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# taz.de -- Hasskampagne gegen transgender Community: Immer neue Attacken
> Pakistan wählt dieses Jahr. Der größte Aufreger: Ein bahnbrechendes
> Gesetz zum Schutz von trans Menschen, das nun wieder auf der Kippe steht.
Bild: Protest der trans Community im Pandschab
2018 hat Pakistan ein Gesetz verabschiedet, das zu den progressivsten
Gesetzen für trans Personen weltweit gehört, den „Transgender Persons Act�…
Das Gesetz soll Grundrechte sichern, wie Bildung, Anstellung,
Gesundheitsversorgung, korrekte Bezeichnung im Ausweis und das Recht auf
Erbschaft. Doch seit der Verabschiedung hat sich die Situation für eben die
Menschen, die das Gesetz schützen soll, verschlechtert.
Konservative Organisationen wie die islamistische Dschamaat-i-Islami
beantragten beim Bundesschariagericht, das Gesetz rückgängig zu machen.
Dieses Gericht wurde in den 1980ern gegründet, um sicherzustellen, dass
Gesetze mit dem Islam übereinstimmen. Es ist befugt, das Inkrafttreten
„unislamischer“ Gesetze zu stoppen. Das Argument der Konservativen gegen
das Gesetz: Es könnte eine Tür öffnen für gleichgeschlechtliche
Beziehungen, die nach ihrem Verständnis vom Islam verboten und in Pakistan
ein Verbrechen sind.
Dabei hat die Vorstellung von Menschen außerhalb der binären
Geschlechterordnung in einigen südasiatischen Ländern wie Pakistan und
Indien Tradition, etwa die Gruppe der Khwaja Sira, die vom 16. bis zum 18.
Jahrhundert sogar wichtige Positionen an Gerichten bekleideten.
Traditionellerweise leben die Khwaja Sira, oft von ihren Familien
verlassen, als Verbund aus älteren Lehrer*innen und jüngeren
Schüler*innen, die den Haushalt erledigen und gemeinschaftlich unter
anderem durch Sexarbeit und Bettelei den Lebensunterhalt verdienen. Sie
sind sichtbar in der pakistanischen Gesellschaft, werden aber häufig als
Gruppe von intersexuellen Menschen betrachtet. Doch das sind sie nicht.
## Selbstidentifikation des Geschlechts
„Khwaja Sira ist eine kulturelle Identität und viele transgender Menschen
finden in ihre Schutz, weil sie gesellschaftlich akzeptiert ist“, sagt
Zanaya Chaudhary, eine Aktivistin für trans Rechte und Mitglied der
Khwaja-Sira-Gemeinschaft. „Transgender“ ist als Begriff in Pakistans
Gesellschaft noch verhältnismäßig neu. Politisch konservative und
religiöse Führungspersonen lehnen die Selbstidentifikation des
Geschlechts ab. Sie sei gegen den Islam. Auch deswegen lehnen sie das
Gesetz von 2018 ab. Es würde „westliche“ transgender Identitäten fördern.
Nayyab Ali ist eine prominente Verteidigerin von trans-Rechten und
Vorsitzende des „All Pakistan Transgender Election Network“. Als eine von
vier trans Kandidat*innen trat sie bei der Parlamentswahl 2018 an. Und
sie hat den Transgender Persons Act mitentworfen. Die Kampagne gegen das
Gesetz sieht sie als politisch motiviert. „Die marginalisierte Gemeinschaft
ist der Sündenbock vor den Parlamentswahlen in diesem Jahr“, erklärt Ali.
Der Zeitpunkt der Kampagne gegen trans Rechte kommt vielen
Aktivist*innen verdächtig vor – so kurz vor den Wahlen, die spätestens
am 14. Oktober abgehalten werden müssen.
Denn obwohl das Gesetz unter dem Mandat des ehemaligen Premierministers
Imran Khan verabschiedet wurde, war es ein Senator aus seiner eigenen
Partei, der 2022 eine Vorlage zur Gesetzesänderung einbrachte. Die
beinhaltet unter anderem, dass die Möglichkeit der Selbstidentifizierung
gestrichen wird. Der Vorsitzende des Senats leitete sie weiter an das
Komitee für Menschenrechte. Am 13. Februar erlebte der Transgender Persons
Act einen großen Rückschlag: Das Menschenrechtskomitee des Parlaments
entschied, das Wort „transgender“ im Gesetz durch „khunsa“ zu ersetzen …
„intersexuell“. Zudem beschloss es, dass auf Kreisebene Gremien formiert
werden können, die über die Genderidentität von Bewerber*innen
entscheidet. Sie bestehen aus Ärzt*innen, Genetiker*innen und
Psycholog*innen.
„Als transgender Aktivistin, die in Pakistan lebt, bin ich tief
erschüttert“, schrieb Ali bei Twitter. „Der Austausch des Worts entkräftet
nicht nur transgender Identitäten, sondern verstärkt auch den Trugschluss,
dass Gender sich nur aus physischen Attributen und Anatomie begründet.“
## Anstieg an brutalen Mordfällen
Trans Aktivist*innen vergleichen den systematische Angriff auf trans
Personen [1][mit der Verfolgung der Ahmadiyya, einer religiösen
Minderheit,] durch politische Parteien im Wahljahr 2018. Vor der Abstimmung
hatte die Regierung Wahlgesetze erlassen, die Ahmadiyya effektiv von der
Wahl ausschlossen. Laut der NGO Human Rights Watch gehören die Ahmadiyya
zu den am stärksten verfolgten Minderheiten in Pakistan. Die Angst, dass es
der trans Gemeinschaft ähnlich ergehen könnte, ist nicht unbegründet.
„Online gibt es viele Hasskampagnen gegen die transgender Community, die
von Rechtsaußensenatoren und religiösen Anführern auf ähnliche Weise
durchgeführt werden“, sagt Ali.
Von Oktober 2021 bis September 2022 wurden laut Amnesty International 18
trans Menschen im Land getötet. Man geht davon aus, dass nicht alle
Tötungen gemeldet wurden. „Der Anstieg an brutalen Mordfällen ist ein
Resultat der Transphobie und der digitalen Hasskampagnen“, sagt Ali. „Zudem
grassieren Ehrenmorde, bei denen Familien ein transgender Familienmitglied
umbringen, um ihren sozialen Status zu wahren.“
Auch wenn Ali und Chaudhary in den Medien Pakistans als Fürsprecherinnen
von trans Rechten fungieren: In der Öffentlichkeit sinkt die Sichtbarkeit
von trans Personen. „Traurigerweise gibt es innerhalb der Community zu viel
Angst“, sagt Ali, die selbst eine Säureattacke durch ihren ehemaligen
Partner überlebt hat. „Transphobie ist in der pakistanischen Gesellschaft
verankert, aber politische Kampagnen haben sie noch schlimmer gemacht.“
Transphobe politische Kampagnen beeinflussen auch kulturelle
Veranstaltungen in Pakistan. Ende 2022 versuchte die Regierung „Joyland“ zu
verbieten, einen Film über die Beziehung einer trans Frau mit einem
verheirateten Mann in Pakistan. Obwohl der Film der offizielle
pakistanische Oscar-Beitrag war, wurde er zeitweise verboten.
[2][Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai], die als ausführende
Produzentin des Films eingesprungen war, schrieb gegen die Zensur an und
sorgte so für internationale Aufmerksamkeit, die wiederum die Regierung
unter Premierminister Shehbaz Sharif dazu zwang, den Film freizugeben. In
der Provinz Pandschab ist er jedoch weiterhin verboten.
## Leben im Verborgenen
Das Erscheinen des Films wurde gefeiert. Dennoch fürchtet Chaudhary, dass
er unbeabsichtigt Schaden mit sich bringen könnte. „Pakistan ist nicht
bereit dafür, diesen Film zu verdauen“, sagt sie. „Als transgender Personen
verstecken wir viele Dinge vor der Gesellschaft, und manchmal führt es zu
mehr Schaden als Nutzen, wenn unser Leben dargestellt wird.“
Trotzdem bleiben die Aktivist*innen wehrhaft. Bei einer Demonstration
in Karatschi stellten Mitglieder der Khwaja Sira zwölf Forderungen auf, die
rigoroses Vorgehen gegen Hate Speech und Gewalt einschließen. Bei dem
Marsch bildeten sie eine Koalition mit Frauenrechtler*innen unter dem
Slogan „Zan, Zindagi and Azadi“ – Frauen, Leben, Freiheit; ein Wink auch …
Richtung Frauenbewegung und -widerstand in Iran.
Für Ali ist die Hauptaufgabe an der Basis ein Verständnis der Unterschiede
zwischen Gender und Sexualität zu schaffen. „Wir müssen die Desinformation
dekonstruieren“, sagt sie. „Wir haben uns zurückbewegt und sind beim Stand
von vor 20 Jahren. Und wir müssen damit rechnen, dass jetzt ein Gesetz
durch das Schariagericht zunichte gemacht wird. Aber sobald der Wahlkampf
vorbei ist, wird sich die Situation hoffentlich verbessern.“
18 May 2023
## LINKS
[1] /Diskriminierung-von-Ahmadiyya-Muslimen/!5884858
[2] /Friedensnobelpreistraegerin-in-Pakistan/!5495191
## AUTOREN
Kennith Rosario
## TAGS
Trans
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Schwerpunkt Afghanistan
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