# taz.de -- Impfungen in Flüchtlingsheimen: Prioritätsgruppe Machen wir spät… | |
> Berlins Impfstart in Flüchtlingsheimen kommt zu spät: Flüchtlinge und | |
> Mitarbeitende wurden um eine Prioritätsstufe degradiert, kritisieren die | |
> Grünen. | |
Bild: AstraZeneca gibt es bereits für alle, während Flüchtlinge in Heimen au… | |
BERLIN taz | Geflüchtete und MitarbeiterInnen in Gemeinschaftsunterkünften | |
sind in Berlin „Prioritätsgruppe Machen wir später“. Zumindest lässt sich | |
dieser Eindruck gewinnen, wenn man die Impfrückstände in Flüchtlingsheimen | |
mit der Aufhebung der [1][Priorisierung von AstraZeneca] vergleicht und | |
sich zudem vor Augen führt, dass in Berlin diese Woche die Impfungen für | |
die Priorisierungsgruppe 3 begannen – also unter anderem für alle Personen | |
über 60 Jahre, Feuerwehrleute, SupermarktverkäuferInnen, LehrerInnen an | |
weiterführenden Schulen und JournalistInnen. | |
Denn gleichzeitig warten viele BewohnerInnen und MitarbeiterInnen in engen | |
Wohnheimen noch immer auf den Piks. Menschen in Gemeinschaftsunterkünften | |
sind besonders von Ansteckung gefährdet, weil sie Zimmer, Sanitärräume und | |
Küchen mit vielen anderen Menschen teilen. Jeder Zwölfte in Berliner | |
Gemeinschaftsunterkünften hatte bereits Corona, vier BewohnerInnen und eine | |
unbekannte Zahl von MitarbeiterInnen sind daran gestorben. | |
In Berlin leben 18.000 Flüchtlinge in Wohnheimen des Landesamts für | |
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), hinzu kommen noch 33.000 Menschen in | |
Heimen der Bezirke. Faktisch wurden sie nun zur Priorisierungsgruppe 3 | |
degradiert, wie etwa die Grüne Susanna Kahlefeld kritisiert. | |
Denn erst vergangenen Freitag, also fast zeitgleich mit Prioritätsgruppe 3, | |
startete die Impfaktion in den ersten drei Wohnheimen mit dem Impfstoff | |
Johnson & Johnson. Dieser Impfstoff hat den Vorteil, dass er nur einmal | |
verimpft werden muss. Allerdings bietet er im Gegenzug dazu von allen | |
zugelassenen Impfstoffen den geringsten Schutz. Diese Woche sollen in | |
weiteren Unterkünften BewohnerInnen ab 18 Jahren geimpft werden. | |
## Geringe Impfbereitschaft | |
Alexander Straßmeir, Präsident des LAF, feiert die beginnenden Impfungen in | |
den Unterkünften: Mit dem erst kürzlich zugelassenen Impfstoff von Johnson | |
& Johnson können „wir in kurzer Zeit viele Menschen vor einer Erkrankung | |
und schweren Verläufen schützen. Durch den Einsatz von mobilen Teams | |
stellen wir sicher, dass jeder, der möchte, ganz unkompliziert seine | |
Impfung erhält.“ | |
Das LAF räumt allerdings ein, dass die Impfbereitschaft unter den | |
BewohnerInnen gering ist: Sie liege nur zwischen 10 und 60 Prozent. Die | |
große Spanne erklärt sich wohl dadurch, dass die Impfbereitschaft höher | |
ist, wenn es schwere Coronafälle in den Heimen gab. Zudem ist laut LAF „zu | |
berücksichtigen, dass sehr viele der zahlreichen bereits an Covid | |
erkrankten Menschen nicht geimpft werden können, weil sechs Monate zwischen | |
Erkrankung und Impfung liegen müssen.“ | |
Der Flüchtlingsrat, Grüne und MitarbeiterInnen von Flüchtlingsunterkünften | |
kritisieren die gerade angelaufene Impfkampagne hingegen: Diese hätte viel | |
zu spät begonnen. Laut Georg Classen vom Flüchtlingsrat hat das LAF vorab | |
die Impfbereitschaft abgefragt. Aus einem der drei bereits geimpften | |
Wohnheime heiße es, dass das LAF nur so viel Impfstoff mitgebracht hätte, | |
wie Impfwillige gemeldet wurden. „Dabei war absehbar, dass vor Ort doch | |
noch mehr Menschen bereit gewesen wären, sich impfen zu lassen“, sagt | |
Classen. | |
Als einen Grund für die geringe Impfbereitschaft nennt Classen die | |
schlechte Informationspolitik in den Sprachen der Flüchtlinge. Zwar hat das | |
LAF mit einem Amtsarzt Videos in 15 Sprachen erstellt, doch Classen zufolge | |
seien darin enthaltene Aussagen problematisch. Etwa die, dass alle | |
Impfstoffe gleich gut seien und dass es keine Impfkomplikationen gegeben | |
habe. „Das ist dann wenig glaubwürdig.“ Auch die Impfungen im Fastenmonat | |
Ramadan könnten bei manchen die Bereitschaft gemindert haben. Der | |
Flüchtlingsrat fordert darum eine weitere Impfaktion mit mobilen Teams. | |
„Wenn die Geflüchteten sehen, dass MitbewohnerInnen und MitarbeiterInnen | |
die Impfung gut vertragen haben, wird die Bereitschaft sicher deutlich | |
steigen.“ | |
## „LAF hat uns vergessen“ | |
Eine Sozialarbeiterin einer Flüchtlingsunterkunft, die anonym bleiben will, | |
kritisiert, dass sie und ihre KollegInnen noch keinen Impfcode bekommen | |
haben, obwohl sie zur Prioritätsgruppe 2 gehören. Sie sagt: | |
„SozialarbeiterInnen in Behinderteneinrichtungen und Frauenhäusern haben | |
vor Wochen ihre Impfcodes bekommen. Wir sind darauf angewiesen, einen | |
Hausarzt zu haben, der impft und Impfstoff hat. Das LAF hat uns vergessen.“ | |
Die Sozialarbeiterin sagt, dass Impfskepsis für Flüchtlinge untypisch sei. | |
„Wenn gegen Masern oder Tetanus geimpft wird, liegt die Bereitschaft bei | |
nahezu 100 Prozent.“ Aber der Corona-Impfstoff sei neu, im Internet | |
kursierten zahlreiche Gerüchte. | |
Manfred Nowak von der Arbeiter Wohlfahrt Berlin-Mitte, die sieben | |
Geflüchtetenunterkünfte betreibt, verweist auf die große Ansteckungsgefahr | |
in den Häusern aufgrund der hohen Personendichte. Die Ankündigung der | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Impfpriorisierung aufzuheben, | |
sieht er angesichts der wenigen Impfungen in Gemeinschaftsunterkünften | |
kritisch. „Das unterstützen wir nur, wenn dadurch kein Nachteil für | |
BewohnerInnen und MitarbeiterInnen von Gemeinschaftseinrichtungen entsteht. | |
Es bedarf jetzt endlich mobiler Impfteams!“ | |
Sascha Langenbach vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten weist die | |
Kritik teilweise zurück. „Die Impfteams hatten an allen Standorten | |
ausreichend Impfdosen dabei. Es gab an keinem der drei Standorte einen | |
Mangel an Impfmaterial.“ Zusätzlich zu den Videos hätte seine Behörde | |
Infomaterial an die Einrichtungen geschickt. Ein zweiter Einsatz von | |
mobilen Impfteams in Flüchtlingsunterkünften sei nicht geplant. „Für alle | |
Menschen, die den Termin verpasst haben, gibt es die Möglichkeit der | |
Terminvergabe beim Hausarzt“, sagt Langenbach. | |
## Starke Konkurrenz bei den Hausärzten | |
Zwei betroffene SozialarbeiterInnen erfahren davon durch einen Anruf der | |
taz. Sie kritisieren das scharf: „Montag wurden die Impfungen für die | |
Prioritätsgruppe 3 freigegeben. Der Andrang in den Impfzentren und | |
Arztpraxen ist riesig.“ Die beiden Frauen haben deswegen erst im August | |
einen Termin im Impfzentrum erhalten. | |
„Unsere Bewohner haben es aufgrund ihrer schlechten Deutschkenntnisse noch | |
schwerer, sich einen Termin gegen die starke Konkurrenz zu sichern.“ Die | |
Sozialarbeiterinnen haben zudem Bedenken, das Infomaterial unter den | |
Flüchtlingen zu verteilen. „Wir sind selbst noch nicht geimpft worden. | |
Darum sehe ich mich nicht in der Lage, ungeschützt von Zimmer zu Zimmer zu | |
gehen.“ | |
Die Grüne Susanna Kahlefeld kritisiert, dass BewohnerInnen und | |
MitarbeiterInnen von Flüchtlingsheimen, die laut | |
Bundesgesundheitsministerium eigentlich zur Priorisierungsgruppe 2 gehören | |
sollen, so von Berlin klammheimlich in die Gruppe 3 heruntergestuft wurden. | |
Kahlefeld sagt: „Gesundheitssenatorin Kalayci hat nicht rechtzeitig den | |
Impfstoff bereitgestellt. Das ist unmöglich angesichts der | |
Ansteckungsgefahr. Und wenn die MitarbeiterInnen und EhrenamtlerInnen nicht | |
mitgeimpft werden, dann wird das Impfvorhaben in Flüchtlingsheimen nicht | |
gelingen.“ | |
Auch Kahlefeld fordert für die Heime einen zweiten Einsatz mobiler | |
Impfteams. Sie sagt: „Frau Kalayci kann deren Arbeit nicht Ende Mai | |
einstellen. Damit bleiben die Leute unversorgt, die Impfungen am nötigsten | |
haben, aber sich gegen starke Konkurrenz nicht behaupten können.“ | |
5 May 2021 | |
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[1] /AstraZeneca-Impfungen-in-Berlin/!5763250 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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