# taz.de -- Fußballer gegen Lukaschenko: Schrei aus dem Herzen | |
> Auch Fußballspieler unterstützen die Proteste in Belarus. Die Rolle der | |
> Ultras bleibt eher klein, weil diese Fans seit Jahren drangsaliert | |
> werden. | |
Bild: Gereckte Faust: Protest in Minsk mit Nelke und Armband in den weißrussis… | |
Fußball und Belarus – das war vor ein paar Wochen noch eine Kombination, | |
über die sich die Fußballwelt amüsierte: [1][Ligaspiele mit Zuschauern auf | |
dem Höhepunkt der Coronakrise,] das war schon ein – wenn auch zweifelhaftes | |
– Statement. Ansonsten galt für die Liga das, was der in Belarus | |
einflussreiche Spielerberater Walerij Isajew im Juni der Sportzeitung | |
Tribuna verraten hatte: „Fußballer in Belarus brauchen keine politischen | |
Veränderungen. Ähnlich wie viele Beamte haben sie hohe Kredite für ihre | |
Wohnungen und Häuser aufgenommen, teure Autos gekauft und wollen nun auf | |
keinen Fall ihre stabilen Einkommensquellen verlieren.“ | |
Doch seit der offenbar gefälschten Präsidentenwahl und der darauf folgenden | |
Gewaltorgie der Sicherheitskräfte ist auch im belarussischen Fußball die | |
Zeit der Neutralität vorbei. Als einer der Ersten setzte der | |
Generaldirektor von Serienmeister BATE Baryssau, Mikhail Zaleuski, ein | |
Zeichen. Der ehemalige Polizist warf seine Uniform in einen Müllcontainer | |
und erklärte: „Ich schäme mich für diese Brutalität gegenüber friedlichen | |
Demonstranten.“ | |
Noch wirkungsvoller war wohl die Erklärung von Ilja Schkurin, unter einem | |
Präsidenten Alexander Lukaschenko nicht mehr für die Nationalmannschaft | |
anzutreten. Schkurin ist Stürmer beim russischen Erstligisten ZSKA Moskau | |
und gilt mit erst 21 Jahren als das momentan größte Fußballtalent in | |
Belarus. Auch der Cheftrainer bei ZSKA Moskau ist Belarusse. In einem | |
langen Interview mit der Sportzeitung Pressbol verurteilte Wiktar | |
Hantscharenka die extreme Gewalt gegen seine Landsleute und forderte | |
gleichzeitig faire und freie Wahlen. | |
## Victory-Zeichen im Stadion | |
In all den von Massendemonstrationen begleiteten politischen Turbulenzen | |
entschied vorm ersten Spieltag nach den Wahlen der belarussische | |
Fußballverband, dass nun doch alle Ligaspiele bis auf Weiteres „aufgrund | |
der aktuellen Situation“ ohne Zuschauer stattfinden würden. Die | |
Entscheidung wirkte um so absurder, da noch nicht mal auf dem absoluten | |
Höhepunkt der Coronakrise den Zuschauern das Besuchen von Spielen untersagt | |
worden war. Einige Spieler fanden trotzdem die Möglichkeit, sich | |
öffentlichkeitswirksam mit den Protesten zu solidarisieren. | |
Mehrere Torschützen, darunter auch Mykola Janusch vom FC Isloch, zeigten | |
bei ihrem Torjubel das Faust- und Victoria-Zeichen der Oppositionsbewegung | |
von Swetlana Tichanowskaja. Janush erklärte: „In dieser Geste steckte | |
absolut keine Politik. Sie enthielt nur meinen Schrei aus dem Herzen, das | |
Feuer, das seit mehr als einer Woche in meiner Brust lodert. Meine | |
Botschaft geht an diejenigen Menschen, die unter Gewalt gelitten haben und | |
jetzt Solidarität im Kampf gegen Gewalt zeigen.“ | |
Auch die Spieler des [2][Zweitligisten FK Krumkachy], eines Vereins, der | |
vor noch nicht einmal zehn Jahren von Fans gegründet worden war, ließen an | |
ihren Sympathien keinen Zweifel und liefen bei ihrem Spiel gegen Kontrahent | |
Khimik Svetlogorsk mit einem weißen Shirt mit der Aufschrift „Wir sind mit | |
dem Volk“ auf. Mittlerweile soll den Verantwortlichen dort unverhohlen mit | |
einer Auflösung des gesamten Vereins gedroht worden sein. Auch alle anderen | |
Erst- und Zweitligisten haben mittlerweile einen Brief des belarussischen | |
Fußballverbands ABFF erhalten, in dem davor gewarnt wird, die Fußballplätze | |
„als Plattform für politische Propaganda“ zu nutzen. | |
## Schikane gegen Ultras | |
Fifa und Uefa würden in ihren Statuten verlangen, dass | |
Fußballveranstaltungen frei von politischen Präferenzen bleiben müssten. | |
Allerdings ist die ABFF alles andere als eine politisch neutrale | |
Organisation. Nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl hatte der | |
Verband unter dem Hashtag #БеларусьоднаНеотдадим (Dt.: „… | |
nicht aufgeben!“) Teile einer propagandistischen Rede Lukaschenkos auf | |
seiner Website veröffentlicht. | |
Bleibt die Frage, welche Rolle die Fußballfans bei den Protesten in Belarus | |
spielen. Die Antwort: mit Sicherheit keine so große Rolle wie die zum Teil | |
ultranationalistischen Fangruppen beim Maidan in der Ukraine. Und das | |
liegt nicht unerheblich an der Tatsache, dass die belarussischen Ultras die | |
harte Faust des Staates schon lange zu spüren bekommen haben. | |
Einer, der sich diesbezüglich auskennt, ist der Journalist Ingo Petz, | |
selbst ausgewiesener Landeskenner und Mitgründer von [3][Fankurve Ost], | |
eines Berliner Projekts, das sich auch mit der Fußball-Fankultur in Belarus | |
beschäftigt. Laut seiner Einschätzung sei die Fanszene vor allem bei Dinamo | |
Minsk ab 2014 systematisch vom Lukaschenko-Regime zerschlagen worden. | |
„Der Staat fürchtete die Fanszene, weil sie gut organisiert ist und anders | |
als die NGOs der Zivilgesellschaft nur schlecht kontrolliert werden kann“, | |
so Petz. Das belarussische Regime habe in den letzten Jahren einzelne | |
Anführer der Fanszene herausgegriffen und in regelrechten Schauprozessen zu | |
drakonischen Haftstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt. Darüber sei in | |
internationalen Medien allerdings fast gar nicht berichtet worden. | |
31 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Fussball-in-Belarus/!5670982 | |
[2] https://twitter.com/VoicesBelarus/status/1297803070752133120 | |
[3] https://www.fankurve-ost.de/ | |
## AUTOREN | |
Christian Henkel | |
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