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# taz.de -- Homophobie in Tschetschenien: Lebensbedrohliche Situation
> Präsident Kadyrow lässt in Tschetschenien Homosexuelle verhaften, foltern
> und ermorden. Konsequenzen muss das Regime nicht fürchten.
Bild: Ein schwuler Mann aus Tschetschenien will nach einem Gespräch mit der Pr…
Die Warnung war dringend: „In Tschetschenien ist eine neue Verhaftungswelle
gegen Angehörige sexueller Minderheiten, Männer wie Frauen, angelaufen“,
war vor wenigen Tagen im sozialen Netzwerk VKontakte, dem russischen
Pendant zu Facebook, zu lesen. „Ich bitte alle diejenigen, die noch in
Freiheit sind, diese Mitteilung ernst zu nehmen und die Republik so schnell
wie möglich zu verlassen“, schreibt der User weiter.
Man muss feststellen: Die Betroffenen sollten diesen Rat unbedingt ernst
nehmen. Denn die gnadenlose Verfolgung von Angehörigen der LGBT-Community
oder von Menschen, die „dieser Umtriebe“ verdächtigt werden, hat in der
muslimischen Nordkaukasusrepublik wieder schreckliche Dimensionen
angenommen.
Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation „Russisches LGBT-Netz“, die
die Zeitung Nowaja Gazeta und der Fernsehsender Nastojaschee Wremja
verbreiteten, wurden seit Ende Dezember 2018 40 Personen fest genommen,
zwei Männer wurden zu Tode gefoltert. Laut Igor Kochetkow vom LGBT-Netz
seien die Männer und Frauen, die der Homosexualität bezichtigt würden, von
örtlichen Einsatzkräften festgenommen und in ein geheimes Gefängnis nach
Argun nördlich der tschetschenischen Hauptstadt Grosny gebracht worden.
Bislang hat die Organisation 130 Personen dabei geholfen, Tschetschenien
beziehungsweise Russland überhaupt zu verlassen.
„Die Verfolgung von Männern und Frauen, die homosexueller Beziehungen
verdächtigt werden, hat nie aufgehört. Allenfalls das Ausmaß hat sich
geändert“, sagt Kochetkow. Damit spielt er auf das Jahr 2017 an. Damals
hatten Razzien und Verhaftungen von Dutzenden Personen mit
„nichttraditioneller sexueller Orientierung“, wie es im russischen
Sprachgebrauch heißt, auch international Schlagzeilen gemacht. Mit
Besenstielen, Wodkaflaschen und Stromschlägen arbeiteten sich entfesselte
Ordnungskräfte so lange an ihren wehrlosen Opfern ab, bis einige von ihnen
starben. Viele der Festgenommenen sind bis heute spurlos verschwunden. Als
Erste über die Vorkommnisse berichtet hatte die Nowaja Gazeta, deren
bekanntestes Gesicht, die Investigativjournalistin Anna Politkowskaja, im
Oktober 2006 vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen wurde. Sie hatte vor
allem über Tschetschenien recherchiert.
Flankiert waren [1][die Repressionen 2017] von dem Vorgehen, das in
Tschetschenien üblicherweise Folter, Misshandlung und Demütigung völlig
entrechteter Gefangener begleitet: der Bedrohung von Verwandten, die die
Häftlinge freikaufen können, sowie dem Herauspressen von Geständnissen und
Namen von Menschen, denen ihre tatsächliche oder unterstellte sexuelle
Orientierung ebenso zum Verhängnis werden soll.
## Kadyrows Drohungen
Der mit überschaubarer Intelligenz ausgestattete Präsident
Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, der in der Vergangenheit mehrfach zur
Liquidierung von LGBT-Menschen aufgerufen hatte und mit seinen
Schlägertrupps (den sogenannten Kadyrowzy, einer paramilitärischen Truppe,
die Kadyrow untersteht) seine Landsleute regelrecht terrorisiert, parierte
die Vorwürfe 2017 mit der Bemerkung, alles sei erlogen: Es gebe in
Tschetschenien schlichtweg keine Homosexuellen. Sein Sprecher Alwi Karimow
betete die gleiche Litanei herunter. Sollte es Homosexuelle in
Tschetschenien geben, „müssten sich die Sicherheitsbehörden keine Sorgen um
sie machen. Denn ihre Verwandten würden sie schon an einen Ort geschickt
haben, von dem sie nie zurückkehren könnten, sagte er der russischen
Agentur Interfax im April 2017.
Klar: Wo keine LGBT-Menschen existieren, gibt es auch keine Repressionen
gegen sie. Ergo braucht sich auch niemand mit lästigen Ermittlungen
aufzuhalten. In seinem menschenverachtenden Vorgehen gegen sexuelle
Minderheiten sowie Oppositionelle jeglicher Couleur, das für die Täter
keinerlei strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, kann sich Kadyrow
der vollen Unterstützung des Kremls sicher sein.
Denn auch in allen anderen Regionen der Russischen Föderation ist die –
manchmal tödlich endende – Diskriminierung Homosexueller Alltag. Ganz vorne
mit dabei ist die orthodoxe Kirche, die gegen die „kranken, abartigen und
familienzersetzenden Elemente“ fast ununterbrochen mit Hasstiraden zu Felde
zieht. Als juristischer Hebel dient Moskau das Gesetz über das Verbot
sogenannter Homosexuellen-Propaganda, das Russland 2017 eine Verurteilung
durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einbrachte. Auch ist
es wohl alles andere als ein Zufall, dass russische Soldaten während der
beiden Tschetschenienkriege (1994–1996 und 1999–2009) die Vergewaltigung
vor allem auch tschetschenischer Männer zielgerichtet einsetzten. Die
meisten Opfer schwiegen aus Scham, und das tun sie auch heute noch.
Bis auf einen: Maksim Lapunow. Seit 2015 lebte der gebürtige Russe, der
Russland mittlerweile verlassen hat, in Tschetschenien. Zwei Jahre später
wurde er unter dem Vorwurf, homosexuell zu sein, festgenommen. Zwölf Tage
saß Lapunow in einem geheimen Gefängnis ein. Während dieser Zeit wurde er
mit Stromschlägen gefoltert und so lange mit Stöcken geschlagen, bis er
zusammenbrach. Nach seine Freilassung wandte er sich an die russischen
Strafverfolgungsbehörden – letztlich erfolglos. Denn die
Ermittlungsbehörden hätten leider keine Beweise für Lapunows
Anschuldigungen finden können, wie ein Vertreter der russischen
Generalstaatsanwaltschaft im vergangenen Juli vor einem UN-Komitee in Genf
ausführte. Im November bestätigte eine russisches Berufungsgericht die
Entscheidung, im Fall Lapunow keine strafrechtlichen Ermittlungen
einzuleiten.
Vor drei Wochen legte der Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek im Auftrag
der OSZE [2][einen Bericht (.pdf)] über Menschenrechts-verletzungen in
Tschetschenien vor, der sich wie ein Horrorroman liest: „Die Beweise zeigen
deutlich, dass die Vorwürfe sehr ernster Menschenrechtsverletzungen in der
Tschetschenischen Republik bestätigt werden können. Dies betrifft
insbesondere Vorwürfe von Schikanen und Verfolgung, von willkürlichen oder
illegalen Festnahmen, Folter, erzwungenem Verschwinden und von Exekutionen
außerhalb eines rechtlichen Rahmens“, heißt es da. Man habe
Menschenrechtsverletzungen auf Grundlage der sexuellen Orientierung und
Geschlechtsidentität 2017 bestätigen können. Es sei kein Fall bekannt,
dass ein Angehöriger der Sicherheitskräfte wegen
Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt worden wäre, schreibt
Benedek weiter.
## Keine Hoffnung säen, wo keine ist
Doch auch dieser Rapport scheint weder die Verantwortlichen in
Tschetschenien noch in Moskau zu beeindrucken – wie die jüngsten Ereignisse
zeigen. Im Gegenteil: Besagter Sprecher Kadyrows, Alwi Karimow, hatte auf
die jüngsten Berichte wieder nichts anderes zu bieten als die bekannten
abgedroschenen Formeln – es handele sich um nichts anderes als Unwahrheiten
und Desinformation. In Tschetschenien gebe es keine geheimen Orte und
Gefängnisse, die nicht dem föderalen Strafvollzugssystem unterstünden,
sagte er.
Man darf keine Hoffnung säen, wo keine ist. Das Foltern und Morden von
Menschen, die nicht in das Raster von Achmed Kadyrow passen, will oder kann
in Tschetschenien derzeit niemand beenden. „Die tschetschenischen
Machthaber haben nichts zu befürchten. Auf die Verfolgungswellen
sexueller Minderheiten 2017 und 2018 haben die russischen Justizorgane
entweder mit Schweigen oder einer Leugnung der Fakten reagiert“, sagt die
russische Menschenrechtlerin von Amnesty International Natalja Priluzkaja.
„Solange sich das nicht ändert, werden diese Verbrechen weiter gehen –
leider.“
17 Jan 2019
## LINKS
[1] /Homophobie-in-Tschetschenien/!5405526
[2] https://www.osce.org/odihr/407402?download=true
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
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Homophobie
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