# taz.de -- Gedenken an Barbara Köhler: Sprachliche Existenz des Weiblichen | |
> Mit der verstorbenen Lyrikerin Barbara Köhler studierte Annett Gröschner | |
> in Leipzig. Gemeinsam suchten sie nach weiblichen Vorbildern. | |
Bild: Barbara Köhler (1959-2021) | |
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Barbara Köhler 1987 auf der Treppe im | |
Leipziger Literaturinstitut, wo sie damals studierte. Es ging um das | |
weibliche Sprechen im Gedicht, die weibliche Perspektive in der Sprache. | |
Wir schrieben Gedichte, aber unsere weiblichen Role Models mussten wir uns | |
aus der Versenkung holen, die Einzigartigkeit des männliches Genies | |
geisterte auch Mitte der 1980er Jahre noch durch die Räume dieses Instituts | |
und die literarische Landschaft ringsum. | |
Die Frauen, die wir fanden, waren Selbstmörderinnen oder anders Versehrte, | |
[1][Marina Zwetajewa], Inge Müller, Sylvia Plath, Ingeborg Bachmann, Ulrike | |
Meinhof, deren Texte wir mit Hand oder Schreibmaschine vervielfältigten. | |
Opfer aber wollten wir nicht sein, also hieß es auch, die Umstände zu | |
verändern. | |
Die sprachliche Existenz des Weiblichen und unsere Herkunft wurden auf | |
unterschiedlichen Wegen unser Lebens- und Schreibthema, wie auch unser | |
Leben vor 1989 nicht so klar zu trennen war von dem Leben danach. | |
„Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd, / Mit einer Liebe, die mich über | |
Grenzen treibt, / Zwischen den Himmeln. Sehe jeder, wo er bleibt“, hat sie | |
in einem ihrer bekanntesten Gedichte „Rondeau Allemagne“ geschrieben, | |
veröffentlicht 1991 im Suhrkamp-Band „Deutsches Roulette“, der sie auch in | |
der Bundesrepublik bekannt machte. | |
Barbara Köhler kannte die klassischen Versmaße. Und eben deswegen gelang es | |
ihr so gut, sie gleichzeitig zu nutzen und zu unterlaufen, sie zu | |
camouflieren oder mit ihnen zu spielen. Unvergesslich für mich bleiben auch | |
ihre Essays, die Anfang der 1990er Jahre poetisch wie politisch den Umbruch | |
beschrieben, der auch unsere Wege trennte. | |
## Texte und Teppiche | |
Barbara Köhler ging 1994 von Chemnitz nach Duisburg, zwei eher unpoetische | |
Orte der Schwerindustrie, aber immer auch gute Rückzugsorte nach | |
ausgedehnten Reisen in Sachen Poesie. Von einer dieser Reisen zeugt der | |
großartige Band „Istanbul, zusehends“, für den sie 2016 den | |
Peter-Huchel-Preis bekam. Der Band zeigt Köhler auch als Fotografin, die | |
die künstlerischen Genres miteinander verknüpft wie Fäden zu einem Teppich. | |
Mit Textilien kannte sie sich aus, schließlich hatte sie Facharbeiterin für | |
textile Flächenherstellung gelernt. In ihrem Beruf als Dichterin hat sie | |
Textflächen erzeugt und sie in den öffentlichen Raum übertragen. Eines | |
dieser Kunstwerke kann betrachten, wer in Berlin mit der U 5 Richtung Hönow | |
fährt und auf dem Bahnsteig der Station Hellersdorf auf den Giebel der | |
Alice Salomon Hochschule schaut. | |
Zart scheint das Gedicht „Avenidas“ von Eugen Gomringer durch die Lasur wie | |
ein Palimpsest. Irgendwann wird, so hat es die Hochschule nach dem | |
[2][Streit um das „Avenidas“-Gedicht] beschlossen, auch Barbara Köhlers | |
Gedicht durch ein nächstes hindurchscheinen. | |
Ihr Werk nicht zu vergessen, bleibt Aufgabe der nachfolgenden Generationen | |
von Dichter*innen und Leser*innen. Am 8. Januar ist Barbara Köhler nach | |
langer Krankheit gestorben. | |
16 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Annett Gröschner | |
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