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# taz.de -- Indigene in Kanada: Hunderte anonyme Gräber
> Erneut wurden in Kanada Überreste hunderter indigener Kinder in der Nähe
> eines ehemaligen Internats gefunden. Regierung verspricht volle
> Aufklärung.
Bild: Suche nach 751 anonym verscharrten menschlichen Überresten in Kanada
Vancouver taz | Nachdem in Kanada in der Nähe eines früheren Internats
erneut hunderte anonyme Gräber von indigenen Kindern gefunden wurden, will
die Regierung in Ottawa die Suche nach weiteren Opfern mit Millionensummen
unterstützen. Premierminister Justin Trudeau sprach von einem
„beschämenden“ Kapitel des Landes, das nun im Geiste der Versöhnung
aufgearbeitet werden müsse.
Zuvor waren auf dem Gelände eines ehemaligen katholischen Internats in der
zentralkanadischen Provinz Saskatchewan 751 unmarkierte Gräber entdeckt
worden. Wie der Häuptling des indigenen Stammes Cowessess, Cadmus Delorme,
am Donnerstag (Ortszeit) mitteilte, sind auf dem Schulgelände nahe der
Stadt Regina indigene Kinder, womöglich aber auch Erwachsene begraben
worden.
Der Häuptling betonte, noch nie seien in Kanada an einem Ort so viele
anonyme Gräber gefunden worden. Dabei gehe es nicht um ein Massengrab,
sondern um individuelle Grabstätten auf einem Friedhof, deren Kreuze und
Grabsteine von der Kirche in den sechziger Jahren entfernt worden seien. In
den nächsten Monaten und Jahren wolle man versuchen, die Identität der
Opfer herauszufinden.
## Es starben bis zu 6.000 Kinder
Es ist bereits die zweite Entdeckung dieser Art in Kanada innerhalb weniger
Wochen. Ende Mai waren in einer ähnlichen Einrichtung der Kirche in der
Stadt Kamloops die sterblichen [1][Überreste von 215 indigenen Kindern]
geortet worden. Der Fund hatte in Kanada und weltweit Entsetzen
hervorgerufen, und Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen hatten
umfassende Aufklärung gefordert.
Bei den sogenannten [2][„Residential Schools“] handelte es sich um
staatlich finanzierte und zumeist von den Kirchen betriebene Internate, in
denen indigenen Kindern ihre Kultur und Sprache genommen werden sollte, mit
dem Ziel, sie in der „weißen Gesellschaft“ zu assimilieren. Insgesamt
150.000 indigene Kinder mussten die 138 Schulen besuchen, die letzte wurde
in den 1990er Jahren geschlossen.
Laut Schätzungen einer in Kanada eingerichteten Wahrheits- und
Versöhnungskommission starben in den Internaten insgesamt bis zu 6.000
Kinder, die meisten von ihnen an Unterernährung oder Krankheiten wie
Tuberkulose. Manche starben auch an den Folgen der Gewalt, Entfremdung oder
Einsamkeit und wurden zum Teil anonym in Gräbern auf den Schulgeländen
verscharrt.
In ihrem [3][Abschlussbericht] im Jahre 2015 sprach die Kommission von
einem „kulturellen Genozid“ an den Ureinwohnern Kanadas. Die Regierung in
Ottawa hat sich zu ihrer Verantwortung bekannt, sich offiziell für die
Verbrechen der Vergangenheit entschuldigt und Entschädigungen gezahlt. Für
die Suche und Identifizierung der Opfer hat die Regierung bislang knapp 30
Millionen Dollar zur Verfügung gestellt.
## Indigene fordern Entschuldigung des Papstes
Wie der zuständige Minister für indigene Dienstleistungen, Marc Miller, am
Donnerstag in Ottawa sagte, soll diese Summe nun aufgestockt werden. Man
werde alles tun, um die Stämme bei der Aufarbeitung zu unterstützen, sagte
Miller. Der Oberhäuptling aller kanadischen Ureinwohner, Perry Bellegarde,
nannte die neuerlichen Grabfunde in Saskatchewan tragisch, aber nicht
überraschend.
Tatsächlich sind den Behörden und Verwaltungen der Ureinwohner die
Standorte vieler anonymer Grabfelder seit Jahrzehnten bekannt. Allerdings
kam es in Kanada lange nicht zu einer systematischen Identifizierung der
Opfer oder Aufklärung der Begleitumstände, weil es an historischen
Aufzeichnungen fehlt oder die Kirchen sich oftmals zögerlich gezeigt haben,
ihre Archive umfassend zu öffnen.
Vertreter der Ureinwohner forderten die Kirchen auf, sich aktiver als
bisher an der Aufklärung zu beteiligen. Der Häuptling der kanadischen
Federation of Sovereign Indigenous Nations, Bobby Cameron, verlangte eine
offizielle Entschuldigung des Papstes. Die Kirchen müssten zudem alle
Aufzeichnungen und Schülerlisten, die sich noch in ihrem Besitz befinden,
umgehend freigeben, so Cameron.
Noch langsamer als in Kanada schreitet die Aufarbeitung in den Vereinigten
Staaten voran. Auch in den USA gehörten „Boarding Schools“ für indigene
Kinder bis in die 1960er Jahre zum Alltag. In den 1930er Jahren gab es laut
US-Innenministerium 367 derartige Einrichtungen in 30 Bundesstaaten.
Schätzungen zufolge mussten in den USA mehrere hunderttausend Kinder die
Schulen besuchen.
Als Reaktion auf die jüngsten Funde in Kanada hat US-Innenministerin
[4][Deb Haaland], die selbst einer indigenen Familie angehört, diese Woche
umfassende Aufklärung über die Geschehnisse in den ehemaligen US-Internaten
angeordnet. Angesichts der neuen Initiativen in den USA und Kanada dürfte
in den nächsten Wochen und Monaten mit weiteren erschreckenden Funden zu
rechnen sein.
25 Jun 2021
## LINKS
[1] /Indigene-in-Kanada/!5775618
[2] /Indigene-in-Kanada/!5775847
[3] https://nctr.ca/records/reports/
[4] /US-Regierung-unter-Joe-Biden/!5739823
## AUTOREN
Jörg Michel
## TAGS
Kanada
Indigene
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