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# taz.de -- Film „Cosmopolis“: „Er ist ein Meister der Abstraktion“
> Der kanadische Regisseur David Cronenberg spricht über seinen neuen Film,
> Don DeLillos Talent zur Komik und warum er keine Filme mag, die alles
> erklären.
Bild: Handfeste Krise: Robert Pattinson als der Spekulant Eric Packer.
taz: Herr Cronenberg, Don DeLillos Roman „Cosmopolis“ erschien 2003, fünf
Jahre vor dem Crash von 2008. Trotzdem wirkt er zeitgemäß. Wie erklären Sie
sich das?
David Cronenberg: Das ist Zufall. Ich hätte den Film auch vor fünf Jahren
gedreht, hätte ich das Buch damals schon gekannt und wäre die Finanzierung
gesichert gewesen. Als wir anfingen, an dem Projekt zu arbeiten, erschien
uns das Buch auch gar nicht so gegenwärtig. Occupy Wall Street gab’s damals
noch nicht.
Wann haben Sie angefangen, an „Cosmopolis“ zu arbeiten?
Vor drei, vielleicht vier Jahren. Ich habe das Drehbuch geschrieben, bevor
ich „A Dangerous Method“ drehte. Es war dann ein bisschen so, als würde die
Welt das Buch imitieren, und das machte den Roman natürlich noch
interessanter für uns. Denn plötzlich handelte er nicht mehr nur von etwas
Theoretischem, sondern von etwas sehr Realem und Gegenwärtigem.
Sie haben nur sechs Tage gebraucht, um das Drehbuch zu schreiben. Don
DeLillo hat Sie beim Schreiben in Ruhe gelassen; mit dem Ergebnis war er
zufrieden. Bevor Sie zu drehen anfingen, hatten Sie mit den Schauspielern
nicht geprobt. Das klingt, als wäre es sehr einfach gewesen, „Cosmopolis“
zu drehen. Wie kam das?
Manchmal ist es rätselhaft. Manche Filme sind schwierig, und man weiß
selbst nicht, warum. Aber dann gehört zum Filmemachen ja auch immer eine
schöpferische Freude. Und ich habe einfach gerne Spaß, ich liebe den
Prozess des Filmemachens, selbst dann, wenn es sich um einen dunklen und
verstörenden Film handelt. Und im Fall von „Cosmopolis“ war es zwar schwer,
das Geld zusammenzubekommen, denn diese Art von Nicht-Mainstream-Film ist
immer schwer zu finanzieren. Ironischerweise hat die Wirtschaftskrise, von
der der Film handelt, es noch einmal schwerer gemacht. Aber was die
kreative Arbeit angeht, war es wunderbar, unter anderem, weil wir in meiner
Heimatstadt Toronto gedreht haben.
Würden Sie denn sagen, dass „Cosmopolis“ ein dunkler und verstörender Film
ist?
Nun, er steckt auch voller Humor, denn Don DeLillo ist ein Schriftsteller
mit Talent zur Komik. Es ist ein schwarzer Humor, aber er ist in jedem Fall
da, die Zuschauer verstehen ihn, selbst wenn sie die untertitelte Fassung
sehen. Das Dunkle steckt natürlich auch drin, denn es geht ja um
Geschehnisse und Entwicklungen in unserer Welt, die uns ängstigen und die
echtes Leid hervorrufen. Zu Recht, wie ich glaube, zumal wir nicht wissen,
wie eine Lösung aussehen könnte. Und der Protagonist leidet, ohne es
überhaupt zu merken.
Ist dieser Eric Packer denn eine Figur, der man mit psychologischen
Begrifflichkeiten beikommt?
Viele Filmfiguren balancieren zwischen Realismus und Metaphorik. Die
interessantesten und komplexesten Filme sind die, in denen beide Ebenen
gleichzeitig existieren. Beim Casting suche ich in den Schauspielern nach
beidem: dass sie realistisch erscheinen, aber zugleich etwas Surreales
haben. Viele Schauspieler sind sehr gut, aber ich bin nicht begierig
darauf, mit ihnen zu arbeiten, weil ihnen dieses gewisse Etwas fehlt, das
über die Realität hinausgeht.
Zum Finanzsystem gehört, dass es von sich selbst behauptet, so komplex zu
sein, dass jemand wie Sie und ich es nicht nachvollziehen können. Im Film
gibt es Passagen, die eine Ahnung davon vermitteln – etwa wenn es um Geld
als Abstraktion geht. War das ein Problem für Sie?
Nein, denn ich respektiere mein Publikum, ich nehme an, dass es klug,
gebildet und interessiert ist. Täte ich das nicht, müsste ich das Niveau
der Diskurse senken, und das möchte ich Don DeLillos Roman nicht antun.
Zugleich sind die Diskussionen des Films ja auch ein wenig wie Musik,
besonders die langen Reden von Samantha Morton. Und wenn man Musik hört,
versteht man ja auch nicht jedes Wort. Das muss man dann ab einem
bestimmten Punkt hinnehmen: Der Gesang ist wichtig, nicht die einzelnen
Wörter. Wer Filme mag, die alles er- und aufklären, die kein Rätsel lassen,
wird davon vielleicht überfordert sein oder sich vor den Kopf gestoßen
fühlen.
Stört Sie das?
Nein, ich sage mir: Dann soll es so sein. Vielleicht sehen sie den Film ja
ein zweites Mal, und dann wird manches klarer. Aber wie gesagt, man muss
nicht jede philosophische Verästelung begreifen. Wichtig ist zu verstehen,
dass Eric Packer eine Figur ist, die es liebt, abstrakte Ausführungen
zuzuhören. Denn Geld und Leben sind für ihn Abstraktionen. Er ist nicht
dazu in der Lage, auf normale Weise mit Menschen in Verbindung zu treten.
Sobald er seine Limousine verlässt, diesen begrenzten, isolierten, von ihm
geschaffenen Raum, kennt er sich nicht mehr aus. Er weiß nicht, wie er mit
seiner Ehefrau redet oder wie Männer mit Frauen reden, er weiß noch nicht
mal, wie er ein Mittagessen bestellt. Er ist ein Meister der Abstraktion,
aber hoffnungslos verloren, sobald es um die Wirklichkeit geht. Und darin
steckt etwas Wahres, wenn Sie an all die Finanzjongleure denken, die mit
Milliarden von Dollar hantieren, aber niemals echtes Geld anfassen.
In der Limousine gibt es eine Art Thron, auf dem normalerweise Packer
sitzt. Außer ihm darf dort nur die von Samantha Morton gespielte
Cheftheoretikerin Platz nehmen, nicht wahr?
Ja, das stimmt. Nein, Moment: Cosmo, der schwarze Rapper, sitzt auch dort.
Und das ist ein wichtiges Detail, denn ab einem bestimmten Augenblick gibt
Eric diesen Platz und damit die Macht auf. Am Anfang zwingt er ja jeden
dazu, ihm in seinem Königreich die Aufwartung zu machen. Aber dann dankt er
nach und nach ab, zunächst von seinem Thron, dann von dem Leben, das er
sich geschaffen hat und das ein Gefängnis geworden ist.
Könnten Sie noch etwas mehr über die Limousine sagen? Über das Verhältnis
von Innen und Außen?
Das stammt eigentlich alles aus dem Roman, obwohl Don DeLillo das Innere
nie beschreibt. Das Einzige, worüber er schreibt, sind die Bildschirme, die
aus- und wieder eingefahren werden. Ich dachte, das wäre zu unruhig und
unordentlich für die Filmbilder, also habe ich feste Bildschirme
installiert. Der Thron war eine Idee von mir, um zu betonen, dass Packer
Macht hat. Von außen aber sollte die Limousine aussehen wie alle anderen
Limousinen auch. Eric Packer sagt sich: Um das Gefühl von Macht zu haben,
brauche ich keinen Wagen, der besonders aussieht. Außen soll die Limousine
anonym wirken. Das gilt für eine Menge wichtige Leute aus der Welt der
Finanzen: Sie wollen nicht erkannt werden, sie halten sich zurück. Eric
Packer will kein Star sein.
Die Eröffnungssequenz unterlegen Sie mit einem Bild, das …
… von Jackson Pollock gemalt sein könnte …
… und den Abspann begleitet ein Bild von Mark Rothko, der im Film mehrmals
erwähnt wird. Warum?
In den Bildern von Rothko und in der Kapelle, die Rothko gestaltet hat,
findet Eric Packer etwas, was er sucht. Ruhe, Gelassenheit, inneren
Frieden. Doch weil er ein Kapitalist ist, kann er nicht anders, als zu
denken: das muss ich kaufen, anstatt es aus sich selbst heraus zu
generieren. Am Anfang ist er eher wie Pollock, Actionpainting durch und
durch, überall gleichzeitig, mit seiner Aufmerksamkeitsstörung, und in dem
Maße, wie der Film voranschreitet, wird er ruhiger. Und noch etwas, worüber
ich beim Drehen gar nicht, seither aber immer wieder nachdachte: Beide
Künstler haben sich umgebracht. Und das passt perfekt zum Film.
Cosmopolis". Regie: David Cronenberg. Mit Robert Pattinson, Samantha Morton
u. a., Kanada/Frankreich 2012, 108 Min.
5 Jul 2012
## AUTOREN
Cristina Nord
Cristina Nord
## TAGS
Literatur
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Film
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