| # taz.de -- Gedenktag für Drogentote: Diese verdammte Glückseligkeit | |
| > Jack ist seit 18 Jahren Junkie. In der Halbwelt des U-Bahnhofs am | |
| > Kottbusser Tor lebt er von Schuss zu Schuss. Seine Freunde sind | |
| > mittlerweile alle tot. | |
| Bild: Alle Freunde tot: Kreuze erinnern zum Gedenktag für Drogentote vor zwei … | |
| BERLIN taz | „Heute seh ick kacke aus, hab die Haare nich jewaschen, ohne | |
| Käppi geht gar nüscht.“ Jack* hält seine Kappe in der Hand und versucht | |
| einen neongelben Smiley-Anstecker an der Seite zu befestigen. „Ick zitter, | |
| kannste ma?“, sagt Jack genervt und hält Laura Käppi und Anstecker hin. Der | |
| Smiley ist ein Geburtstagsgeschenk von Laura – Jack ist am Tag zuvor 38 | |
| Jahre alt geworden. Jeder Geburtstag, den er erlebt, ist für ihn etwas | |
| Besonderes. Seine Freunde sind alle tot. | |
| „Sieh zu, dat de loskommst und bleib nich wieder hängen“, fordert Jack | |
| seine Freundin auf. Er gibt ihr einen Schubser. Laura steht auf, wankt, | |
| fängt sich wieder. „Bis morgen“, sagt sie heiser und steigt die Treppen zum | |
| U-Bahn-Schacht hinab. | |
| Jack nimmt einen Schluck Bier und schmust mit Hündin Jassi, die bis jetzt | |
| noch kein Lebenszeichen von sich gegeben hat. „Bist ’ne Feine, Jassi“, sa… | |
| er und tätschelt ihr den Bauch. Mit Kapuzenjacke und Sommersprossen sieht | |
| Jack aus wie ein alt gewordener Junge, weniger wie ein Mann von 38 Jahren. | |
| Sein Gesicht ist gerötet. Die Finger verraten mehr. Rau, verdreckt, mit | |
| einigen Schürfwunden. Er mustert zurück. Dann sagt er: „Ick bin schon seit | |
| 18 Jahren drauf. ’N Fixer, wie alle hier.“ Umständlich zerrt er an Jassis | |
| Leine. „Harte Drogen, det is nich nur Heroin und Koka. Der Alkohol ist es, | |
| der fertigmacht. Morgen geh ick auf Entzug.“ | |
| Jacks Termin im Krankenhaus morgen ist um 9.30 Uhr. Die Alkoholentgiftung | |
| dort dauert sechs Tage. Es müsse sein. „Wenn det nich klappt, dann komm ick | |
| och nich von den Drogen weg.“ Nach der Entgiftung will er es bis runter auf | |
| zwei Milliliter Methadon am Tag schaffen, gerade braucht er noch zwölf. | |
| Dann steigt er auf Subutex um, ein Opiat in Tablettenform. „Mit Subutex is | |
| det leichter den Enzug auszuschleichen.“ Sechs Monate dauere es, um auf | |
| „zero“ zu kommen, das sei realistisch. | |
| ## Sechs Monate Schmerzen | |
| „Ick war schon ma wech von dem Scheiß“, sagt Jack nach einer Pause, in der | |
| er sich mit Jassis Barthaaren beschäftigt. Der Hund hält still, er scheint | |
| es zu mögen. „Hab ’ne Maßnahme jehabt, als Koch jearbeitet.“ Sieben Mon… | |
| hatte es gedauert, bis Jack den Therapieplatz durchbekommen hat. Sechs | |
| Monate musste er in der Klinik ausharren. Sechs Monate Schmerzen. Sechs | |
| weitere Monate ohne Schlaf. Zwei Jahre hat er durchgehalten. Vor einem Jahr | |
| dann nahm er diesen Cocktail. Kokain und Heroin zusammengerührt – das gibt | |
| den „Mega-Orgasmus-Kick“, wie Jack es nennt. Seitdem spritzt sich Jack | |
| nicht mehr jeden Tag Heroin. „Beikonsum nennt man det.“ Seine Ration | |
| Methadon holt er sich morgens beim Arzt ab. | |
| Ein großer, hagerer Mann humpelt heran. „Jassi, alte Zecke“, begrüßt er … | |
| Terrier. Jassi hüpft verzückt an ihm hoch und gibt erst Ruhe, als der Mann | |
| sich herunterbeugt und ihren Kopf krault. „Haste ’ne Kippe, Jack?“, fragt | |
| er. Jack verneint. Er hat Tabak, aber das sagt er nicht. Am Kotti ist jeder | |
| sich selbst der Nächste. Als es zu tröpfeln beginnt, zieht der Mann weiter. | |
| Auch Jack wird es zu nass. „Ick jeh runter“, in die U-Bahnstation | |
| Kottbusser Tor. Dorthin, wo die Dealer ihre Geschäfte machen, sich die | |
| Süchtigen in den dunklen Nischen die Drogen in die Venen spritzen. | |
| Es ist stickig. Der Geruch von Urin und Erbrochenem steigt in die Nase. Der | |
| Mann, der Jack nach einer Zigarette fragte, steht an eine Wand gelehnt und | |
| unterhält sich mit einem Bekannten. Einige, die oben herumstanden, finden | |
| sich hier wieder zusammen. Ein junger Mann, etwa 18 Jahre alt, zischt im | |
| Vorbeigehen: „Koka?“ Ein paar Meter weiter wechselt ein Tütchen den | |
| Besitzer. Nah stehen sie, unsichtbar für diejenigen, die in Richtung U 8 | |
| hetzen. | |
| Auf Höhe des Kiosks läuft ein dunkler Lockenkopf auf Jack zu, ein Trupp von | |
| Polizisten mit Hunden blockiert den Raum. „Schschscht, wir werden | |
| durchsucht“, befiehlt er, leise zu sein. „Besser, wir hauen ab“, sagt Jac… | |
| Es regnet immer noch. Jack willigt ein, in einem der Cafés in der Nähe | |
| etwas trinken zu gehen. Er war seit 18 Jahren nicht mehr in einem Café. | |
| „Det jibt et bei uns nich.“ | |
| ## Mit Aspirin und Rattengift gestreckt | |
| Misstrauisch begutachtet er die Bestuhlung und setzt sich dann an einen der | |
| runden Plastiktische. „Die Polizei ist überall, besonders abends“, sagt | |
| Jack. „Wenn du in der Nacht ’nen Affen kriegst, musste bis zum Morgen | |
| durchhalten.“ Auch die Dealer am Platz, meist „Arabs“, seien das Letzte: | |
| vier Prozent Heroin, der Rest mit Aspirin und Rattengift gestreckt. | |
| Besseres Zeug kriege man nur über „privat“. „Anrufen – Treffpunkt | |
| ausmachen. So ist det.“ Ein Gramm kostet etwa 40 Euro. „Je nachdem wie gut | |
| det Zeug ist. Da geht’s knallhart ums Geschäft. Wenn de ’nen Euro zu wenig | |
| hast, gibt’s nix.“ | |
| Jacks Tag beginnt mit Entzugserscheinungen. Er ist aggressiv, unruhig, hat | |
| Gliederschmerzen. Entzugserscheinungen können unerträglich werden. „Du | |
| schwitzt, hast Krämpfe, könntest Beine und Arme gegen die Wand schmeißen.“ | |
| Deshalb steht Jack auf und geht Geld beschaffen. Klauen und dann wieder | |
| verkaufen, Schnaps, Kaffee. „Für uns gibt et nur die Zeit von einem Schuss | |
| zum nächsten.“ | |
| Manchmal hatte Jack keine Bleibe. „Ick war stinkig, hab mich nich | |
| jewaschen.“ Sechs Schuss am Tag waren sein normales Pensum. Durch das | |
| Methadon wird es leichter. „Und trotzdem werde ich davon nicht satt.“ Vor | |
| drei Monaten wäre er beinahe gestorben – Überdosis. „Hab noch mal Schwein | |
| gehabt“, sagt er. | |
| Als Jack 18 wurde, fing alles an. Innerhalb eines Jahres war er von | |
| Haschisch bei Heroin angelangt. Ein Fixerlebenslauf wie ihn sich jeder | |
| vorstellt und doch nicht vorstellen kann: Gropiusstadt. Fünf Geschwister, | |
| die Mutter arbeitslos, der Stiefvater brachte sich um. Die Eltern hatten | |
| den Kontakt zu anderen Kindern verboten, „weil wa sonst kriminell werden | |
| könnten“. | |
| Mit 18 dann war Jack frei. „Du bist nix und wirst nie was sein“, hatte sein | |
| Stiefvater ihm noch gesagt. Und dann hat Jack doch Freunde gefunden. Direkt | |
| vor der Haustüre der Eltern, in Gropiusstadt. „Det waren die, die mich | |
| abhängig jemacht haben.“ | |
| Natürlich habe er das Buch gelesen, „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. In der | |
| Schule. Schlimm hat er es gefunden. Aber auch faszinierend. „Christiane F., | |
| so will se nich genannt werden.“ Sie sei manchmal am Kotti. „Die is ganz | |
| schön arrogant.“ Ob sie was nimmt, das weiß Jack nicht. „Interessiert mich | |
| och nich.“ In Gropiusstadt jedenfalls, habe er sie nicht kennengelernt. „Is | |
| ’ne andere Generation.“ | |
| ## Das Schöne, ein Gefühl | |
| Jack bestellt sein drittes Bier. „Heute geb ick mir noch ma die Kante“, | |
| sagt er feierlich. Wenn er von den Drogen runter ist, dann muss er den | |
| Kotti meiden. Er würde versuchen, sich wieder einen Schuss zu setzen. „Weil | |
| de nach’m Entzug det Miese vergessen hast – un det Schöne bleibt.“ Sein | |
| halbes Leben lang hat er dem Schönen hinterhergejagt. Das Schöne – ein | |
| Gefühl, „geiler als tausend Orgasmen, so voller Glückseligkeit“, beschrei… | |
| es Jack. Er kann alles, was er erlebt hat, vergessen. Und was noch kommen | |
| wird. | |
| „Ick hab HIV“, sagt er, als er von der Toilette wiederkommt, Jack hat | |
| Durchfall, eine Nebenwirkung des Methadons. „Ich liebe dich, aber das ist | |
| mir zu heavy“, hat seine Freundin damals zu ihm gesagt. Vor lauter Frust | |
| hat Jack sich einen Schuss gesetzt. Wenn es ihm sehr schlecht geht, dann | |
| schneidet er sich mit einem großen Fleischermesser. „Wenn det Blut | |
| runterläuft, det tut jut, is wie Tränen aus den Augen.“ Sein Sternzeichen | |
| ist Krebs. „Krebse sind sentimental.“ | |
| Wenn Jack wieder von den Drogen runter ist, will er neu anfangen – arbeiten | |
| und neue Freunde finden. „Jibbt ja auch unter den Normalos n’ paar | |
| Verrückte.“ Er lacht. Und reisen. Jack ist noch nie verreist. | |
| Es dämmert. Einige Bekannte von Jack stehen noch gegenüber des Kaiser’s | |
| herum. „Ick mach och nicht mehr lang“, verspricht Jack, „hab ’nen Termin | |
| morgen – halb zehn im Krankenhaus.“ | |
| *Name von der Redaktion geändert | |
| 21 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Opitz | |
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