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# taz.de -- Getöte Zivilist*innen in Kolumbien: Mordmaschine Militär
> Die Armee hat zwischen 2002 und 2008 fast dreimal so viele Menschen
> ermordet wie bisher bekannt. Das hat die „Sonderjustiz für den Frieden“
> ermittelt
Bild: Vor dem Gebäude der Sonderjustiz in Bogotá: Angehörige demonstrieren f…
Bogotá taz | Es ist eine Zahl, die Kolumbien erschüttert: Mindestens 6.402
unschuldige Menschen hat die Armee zwischen 2002 und 2008 ermordet – im
Durchschnitt fast drei Menschen pro Tag. Das hat die Sonderjustiz für den
Frieden (JEP) [1][in einer ersten Untersuchungsphase] ermittelt. Es sind
fast dreimal so viele wie bislang bekannt.
Hinter der beschönigenden Formulierung der „Falsos Positivos“ (in etwa
falsche gegnerische Verluste) verbirgt sich eines der größten Verbrechen in
der Zeit des bewaffneten Konflikts: Um Quoten zu erfüllen und Prämien
einzustreichen, ermordete die Armee auf Druck der Regierung Tausende
Zivilist*innen. Die Soldat*innen verkleideten sie als Rebellen,
deponierten teils Waffen neben ihren Leichen. Die meisten der Opfer waren
Männer, Menschen aus armen Familien, Bauern, aber auch Obdachlose und
Drogenabhängige.
Eines der Opfer ist Blanca Nubia Monroys Sohn Julián. Er war 19 Jahre alt,
fleißig, hilfsbereit, aber seit Monaten ohne feste Arbeit, als ihn in
Bogotás Vorstadt Soacha jemand ansprach und einen Job versprach. Am 2. März
2008 verließ er das Haus, um ihn zu treffen. Ein halbes Jahr Suche später
identifizierte die Familie seine Leiche rund 19 Stunden Busfahrt entfernt
in einem Massengrab auf dem Friedhof in Ocaña. Am 3. März sei ihr Sohn, der
Guerillero, bei einem Gefecht mit der Armee getötet worden, teilte man
Blanca Nubia Monroy mit.
Seitdem kämpft die Mutter zusammen mit rund 20 Frauen der Vereinigung
„Mütter der ‚Falsos Positivos‘ von Kolumbien“ (Mafapo) für Gerechtigk…
„Wir kämpfen darum, dass die Welt erfährt, dass unsere Söhne keine
Guerilleros waren, sondern ganz normale Menschen mit Plänen und Träumen.“
Dass es jetzt offiziell 6.402 Opfer sind, hat Blanca Nubia Monroy (62)
nicht überrascht. „Nach unseren Recherchen und der von
Menschenrechtsorganisationen sind es mindestens 10.000.“
## Die Zahl könnte noch steigen
Gut möglich, dass die Sonderjustiz diese Zahl noch erreichen wird: Denn in
der ersten Phase der Untersuchungen hat sie sich bisher nur die sechs
Gegenden vorgenommen, in denen die meisten Fälle vorliegen, und nur den
Zeitraum von 2002 bis 2008. Zudem könnten sich von der Arbeit des
Sonderjustiz Angehörige ermutigt fühlen, ihre Fälle anzuzeigen, die dies
jahrelang erfolglos bei staatlichen Organen versucht oder aus Angst
geschwiegen hatten.
Anfangs stand sie der Sonderjustiz skeptisch gegenüber, erzählt Mutter
Blanca Nubia Monroy. „Wenn die Täter die Wahrheit sagen, müssen sie nur
acht Jahre ins Gefängnis.“ Die ersten Anhörungen seien für die
Hinterbliebenen eine Enttäuschung gewesen. „Wir haben viele Lügen gehört,
das machte uns so wütend!“
Doch mittlerweile sagt Monroy: „Die Sonderjustiz gibt uns Hoffnung. Sie ist
wie ein Fenster, das sich immer weiter öffnet. Wir werden früher oder
später die Wahrheit erfahren. Ohne sie hätten wir das nie.“
Eine der Hauptfragen lautet: Wer gab den Befehl? Das [2][gelbe Wandbild mit
dieser Frage] und den Gesichtern hochrangiger Militärs wird regelmäßig
schnell überstrichen. Das Motiv, gedruckt auf Mundschutz, ist ein kleiner
[3][Verkaufsschlager] der Mütter in der Pandemie geworden. Die Antwort
kommt näher.
## Meiste Hinrichtungen fallen in Ex-Präsident Uribes Amtszeit
Während wohl die eine Hälfte der Bevölkerung die Bekanntgabe der
Sonderjustiz als wichtigen Schritt in Richtung Anerkennung und
Wahrheitsfindung feiert, setzt Ex-Präsident Álvaro Uribe zum Gegenangriff
an. In seine Amtszeit fallen [4][die meisten der außergerichtlichen
Hinrichtungen]. Anders als sein damaliger Verteidigungsminister, der
spätere Präsident und Friedensnobelpreisträger J[5][uan Manuel Santos], hat
sich Uribe nicht angeboten auszusagen. Stattdessen bezeichnete er in einer
ersten Stellungnahme unter anderem Menschenrechts- und Opferorganisationen
sowie Anwaltsvereinigungen als Feinde seiner Regierung.
Der oberste Kommandant der Armee, [6][Eduardo Enrique Zapateiro
Altamiranda], sowie der [7][offizielle Twitter-Account der Armee] teilten
als Reaktion ein Video. Es zeigt mehrere Schlangen, die unter martialischer
Musik und Einblendung von Bibelversen vergeblich eine Eidechse einfangen
wollen. Text: „Wir sind Soldaten der kolumbianischen Armee und werden uns
auch von noch so vielen perversen Giftschlangen nicht besiegen lassen, die
uns angreifen, anzeigen oder schwächen wollen. Offiziere, Unteroffiziere
und Soldaten, wir ergeben uns nicht, wir lassen nicht nach, immer stark mit
erhobenem Haupt. Gott ist mit uns.“
„Sie tun Böses und wir sind die Bösen“, sagt Blanca Nubia Monroy empört.
„Wir sind der Stein im Schuh von Uribe, der Militärs, der Generäle.“
Blanca Nubia Monroy wohnt schon lange nicht mehr in Soacha, weil sie dort
bedroht wurde. Die Bekanntmachung der Sonderjustiz verbindet sie auch mit
Angst: „Wir leben in großer Gefahr, es gibt viel Korruption in der
Regierung, der Armee, der Polizei“, sagt sie. „Man weiß nicht, ob nicht ein
paar Mütter verschwinden werden.“ Eine der Mütter aus der Vereinigung sei
nach der Nachricht von zwei Männern auf einem Motorrad verprügelt worden.
Die Täter, unbekannt, sagten, sie solle ihren Mitstreiterinnen ausrichten,
dass dies eine Warnung sei.
26 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www.jep.gov.co/Sala-de-Prensa/Paginas/La-JEP-hace-p%C3%BAblica-la-e…
[2] https://hjck.com/actualidad/nueva-censura-de-arte-en-bogota-ejercito-tapo-m…
[3] https://colombianoindignado.com/madres-de-falsos-positivos-crean-tapabocas-…
[4] https://cea.javeriana.edu.co/documents/153049/2786252/Vol.12_10_2012.pdf/4e…
[5] https://www.eltiempo.com/justicia/investigacion/juan-manuel-santos-dice-que…
[6] https://twitter.com/COMANDANTE_EJC/status/1362840900628586496?s=20
[7] https://twitter.com/COL_EJERCITO/status/1362830478424887296?s=20
## AUTOREN
Katharina Wojczenko
## TAGS
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