# taz.de -- Freie Marktwirtschaft versus Sozialismus: Zurück zur Planwirtschaft | |
> Die zentrale Planung von Großkonzernen ist heute effizienter als in der | |
> Vergangenheit. Moderne Informationstechnologien sind mit ein Grund dafür. | |
Bild: Auch die Deutsche Post nutzt Optimierungsalgorithmen bei der Datenverarbe… | |
Spätestens mit dem Untergang der Sowjetunion 1991 endete die Utopie, dass | |
eine sozialistische Wirtschaftsordnung dauerhaft tragfähig ist. Es war | |
nicht mehr zu leugnen, dass eine Planwirtschaft dermaßen ineffizient und | |
innovationsfeindlich ist, dass sie nur mittels Unterdrückung und | |
autoritärer Regime überleben kann. Wäre es ein Boxkampf, hätte die | |
Marktwirtschaft durch K. o. gewonnen. | |
Folglich waren privates Eigentum und wirtschaftliche Steuerung über | |
Marktpreise die Mittel der Wahl für erfolgreiche Staaten. Das | |
sozialistische China verwandelte sich unter Deng Xiaoping in den 1990ern | |
schleichend in eine Marktwirtschaft und wurde quasi zum Synonym für | |
Wirtschaftswachstum. Sozialistische Länder ohne marktwirtschaftliche | |
Reformen wie Kuba oder Nordkorea versanken dagegen in wirtschaftlicher | |
Stagnation. Die Geschichte ist damit allerdings nicht zu Ende. | |
Selbst [1][Rocky Balboa] verlor seinen ersten Titelkampf, trat aber | |
schließlich erfolgreich zum Re-Match an. Die Planwirtschaft kommt zurück. | |
Und ganz wie Rocky könnte sie am Ende gewinnen. Wieder ist China Vorreiter, | |
diesmal getrieben von den diktatorischen Allmachtsfantasien des [2][Xi | |
Jinping]. Im Geiste Maos initiierte Xi in den letzten Jahren massive | |
Programme, um junge großstädtische Akademiker auf dem Land anzusiedeln. | |
Und noch immer erholt sich die chinesische Tech-Branche von den harten | |
Regulierungsmaßnahmen, die Xi ihr in den letzten Monaten auferlegte. Auch | |
wenn das Ergebnis dieses „Großen Sprungs in die Vergangenheit“ noch nicht | |
feststeht und die Reformen selbst innerhalb der kommunistischen Partei | |
umstritten sind, könnte der Kurs Richtung Planwirtschaft langfristig | |
klappen. | |
## China wieder in Vorreiterrolle | |
Betriebswirtschaftlich lässt sich das damit erklären, dass eine zentrale | |
Planung in großen Konzernen und Organisationen heute weitaus effizienter | |
ist als noch einige Jahrzehnte zuvor. Eine gängige Annahme unter Ökonomen | |
und Managern ist, dass die Performance von Konzernen leidet, wenn zu viele | |
verschiedene Geschäftsbereiche in einem Konzern verwaltet werden. Die | |
steigende Komplexität könne die zentrale Planung in einem Konzernvorstand | |
schnell überfordern, glaubt man. | |
Nicht ohne Grund spaltet der [3][Siemens-Konzern] seit 2010 viele | |
Geschäftsbereiche ab. Nun zeigen aktuelle Ergebnisse einer großen | |
wissenschaftlichen Vergleichsstudie, dass diese gängige Annahme immer | |
weniger stimmt. Ergebnisse aus den letzten 50 Jahren indizieren, dass | |
Konzerne mit vielen Geschäftsbereichen immer weniger unter dieser Struktur | |
leiden. | |
Ein maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung sind Fortschritte in den | |
Organisationswissenschaften. So hat sich in vielen Konzernen die Nutzung | |
von internen Märkten durchgesetzt. Mit Simulation einer Marktwirtschaft | |
können einzelne Teile eines Konzerns miteinander Handel treiben und | |
marktübliche Preise nutzen, also wären sie unabhängige Unternehmen. Damit | |
reduziert sich die Komplexität für den zentralen Unternehmensvorstand und | |
die Effizienz von Marktmechanismen kommt dem Konzern zugute. | |
Ein anderer Treiber ist die verstärkte Anwendung von | |
organisationspsychologischen Erkenntnissen. Traditionell haben Konzerne mit | |
einer relativ geringen Motivation ihrer Mitarbeiter zu kämpfen. Kleine | |
selbstständige Unternehmer sind dagegen höher motiviert, da sie sich | |
abseits von Hierarchien gut selbst verwirklichen können und außerdem für | |
den eigenen Wohlstand arbeiten. | |
## Happiness Manager steigern die Motivation | |
Jedoch gelingt es Konzernen immer besser, Mitarbeiter zu motivieren, sei es | |
durch variable Vergütungen, verheißungsvolle Karriereleitern oder eine | |
sinnstiftende Unternehmensvision. Auch kommen immer mehr [4][Happiness | |
Manager] zum Einsatz für den Stressabbau der Mitarbeiter und die Steigerung | |
des Engagements. Große Staatskonzerne müssen nicht zwangsweise | |
innovationshemmend sein. | |
Konzepte wie das sogenannte Intrapreneurship ermöglichen es Mitarbeitern, | |
eigene Produkte und Geschäftsmodelle innerhalb der Konzernstrukturen zu | |
entwickeln. So hat allein die Deutsche Bahn über 75 Intrapreneurship-Teams, | |
die die Digitalisierung der Branche vorantreiben sollen. Andere | |
Staatskonzerne wie Airbus können überhaupt erst so innovativ sein, da sie | |
auf die Finanzmittel und politische Unterstützung von Staaten bauen können. | |
Großflugzeuge sind so kapitalintensiv, dass neue private Investoren kaum in | |
den Markt einsteigen können. Natürlich erleichtern auch moderne | |
Informationstechnologien eine zentrale Planung, selbst in Staatskonzernen. | |
Die [5][Deutsche Post] nutzt längst Optimierungsalgorithmen und Methoden | |
zur Verarbeitung von Big Data, um die Datenströme effizient zu nutzen und | |
die Komplexität der Logistikketten zu bewältigen. Interessanterweise sind | |
dabei Konzernstrukturen oftmals Marktstrukturen überlegen. | |
Lange Zeit galt der Markt als Instrument zur Bewältigung komplexer Systeme, | |
da die Preissignale die Marktteilnehmer wie eine „unsichtbare Hand“ | |
lenkten. Eine zentrale Planung vermochte das nicht. Leistungsfähige | |
Rechenzentren können heutzutage aber selbst gigantische Datenmengen | |
verarbeiten und Menschen adäquat koordinieren. Und das geht einfacher in | |
Großkonzernen, da Daten innerhalb der Konzerne verhältnismäßig einfach | |
geteilt werden können. Eine Vielzahl von unabhängigen Unternehmen zum | |
Teilen von Daten zu bewegen, ist dagegen weitaus schwieriger. | |
All dies führt sicherlich nicht dazu, dass wir morgen in einer | |
Planwirtschaft oder gar im Sozialismus leben. Aber es erleichtert Staaten | |
wie China, zumindest teilweise zu ihren ideologischen Wurzeln | |
zurückzukehren. Und diese Entwicklung ist letztendlich auch ein | |
Gegenargument zur Privatisierung von Staatsunternehmen in demokratischen | |
Marktwirtschaften. Wenn [6][Staatskonzerne wie die Deutsche Bahn] immer | |
effizienter werden, reduziert sich auch der Nutzen der Privatisierung. | |
29 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=18g5p-DFGeM | |
[2] /Politische-Macht-in-China/!5813372 | |
[3] https://new.siemens.com/de/de/unternehmen/konzern/geschichte/unternehmen/20… | |
[4] https://happiness-management-institut.com/trainings/happiness-manager/ | |
[5] https://www.dpdhl.com/de/zukunft-logistik/studien.html | |
[6] /Deutsche-Bahn/!t5008760 | |
## AUTOREN | |
Oliver Roßmannek | |
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