# taz.de -- Geflüchtete in Libyen: Tausende harren vor UN-Gebäude aus | |
> In Libyen leben bis zu 10.000 MigrantInnen und Flüchtlinge weiter auf der | |
> Straße. Sie waren eingesperrt worden, konnten aber entkommen. | |
Bild: Protest vor dem UNHCR-Hauptquartier in Tripolis | |
TUNIS taz/dpa | Mehr als zwei Wochen nach dem Sturm von Sicherheitskräften | |
auf ihre Unterkünfte leben mehrere Tausend MigrantInnen und Flüchtlinge in | |
der libyschen Hauptstadt Tripolis auf der Straße. Allein rund um das | |
Hauptquartier des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR) im | |
Stadtteil Serradsch übernachten nach Aussagen von libyschen | |
Menschenrechtsaktivisten jede Nacht bis zu 4.000 Menschen auf dem | |
Bürgersteig. | |
Vergeblich warten sie auf medizinische Hilfe oder eine Mahlzeit. Im Dienst | |
der Regierung stehende Milizionäre halten sie von dem Eingang des Geländes | |
fern und auch die UNHCR-Mitarbeiter trauen sich offenbar aus Angst vor den | |
Bewaffneten nicht, den Menschen zu helfen. | |
Begonnen hatte die humanitäre Krise [1][mit einer großangelegten Razzia im | |
Stadtteil Gargaresch]. Am 2. Oktober waren nachts um 4 Uhr Panzerwagen | |
aufgefahren. Aus Subsahara-Afrika stammende Menschen wurden von vermummten | |
Uniformierten aus ihren Wohnungen und Gemeinschaftsunterkünften getrieben, | |
gefesselt und mit Bussen und Pick-ups in Gefängnisse gebracht – mit | |
Stacheldraht gesicherte Fabrikhallen, die wegen schlimmer Haftbedingungen | |
eigentlich vor zwei Jahren geschlossen worden waren. | |
Am vorvergangenen Freitag waren bei einem Ausbruchsversuch aus einem | |
Haftzentrum für MigrantInnen sechs Menschen erschossen und 24 weitere | |
verletzt wurden. Die libyschen Behörden bestritten den Schusswechsel | |
allerdings, über den die Internationale Organisation für Migration (IOM) | |
berichtet hatte. | |
## Gefangene brachen aus | |
Von MigrantInnen per Telefon gefilmte Szenen zeigen, mit welch brutaler | |
Gewalt die Sicherheitskräfte vorgegangen sind. „Weil das Telefonnetz | |
ausfiel und Schüsse fielen, herrschte Panik unter den auf die Straße | |
getriebenen Menschen in Gargaresch. Wir wurden mit hinter dem Rücken | |
zusammengebundenen Händen abgeführt“, berichtet der Nigerianer Artur der | |
taz am Telefon. | |
Wie Tausende andere Festgenommene konnte der 28-Jährige bei einem von | |
mehreren [2][Gefangenenaufständen letzte Woche] fliehen. Doch viele haben | |
ihre von den UN ausgestellten Dokumente, ihre Handys und ihr Geld an die | |
Milizen abgeben müssen. „Wir haben den Kontakt zu vielen registrierten | |
Flüchtlingen und Migranten verloren, bestätigten UN-Mitarbeiter der taz. | |
UNHCR-Mitarbeiter in Tunis schätzen gegenüber der taz die Zahl der nun | |
obdachlosen MigrantInnen und Flüchtlinge in Tripolis auf bis zu 10.000. | |
Offizielle Zahlen gibt es nicht, da viele Menschen tagsüber als Tagelöhner | |
arbeiten und sich nachts unter Brücken, in Parks oder auf Baustellen | |
verstecken. Mit selbst gemalten Schildern haben die vor dem | |
UNHCR-Hauptquartier ausharrenden Menschen in den vergangenen Tagen gegen | |
die ausbleibende Hilfe von libyschen Behörden und internationalen | |
Organisationen protestiert. | |
## AktivistInnen helfen | |
Er habe keine internationalen UNHCR-MitarbeiterInnen gesehen, berichtet der | |
19-jährige Aktivist [3][Almoatassam Senoussi] der taz am Telefon. Mit einer | |
kleinen Gruppe von Freiwilligen fährt Senoussi Menschen mit Schusswunden | |
sowie Schwangere heimlich zu Ärzten in der Umgebung. „Wir müssen jede Fahrt | |
von den Milizionären genehmigen lassen, sie sind wie viele Anwohner gegen | |
die Migranten“, sagt der Journalist, „die Ärzte haben Angst vor | |
Repressalien.“ | |
Senoussi hat allein am Montag drei hochschwangere Frauen in eine Klinik | |
gefahren. Er finanziert Lebensmittel- und Medikamentenhilfe mit privaten | |
Spendengeldern. Über die mangelnde internationale Hilfe ist der Libyer | |
empört. „Wenn das UNHCR nicht endlich eine große Hilfsaktion startet, | |
könnten hier bald viele Menschen sterben. Direkt vor seinem Hauptquartier.“ | |
18 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gefluechtete-in-Libyen/!5801435 | |
[2] /Jagd-auf-Migranten-in-Libyen/!5804274 | |
[3] https://twitter.com/Senoussiii | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
## TAGS | |
Libyen | |
Afrika | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Sea-Watch | |
Libyen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flüchtlinge protestieren gegen UNHCR: „UNHCR kämpft nicht für uns!“ | |
Vor dem Sitz des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Genf kritisieren | |
Flüchtlinge dessen Politik gegenüber Libyen. Sie fühlen sich | |
alleingelassen. | |
Seenotrettung im Mittelmeer: Hunderte Geflüchtete dürfen an Land | |
Das Rettungsschiff „Geo Barents“ darf im sizilianischen Hafen Augusta | |
anlegen. An Bord sind unter anderem 112 Minderjährige. Sie waren aus Libyen | |
geflohen. | |
Seenotrettung im Mittelmeer: Sea-Watch darf in Sizilien anlegen | |
Die 461 geretteten Menschen dürfen auf der italienischen Insel von Bord | |
gehen. Nach Tagen auf dem Wasser hatte die Besatzung den Notstand | |
ausgerufen. | |
SPD-Außenpolitiker Annen über Libyen: „Ansatz war nie Machtprojektion“ | |
Niels Annen kennt sich mit den Besonderheiten deutscher Außenpolitik im | |
Maghreb aus. Er spricht über den Stand des Libyen-Friedensprozesses. |