| # taz.de -- Gestohlene Stolpersteine: Gedächtnislücken in Neukölln | |
| > Wenige Tage vor dem Gedenktag an die Reichspogromnacht werden mindestens | |
| > 16 Stolpersteine ausgegraben- vermutlich von Rechtsextremen. Vier | |
| > Geschichten der Opfer. | |
| Bild: Wie eine Wunde im Boden: Hier lag bis vor Kurzem ein Stolperstein | |
| Wenige Tage vor dem Jahrestag der antijüdischen Pogrome vom 9. November | |
| 1938 sind in Berlin-Neukölln zahlreiche Stolpersteine entwendet worden. Die | |
| vor deren ehemaligen Wohnorten in den Boden eingelassenen Steine erinnern | |
| an Opfer der Nationalsozialisten – Jüdinnen und Juden, | |
| WiderstandskämpferInnen, verfolgte Homosexuelle, Sinti und Roma, | |
| Euthanasieopfer. | |
| Bemerkt wurden die fehlenden Gedenksteine am Montagmorgen, Dienstagabend | |
| galten 16 als gestohlen. Nach Informationen der taz waren | |
| Mittwochnachmittag mindestens 20 Steine in einem Radius von mehreren | |
| Kilometern betroffen, denn es wurde versucht, vier weitere Stolpersteine zu | |
| klauen, sie blieben jedoch an Ort und Stelle zurück. Schwerpunkt der | |
| Diebstähle war die Hufeisensiedlung rund um die Parchimer Allee. Der | |
| Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. | |
| Dass Neonazis dahinterstecken, liegt nahe. Denn dass jemand die Steine im | |
| Glauben klaut, sie seien wertvoll, erscheint haltlos: Sie sind aus Beton | |
| gegossen und nur mit einer dünnen Messingplatte bedeckt. | |
| Zudem hatten Rechtsextreme bereits in den vergangenen Jahren versucht, zum | |
| Gedenktag für Aufsehen zu sorgen: 2016 veröffentlichten sie auf Facebook | |
| eine [1][Liste von 70 jüdischen Geschäften und Einrichtungen in Berlin] mit | |
| dem Slogan „Juden unter uns“. Zum 9. November 2011 wurde ein Brandanschlag | |
| auf das Anton-Schmaus-Haus der Falken in Neukölln verübt. | |
| ## Stolpersteine für Nazi-Gegner | |
| Die meisten der nun verschwundenen Stolpersteinen erinnern an | |
| antifaschistische Gegner der Nationalsozialisten. Jürgen Schulte von der | |
| Bürgerinitiative „Hufeisern gegen rechts“ zieht deshalb eine Parallele zu | |
| den [2][zahlreichen Naziangriffen der vergangenen Jahre in Neukölln]. „Der | |
| Angriff auf die Steine und das mit ihnen verbundene Gedenken ist in eine | |
| Linie mit dem Kampf gegen ‚Volksfeinde‘ zu setzen“, erklärt er gegenüber | |
| der taz. Hierzu hätten die Nazis von Beginn an nicht nur jüdische Menschen, | |
| sondern auch politische Widersacher gezählt, so Schulte weiter: „Damals wie | |
| heute.“ Der Begriff der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ | |
| illustriere dies. | |
| Politiker, Initiativen und Bürger zeigten sich entsetzt über die Taten. | |
| Silvija Kavic, Leiterin der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin, | |
| betont: „In dieser Form gab es das bislang nicht!“ Zwar seien bereits | |
| Stolpersteine beschmiert oder zerkratzt worden, gestohlen aber noch keiner. | |
| Grüne, SPD und Linke haben für die nächste Neuköllner | |
| Bezirksverordnetenversammlung einen Antrag eingereicht, der den Diebstahl | |
| der Steine verurteilt und eine zügige Wiederherstellung fordert. | |
| Viele Menschen signalisierten bereits Spendenbereitschaft, um die in den | |
| Bürgersteigen klaffenden Erinnerungslücken zu schließen. 120 Euro kostet | |
| die Legung eines Stolpersteins. | |
| ## Gegen das Vergessen – Geschichten von vier Opfern | |
| ## Anna und Samson Baruch Wurzel | |
| Aus der Nähe von Krakau zog die jüdische Familie Wurzel Anfang des 20. | |
| Jahrhunderts nach Berlin. Annas Wurzels Vater Samson Baruch führte ein | |
| kleines Tabakwarengeschäft in der Bürgerstraße in Neukölln, wo sie oft | |
| aushalf. | |
| Ein Drittel der deutschen Juden lebte zu Beginn der 1930er Jahre in Berlin. | |
| Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begannen ihre | |
| systematische Ausgrenzung und Verfolgung. Während der Reichspogromnacht vor | |
| 79 Jahren wurde auch das Tabakgeschäft der Wurzels von SS-Leuten gestürmt, | |
| geplündert und zerstört. | |
| Anfang 1943 begab sich der damals bereits 85 Jahre alte Familienvater in | |
| das Jüdische Krankenhaus in Berlin-Mitte. Von hier aus wurde er Ende Mai | |
| 1943 zusammen mit 330 weiteren alten Menschen ins Getto Theresienstadt | |
| deportiert. Dort soll er wenige Monate später ermordet worden sein. | |
| Bereits im Februar desselben Jahres wurde Anna mit dem 29. Transport | |
| zusammen mit etwa 1.000 weiteren Berliner Jüdinnen und Juden nach | |
| Auschwitz-Birkenau gebracht. Hier starb sie zu einem unbekannten Zeitpunkt, | |
| wenige Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt. | |
| Die Spur des jüngeren Bruder Josef verliert sich 1943 in einem Lager in | |
| Krakau. | |
| ## Wienand Kaash | |
| Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte Kaash hoch dekoriert und dennoch als | |
| Kriegsgegner zurück. Über die SPD landet er bei der KPD, setzte sich dort | |
| für freie Gewerkschaften und die Vernetzung mit nichtkommunistischen | |
| Organisationen ein. 1935 wurde er verhaftet. Er starb zu Beginn des Jahres | |
| 1945 in Haft, da ihm die Behandlung seiner Gicht verweigert wurde. Wienand | |
| Kaash bekam nie ein Begräbnis: Seine Leiche wurde Schweinen in einer | |
| Müllgrube zum Fraß vorgeworfen, sein Stolperstein war somit auch ein | |
| symbolischer Grabstein. | |
| ## Gertrud Seele | |
| Bereits früh gerät Seele mit Nazis in Konflikt: Als junge Frau wird sie | |
| nach spöttischen Kommentaren über ihren nationalsozialistischen Rektor der | |
| Schule verwiesen. Nach schweren Luftangriffen auf Berlin bringt sie sich | |
| und ihre Tochter auf einem Bauernhof in der Lausitz in Sicherheit. Erneut | |
| macht sie aus ihrer Gegnerschaft zu Krieg und Hitler kein Geheimnis: Nach | |
| einem Streit mit der Bäuerin wird sie wegen „gehässiger und | |
| kriegshetzerischer Äußerungen“ angeklagt. Seele wird zum Tode verurteilt | |
| und am 12.Januar 1945 hingerichtet. | |
| 8 Nov 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Friedrich Kraft | |
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