| # taz.de -- Fußball nach dem Krieg: Warten auf das große Wow | |
| > Der ukrainische Fußball ist immer noch in den Fängen der Oligarchen. Die | |
| > Zuschauerzahlen sinken seit Jahren. Ein Manager träumt von der großen | |
| > Show. | |
| Bild: Unvergessener Jubel: 2019 feiern die Junioren der Ukraine den Sieg bei de… | |
| Luzk taz | Die Rolle der Fußballfans bei der Revolution der Würde 2013/14 | |
| in der Ukraine ist unvergessen. Und doch hatten die Reformen, die von der | |
| Bewegung angestoßen worden sind, so gut wie keinerlei Auswirkungen auf den | |
| Fußball. Dabei schien es damals klar, dass Veränderungen auch im Fußball, | |
| der fest in Oligarchenhand war, unvermeidlich sein würden. | |
| Doch Milliardäre wie Rinat Achmetow, Ihor Kolomojskyj, die Brüder Hryhorij | |
| und Ihor Surkis, Jewgenij Geller, Oleksandr Jaroslawskyj und Petro | |
| Dyminskyj haben sich den neuen Bedingungen schnell angepasst. Besagte | |
| Geschäftsleute hatten seit langer Zeit eine Art Wettrüsten im ukrainischen | |
| Fußball veranstaltet. Bei Dynamo Kiew, Schachtar, SK Dnipro und Metalist | |
| Charkiw spielten teure Legionäre, die später an die besten Klubs in Europa | |
| weiterverkauft wurden. | |
| Die deutsche 50+1-Regel, die den Einfluss eines Besitzers auf seinen Klub | |
| beschränkt, galt in der Ukraine als undenkbar. Sowohl die Behörden als auch | |
| die Fans ermutigten Großunternehmer regelrecht, Klubs in ihre Obhut zu | |
| nehmen. Sie ignorierten, wie sehr sich dabei die Mannschaften in die | |
| vollständige Abhängigkeit der Investoren mit ihren Säcken voller Geld | |
| begaben. Ein paar Klubs verschwanden nach 2014 von der Fußball-Landkarte | |
| der Ukraine. Ihre Besitzer konnten wegen des Krieges und des Beginns der | |
| Reformen kein Geld mehr für den Fußball ausgeben. | |
| Aber auch unter der neuen Regierung behielten die Oligarchen ihren Einfluss | |
| auf den Fußball. Ihr Schützling Andrij Pawelko stand an der Spitze des | |
| Fußballverbandes der Ukraine und festigte schnell seinen Einfluss. Bald war | |
| es für die Opposition im Verband so gut wie unmöglich, ihn aus dem Amt zu | |
| entfernen. | |
| Pawelko ist ein Kumpel von Aleksander Čeferin, dem Präsidenten der | |
| Europäischen Fußballunion Uefa. Er wurde sogar ins Uefa-Exekutivkomitee | |
| gewählt. Auf Pawelkos Initiative ist der legendäre [1][Andrij | |
| Schewtschenko], 2004 Europas Fußballer des Jahres, Cheftrainer der | |
| Nationalmannschaft geworden. Die beiden sind best friends und Schewtschenko | |
| ist der Taufpate eines der Kinder von Pawelko. | |
| ## Zeit der Erfolge | |
| Es stellten sich Erfolge ein. Die Auswahl erreichte das Viertelfinale der | |
| Europameisterschaft 2021. Und die U20 wurde 2019 gar Weltmeister. Dass 2018 | |
| das Finale der Champions League in Kiew ausgetragen wurde, gehört ebenfalls | |
| zu den Erfolgen dieser Jahre, für die sich Pawelko nur allzu gern auf die | |
| Schulter klopfen ließ. | |
| Nun behaupten unabhängige Sportbeobachter, Pawelko habe die ersten | |
| Kriegsmonate vor allem dazu genutzt, PR in eigener Sache zu machen. Er | |
| reist durch die Ukraine – angeblich, um Verteilungszentren für ausländische | |
| humanitäre Hilfe zu inspizieren. Unverzichtbares Ergebnis seiner Reisen: | |
| ein Foto mit dem Militär, das zeigt, wie er im Visier von Kanonen vor | |
| laufenden Fernsehkameras Kisten mit Hilfsmitteln auslädt, oder eines, für | |
| das er in einer schusssicheren Weste mit zerstörten Häusern im Hintergrund | |
| posiert. | |
| Derweil denken die Fußball-Verantwortlichen darüber nach, wie sie zumindest | |
| in der Premjer-Liha [2][die Meisterschaft neu starten können] und woher sie | |
| das Geld dafür bekommen könnten. So könnte man bei der Uefa oder dem | |
| Weltverband Fifa um Zuschüsse ersuchen. Man wollte im Ausland spielen – in | |
| der Türkei oder in Polen. Aber Staatspräsident Wolodimir Selenski sprach | |
| sich dafür aus, die Meisterschaft in der Ukraine auszutragen. | |
| Aber auch ganz andere Meinungen werden diskutiert: Strategisches Denken ist | |
| da gefragt. Solange die heiße Phase des Krieges andauert, ist Zeit, sich | |
| darüber Gedanken zu machen, in welche Richtung sich der Fußball in der | |
| Ukraine entwickeln soll. Schließlich hatte sich der Fußball seit der | |
| Revolution der Würde kaum verändert. | |
| ## Fehlendes Geschäftsmodell | |
| Wie schon 2014 ist er immer noch massiv vom Geld eines kleinen Kreises von | |
| Leuten abhängig. Nach wie vor gibt es keinen einzigen TV-Deal, mit dem sich | |
| effektiv Geld verdienen ließe. Und überhaupt fehlt ein Geschäftsmodell, um | |
| junge Talente an die heimische Premjer-Liha heranzuführen und sie bis zu | |
| einem Verkauf ins Ausland zu fördern. Die Liga selbst hat es seit drei | |
| Jahren nicht geschafft, einen Vorsitzenden zu wählen – sie wird vom Streit | |
| und den Ambitionen der Klubpräsidenten regelrecht zerrieben. | |
| Dass die Zahl der Profiklubs in der Ukraine gewachsen ist, liegt einzig an | |
| den sogenannten Dorfklubs, die von der in den Vorkriegsjahren so | |
| profitablen Agrarindustrie finanziert wurden. Auch sonst hat sich wenig | |
| getan: Gute Fußballplätze sind Mangelware, die meisten Klubs verfügen über | |
| keine nennenswerte ökonomische Basis, schon im Kinder- und Jugendfußball | |
| gibt es korrupte Strukturen. Ideen, die Einnahmen der Klubs zu steigern, | |
| gibt es kaum. Darüber hinaus lässt die Kommunikation mit den Fans zu | |
| wünschen übrig. Das Ergebnis: ein katastrophaler Rückgang der | |
| Besucherzahlen und der Qualität der Spiele. | |
| Verbandsfunktionäre und Klubbesitzer, die am Ball bleiben und weiter Geld | |
| in den Fußball investieren wollen, stehen vor einer großen Frage: Wie kann | |
| man das Interesse an einer Meisterschaft wachhalten, deren Qualität sich | |
| zusehends verschlechtert? Neben den Legionären werden auch die besten | |
| ukrainischen Spieler ins Ausland wechseln, und die Nachwuchsabteilungen | |
| werden es nicht schaffen, eine ausreichende Anzahl qualitativ hochwertiger | |
| junger Kicker hervorzubringen. | |
| ## Kameras in die Kabinen | |
| Maxim Motin, Manager des Erstligisten Ruch Lwiw meint, man solle aus dem | |
| Fußball ein hochwertiges Showprodukt machen. Der Moskauer Motin hat viele | |
| Jahre bei russischen Klubs gearbeitet und ist als politisch Verfolgter in | |
| die Ukraine gekommen. Er ist überzeugt: Solange der Krieg andauert und die | |
| Meisterschaft pausiert, sollte darüber nachgedacht werden, wie die Liga | |
| interessant gemacht werden könne – mithilfe von Marketingtechniken und | |
| maximaler Transparenz. | |
| „Den ‚Wow-Effekt‘ für die Fans erzeugen die Medien“, meint er und denk… | |
| Kameras in den Umkleidekabinen, an Übertragungen vom Moment, in dem der | |
| Trainer den Spielern die Aufstellung ansagt. Es sollte Interviews in der | |
| Halbzeitpause und während des Spiels geben, Dutzende von GoPro-Kameras | |
| sollen zum Einsatz kommen. „Wir sollten sogar die Schiedsrichter reden | |
| hören, warum nicht?“, sinniert Motin. Gut möglich, dass der ukrainische | |
| Fußball dafür zu konservativ ist. Trainer der alten Schule würden nie | |
| Kameras in der Kabine dulden. | |
| Doch auch hier hat Motin eine Idee. Er will die Vereine mithilfe eines | |
| Bonussystems zum Umdenken bewegen. Die Hälfte der Prämie soll nach dem | |
| Platz in der Tabelle ausgezahlt werden, der andere Teil für die Qualität | |
| des Marketings, für eine Show bei den Spielen. „Das alles könnte den | |
| Fußball für junge Leute wieder interessant machen. Die langweilt es, 90 | |
| Minuten einfach nur das Spiel anzuschauen, wenn ein Video auf Tiktok nur 15 | |
| Sekunden dauert“, sagt Motin. „Es werden junge Leute kommen, die nach neuen | |
| Regeln im ukrainischen Fußball arbeiten können, junge Fachleute, die offen | |
| für das Publikum und lernfähig sind.“ | |
| Aber zuerst muss es in der Ukraine Frieden geben. Dann werden die Fans | |
| wieder lernen, Spaß an Unterhaltung zu haben. Eine solche ist Fußball ja | |
| auch. | |
| Aus dem Russischen von Barbara Oertel | |
| 10 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Juri Konkewitsch | |
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