# taz.de -- Iran-Expertin über das Nuklearabkommen: „Die Chance einer Umsetz… | |
> Azadeh Zamirirad glaubt, dass mit Joe Biden eine Rückkehr zur | |
> Vereinbarung mit Teheran möglich ist – auch wenn die gerade wieder | |
> gebrochen wurde. | |
Bild: Pandemiekonform: Iranerin bei der Gedenkzeremonie für Qasem Soleimani am… | |
taz am wochenende: Frau Zamirirad, Anfang dieser Woche hat der Iran damit | |
begonnen, Uran auf 20 Prozent anzureichern. Das ist der bisher | |
weitgehendste Bruch des Nuklearabkommens von iranischer Seite. Warum jetzt | |
– so kurz vor der Amtseinführung Joe Bidens, der die USA zurück in das | |
Abkommen führen möchte? | |
Azadeh Zamirirad: Ganz überraschend kommt das nicht. Die höhere | |
Anreicherung ist Teil eines Gesetzes, das schon vor Monaten ins iranische | |
Parlament eingebracht wurde und das nach dem Attentat auf den iranischen | |
Nuklearwissenschaftler Mohsen [1][Fachrisadeh] im Eilverfahren | |
verabschiedet worden ist. Dass die 20-Prozent-Anreicherung jetzt in dieser | |
Woche begonnen wurde, hat auch eine symbolträchtige Dimension. Ein Jahr | |
nach dem US-amerikanischen Anschlag auf den Kommandeur der | |
Al-Kuds-Brigaden, [2][Qasim Soleimani], will die Führung einmal mehr nach | |
innen und nach außen zeigen, dass sie solche Attentate nicht unbeantwortet | |
lässt und sich nicht der US-Politik des maximalen Drucks beugt. Letztlich | |
ist die Anreicherung aber auch die logische Folge der nuklearpolitischen | |
Taktik, die Iran seit Mai 2019 verfolgt. | |
… nämlich Schritt für Schritt das Atomprogramm wieder hochzufahren? | |
Ja, mit der Absicht, Verhandlungsmasse aufzubauen. Man will, wenn es zu | |
neuen Gesprächen kommt, nicht mit leeren Händen an den Verhandlungstisch | |
zurückkehren. Jetzt geht es Teheran aber vor allem darum, mit Blick auf die | |
kommende US-Administration Dringlichkeit zu erzeugen. Die iranische Seite | |
erwartet schnelle Sanktionserleichterungen von Joe Biden. | |
Diese Form der Kommunikation ist aber doch sehr gefährlich. Den Beginn der | |
Urananreicherung kann man leicht so verstehen, dass Iran gar nicht mehr zu | |
dem Nuklearabkommen zurückkehren will. | |
Das war auch die Sorge der Regierung um Präsident Rohani, der das Gesetz | |
für ein riskantes Manöver gehalten hat. Es könnte dazu führen, dass | |
letztlich auch die Europäer an einen Punkt gelangen, wo sie sagen: Die | |
Verstöße sind mittlerweile so gravierend, dass es sich schlicht nicht mehr | |
lohnt, das Abkommen aufrechtzuerhalten. Auch die nichteuropäischen | |
Vereinbarungsparteien könnten sich abwenden. Teheran riskiert also nicht | |
nur, die Europäer vor den Kopf zu stoßen, sondern auch Peking und Moskau. | |
Am Ende könnten wir ganz ohne Vereinbarung dastehen. So weit wird es aber | |
hoffentlich nicht kommen. | |
Welche Strömungen innerhalb des Irans kämpfen da miteinander? | |
Es gibt durchaus Hardliner im Parlament, die grundsätzlich gegen jeglichen | |
Atomkompromiss sind, aber die stellen eine Minderheit dar. Daneben gibt es | |
aber in allen politischen Faktionen Kritiker der Vereinbarung. Viele machen | |
vor allem die Regierung für die Misere verantwortlich. Dem Präsidenten | |
steht hier vor allem das mittlerweile von Konservativen dominierte | |
Parlament gegenüber. Der Konflikt ist aber auch mit Blick auf die | |
iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni zu sehen. Wir haben es hier mit | |
gewöhnlichen machtpolitischen Auseinandersetzungen zu tun. Außenpolitisch | |
gibt es durchaus ein Zusammenspiel der verschiedenen Kräfte. | |
Wie meinen Sie das? | |
Die Regierung Rohani profitiert ja auch davon, dass das Parlament diesen | |
Druck ausübt, weil sie auf internationaler Ebene genau auf diesen Druck | |
verweisen kann. Sie kann darlegen, dass ihr innenpolitisch die Hände | |
gebunden sind und sie schnelle Erfolge vorweisen muss. Grundsätzlich gilt | |
aber: Weder das Parlament noch die Regierung allein können Entscheidungen | |
dieser Tragweite treffen. Die trifft in Iran letztlich der | |
Revolutionsführer. Und bislang sehe ich keine Anzeichen dafür, dass | |
Chamenei das Nuklearabkommen komplett fallen lassen will. | |
Das Gesetz hat noch einen zweiten Teil, der vorsieht, den Inspektoren der | |
Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) den Zugang zu verwehren, wenn es | |
nicht zeitnah deutliche Sanktionslockerungen im Finanz- und Ölsektor gibt. | |
Dann wäre das Abkommen aber wirklich tot. | |
Im Moment sind wir in der Situation, dass Iran die Vereinbarung teilweise | |
nicht mehr umsetzt, aber das Ganze transparent geschieht. Die iranische | |
Seite kündigt ihre Aktivitäten an, und die Internationale | |
Atomenergiebehörde hat die nötigen Kontrollmöglichkeiten, um sich einen | |
Überblick zu verschaffen. Wir wissen also bislang, was Teheran wann und wo | |
macht. Aber in dem Moment, in dem diese Zugänge eingeschränkt werden, in | |
dem also die Verifikationsmaßnahmen gar nicht mehr greifen können, gibt es | |
keinen Anlass mehr, das Abkommen aufrechtzuerhalten. Von dem Punkt sind wir | |
aber noch entfernt. | |
Was ist mit den engen Zeitfristen? Bis Anfang Februar will man die | |
Erleichterungen sehen, oder Inspektionen werden teilweise ausgesetzt. Mit | |
der innenpolitischen Krise in den USA wird Joe Biden nach seinem | |
Amtsantritt am 20. Januar aber erstmal vieles anderes zu tun haben. | |
Sicher wird Biden stark innenpolitisch gebunden sein. Aber es gibt Dinge, | |
die er schnell auf den Weg bringen kann. Durch Exekutivverordnungen kann er | |
zum Beispiel einige der Sanktionen, die Trump seit Mai 2018 erlassen hat, | |
schnell wieder rückgängig machen. Außerdem kann er erklären, dass die USA | |
die UN-Resolution 2231 wieder anerkennen, mit der das Nuklearabkommen | |
völkerrechtlich legitimiert wurde. Das Hauptproblem war ja nie, dass die | |
Amerikaner sich aus dem Abkommen zurückgezogen haben. | |
Sondern? | |
Das Hauptproblem bestand darin, dass sie nach ihrem Rückzug andere Parteien | |
aktiv davon abgehalten haben, die Vereinbarung umzusetzen, unter anderem | |
durch extraterritoriale Sanktionen. Sie haben das Abkommen damit sabotiert, | |
Biden müsste davon absehen. | |
Wie groß ist die Enttäuschung darüber, dass sich Deutschland, Frankreich | |
und Großbritannien entgegen einigen Statements nicht stärker für das | |
Abkommen engagiert haben? | |
In der iranischen Atomdebatte gab es jahrelang eine Diskussion darüber, ob | |
die Amerikaner überhaupt willens wären, einen Nuklearkompromiss mit Iran | |
einzugehen, und ob die Europäer fähig wären, das zu tun. Rohani hatte stets | |
argumentiert, dass das möglich wäre, und konnte 2015 das Abkommen | |
tatsächlich als bahnbrechenden außenpolitischen Erfolg verbuchen. Aber was | |
später folgte, hat die Annahmen vieler Kritiker, vor allem aus Kreisen von | |
Hardlinerkräften, bestätigt. Die Ernüchterung über die Rolle Europas war | |
entsprechend groß. | |
Europäische Unternehmen sind vor dem Handel mit Iran zurückgeschreckt, | |
obwohl dieser von der EU und den europäischen Regierungen gewollt war. Da | |
kommt Politik dann auch an ihre Grenzen, oder? | |
Die EU hat versucht, den Handel mit Iran aufrechtzuerhalten, aber es ist | |
ihr letztlich nicht gelungen, europäischen Unternehmen die nötige | |
Rechtssicherheit zu geben. Das war auch schwierig, weil Washington | |
teilweise gezielt darauf gesetzt hat, Unsicherheit auf den Märkten zu | |
erzeugen, und nicht immer klar war, wo die Sanktionsgrenze genau verläuft. | |
Das hat dazu geführt, dass viele internationale Unternehmen noch | |
vorsichtiger und zurückhaltender waren als nötig. Selbst der humanitäre | |
Warenverkehr, der offiziell von Sanktionen ausgenommen ist, hat darunter | |
gelitten. Das ist eine der tragischen Auswirkungen des sehr rigiden | |
US-amerikanischen Sanktionsregimes: Es hat dazu geführt, dass nicht mal | |
medizinische und pharmazeutische Güter problemlos nach Iran exportiert | |
werden konnten. | |
Welche Konsequenzen sollte Europa nun daraus ziehen? | |
Man muss den Europäern erst mal zugutehalten, dass es ihnen zumindest | |
gelungen ist, die Atomvereinbarung bis heute zu erhalten, wenn auch in | |
deutlich abgeschwächter Form. Unter Biden besteht nun die Chance, dass wir | |
wieder zu einer vollständigen Umsetzung zurückfinden. Aber die Erfahrung | |
des Atomabkommens hat noch mal verdeutlicht, wie wichtig und notwendig | |
strategische Autonomie für die EU ist. Wir sind immer noch erschreckend | |
weit davon entfernt, unsere eigenen sicherheits- und wirtschaftspolitischen | |
Interessen gegebenenfalls auch gegen Druck aus Washington durchsetzen zu | |
können. | |
9 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jan Pfaff | |
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