# taz.de -- Film über Züricher Drogenszene: Wenn nur noch das Träumen hilft | |
> Leben mit der Junkie-Mutter: Der Film „Platzspitzbaby“ erzählt mit | |
> schmerzender Präzision von einer Kindheit ohne Schutz. | |
Bild: Für Mia ist die Provinz ein hoffungsfroher Neubeginn: Die Mutter versich… | |
Was seinerzeit überall in Europa für Aufregung sorgte, bildet in Pierre | |
Monnards Film nur die knappe Einleitung: Da sieht man die zwölfjährige Mia | |
(Luna Mwezi) durch den „Needle Park“ am [1][Zürcher Platzspitz] gehen. Bis | |
Anfang der 90er Jahre war hier eine der größten offenen Drogenszenen der | |
Geschichte angesiedelt. Was Monnard nachinszeniert, ist alles andere als | |
romantisch: Die Umgebung erscheint verdreckt und schlammig, die Atmosphäre | |
ist angespannt-aggressiv. | |
Mia muss den Aufdringlichkeiten der zugedröhnten Junkies ausweichen und | |
sich auch schon gegen anbahnende sexuelle Übergriffigkeiten wehren. Es ist | |
weiß Gott kein besonders geeigneter Platz zum Aufwachsen für ein junges | |
Mädchen. Dass nach dieser Einleitung der Film seinen Schauplatz wechselt, | |
erscheint also zunächst wie ein Glücksfall. | |
Mitte der 90er Jahre nämlich gaben die Zürcher Behörden ihre Taktik des | |
Duldens und Beobachtens auf; die Szene wurde geräumt. „Kantonsfremde“ | |
Süchtige wurden in ihre Heimatstädte verbracht, wo man sie, wie Monnard per | |
Schrifttafel anmerkt, der Verantwortung von vollkommen überforderten | |
lokalen Sozialbehörden überließ. | |
Erst hier beginnt die eigentliche Geschichte des Films, für den der | |
Drehbuchautor André Küttel auf die von Michelle Halbheer im Buch | |
„Platzspitzbaby. Meine Mutter, ihre Drogen und ich“ niedergeschriebenen | |
Erinnerungen zurückgegriffen hat. | |
## Hoffnungsfroher Neubeginn | |
Mia und ihre Mutter Sandrine (Sarah Spale) finden sich also in einer neuen | |
Wohnung irgendwo im Zürcher Oberland wieder. Für Mia ist es sichtlich ein | |
hoffungsfroher Neubeginn: Sie bekommt ein eigenes Zimmer, die Mutter | |
versichert ihr, clean bleiben zu wollen, am Kühlschrank zeigen | |
Magnetstecker als „32“ Sandrines Abstinenztage an. | |
Dann begegnet sie einem alten Freund, Serge (Thomas Hostettler), und an der | |
sich verfinsternden Miene von Mia lässt sich genau ablesen, was die Kamera | |
so deutlich gar nicht zeigt: Mit Serge kommen die Drogen wieder, und bald | |
schon hat Sandrine den Anschluss zur lokalen „Szene“ gefunden, die sich | |
hier eben nicht „offen“, sondern eher versteckt in einer alten Scheune | |
trifft. | |
Als Mia ihrer Mutter nachspioniert, in Panik und in Wut über deren | |
„Verrat“, stößt sie dabei auf ein jüngeres Alter Ego: ein kleines Mädch… | |
das mitten unter den verantwortungslosen Süchtigen mit seinen Puppen | |
spielt, als sei es auf einem anderen Planeten. | |
## Im Stich gelassen von der Mutter | |
Diese Taktik, sich innerlich einfach woanders hinzuträumen und damit den | |
Schmerz der erlebten Vernachlässigung und Verwahrlosung endlich | |
auszuschalten, wendet auch Mia immer wieder an. Musik hilft ihr dabei. | |
Eine besondere Rolle spielt für sie der Beach-Boy-Song „Sloop John B“, der | |
mit dem Erscheinen eines eingebildeten Freunds verbunden ist, den Monnard | |
ohne weiteres Fantasy-Getue mit auftreten lässt: „Buddy“ (Delio Malär) | |
sorgt für gute Laune bei Mia, aber manchmal kann auch sein bestes Zureden | |
nichts ausrichten gegen eine Wirklichkeit, in der Mias Wille, ihrer Mutter | |
zu helfen, nur immer wieder dazu führt, dass sie, Mia, von der Mutter im | |
Stich gelassen wird. | |
Monnard zeichnet mit schmerzend-scharfer Präzision die unhaltbare Lage | |
dieses begabten Kindes nach. Konsequent bleibt er bei ihrer Perspektive: | |
Wenn die lokale Sozialarbeiterin an Mia appelliert, sie sei eine wichtige | |
Stütze im Plan, der Mutter zu helfen, dann sieht man als Kinozuschauer | |
zwar, wie freundlich es gemeint ist, man begreift aber auch, wie wenig | |
dieser Satz den Bedürfnissen des Kinds gerecht wird. | |
Mia findet Anschluss bei einer Clique von Kindern, die es zu Hause auch | |
nicht leicht haben – Anouk Petri als taffe Lola gräbt sich tief ins | |
Gedächtnis ein –, aber das heißt nicht, dass sie sich gegenseitig wirklich | |
helfen können. | |
Wo die Mutter süchtig nach Drogen ist, ist die Tochter auf eine Art süchtig | |
nach ihrer Mutter: Immer wieder lässt sie sich einspannen von ihr, macht | |
Kurier- und Pflegedienste. Doch die traurige Konsequenz kann eben nur | |
heißen, dass sie sich von der Mutter und deren Manipulationen lösen muss. | |
25 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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