hatte damals gar keinen Bock drauf. Doch dann ist | |
das über Nacht explodiert, auf einmal hatte ich 10.000 Follower mehr. Und | |
jetzt sind solche Kampagnen ja ganz normal. Aber ich selbst schmeiß die App | |
immer wieder runter, wenn ich merke, dass ich zu viel Zeit damit verbringe. | |
Die Selbstinszenierung ist das eine, aber über die werden ja auch ständig | |
Fremdzuschreibungen veröffentlicht. Hast du dann nicht das Bedürfnis, das | |
richtigzustellen: [3][Wie als du als RAF-Unterstützerin dargestellt | |
wurdest?] | |
Da muss ich mich erst mal nachträglich bei euch bedanken. Shoutout an die | |
taz, dass ihr damals richtiggestellt habt, was ich gesagt habe. In den | |
meisten Fällen ist es mir egal, was über mich geschrieben wird, außer es | |
verletzt wirklich meine Privatsphäre, dann gehe ich auch hart dagegen vor. | |
Eine zweite Message des Filmes ist: Die Welt wäre eine bessere, wenn sie | |
von Frauen regiert wird. Stimmst du der Aussage zu? | |
Ja, ich glaube schon. Natürlich gibt es auch anstrengende und schwierige | |
Frauen, aber grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass wir feinfühliger | |
miteinander umgehen, besser kommunizieren und es weniger um den eigenen | |
Machterhalt geht. Es wäre schon interessant, was passieren würde, wenn man | |
den Spieß umdrehen würde und aus dem Patriarchat ein Matriarchat machen | |
würde. Was wäre, wenn Eva und Adam die Rollen getauscht hätten? Gott wäre | |
eine Frau gewesen, es wären Jahrtausende Frauen an der Macht gewesen, die | |
Männer unterdrückt hätten. Letztlich glaube ich: Macht ist das | |
Grundproblem. Und das ist vielleicht gar nicht an Gender gebunden. Wir | |
brauchen einfach Anarchie. | |
9 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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