# taz.de -- Familie Phạm über den Vietnamkrieg: „Die Geschichte schreibt s… | |
> Lange wurde bei den Phạms nicht über den Vietnamkrieg gesprochen. | |
> Zusammen mit ihrem Vater hat die Journalistin Khuê Phạm das Schweigen | |
> gebrochen. | |
Bild: „Das Gefühl, befreit zu sein“: die Journalistin Khuê Phạm und ihr… | |
taz: Frau Phạ m, wie oft sprechen Menschen Ihren Vornamen Khuê falsch aus? | |
Khuê Phạm: Ich glaube, fast 90 Prozent der Zeit. Und es gibt viele | |
Nachfragen, wenn ich Leute kennenlerne. Kh wird in Vietnam wie ch | |
gesprochen und die Betonung liegt auf dem e. | |
Herr Phạ m, haben Sie über die sprachliche Hürde nachgedacht, als Sie Ihrer | |
Tochter diesen Namen gaben? | |
Thoại Phạm: Im Gegenteil, ich war sehr anspruchsvoll bei der Namenssuche. | |
Er ist einem vietnamesischen Gedicht entnommen und bedeutet „Polarstern“: | |
„Minh“ heißt hell, „Khuê“ bedeutet Stern. | |
Khuê Phạm: Mein ganzer Name ist Minh Khuê. Selbst in Vietnam fragen mich | |
Leute danach, weil der Name nicht so häufig vorkommt. | |
Vor Kurzem, Frau Phạ m, erschien Ihr erster Roman „Wo auch immer ihr seid�… | |
Die Geschichte Ihrer Protagonistin Kiề u beginnt mit dem Geständnis, dass | |
sie ihren eigenen Namen nicht aussprechen kann. Sie nennt sich Kim. War ein | |
anderer Name je eine Option für Sie? | |
Khuê Phạm: Als Kind habe ich Klassenkameraden gesagt, sie sollen mich Kwe | |
nennen, und bei Starbucks nenne ich mich Kate. Aber ich würde meinen Namen | |
nicht ändern wollen. Die Nachfragen und das Komplizierte an meinem Namen | |
sind Teil von mir geworden. | |
Sie schreiben, Ihr Buch sei eine literarische Annäherung an Ihre | |
Familiengeschichte. Wie nah kommen Sie der Geschichte im Buch? | |
Khuê Phạm: Ich habe viel recherchiert: zur Geschichte Vietnams, zu meiner | |
Familiengeschichte, zu den 68er Jahren in Deutschland. Ich habe viele | |
Geschichten erfahren, die ich als Inspiration genommen habe. Der | |
vietnamesische Schriftsteller Bảo Ninh, den wir interviewt haben, hat uns | |
beispielsweise erzählt, wie er die Leichen seiner gefallenen Kameraden | |
ausgraben musste. Wie muss es bloß sein, wenn man wochenlang nach Knochen | |
sucht? Das war eines der Details aus den Interviews, die sich mir so | |
eingeprägt haben, dass ich sie im Buch aufbewahren wollte. | |
Sind die Charaktere der Geschichte real? | |
Khuê Phạm: Nein, ich habe eine neue Familie erfunden. Einerseits, weil | |
unsere Familie einfach zu groß ist. | |
Thoại Phạm: Ich habe acht Geschwister. | |
Khuê Phạm: Und meine Mutter hatte ursprünglich neun Geschwister. | |
Andererseits wollte ich keine Dokumentation nur über uns schreiben, sondern | |
ich wollte den Lesern das mitgeben, was über mich und uns als Familie | |
hinausgeht. | |
Was ist das? | |
Thoại Phạm: Das Buch leistet einen Beitrag zur Aufarbeitung von | |
Familiengeschichten. Nach dem Vietnamkrieg war unsere Familie zersplittert. | |
Und obwohl wir uns inzwischen häufiger besuchen, vermeiden wir es noch | |
immer, über Vergangenes zu sprechen. | |
Khuê Phạm: Ähnlich wie in Deutschland. In vielen Familien schreibt sich die | |
Geschichte fest, ohne dass darüber gesprochen wird. | |
An welche Geschichten denken Sie dabei in Ihrer vietnamesischen Familie? | |
Khuê Phạm: Drei Brüder meines Vaters leben heute in Kalifornien. Sie sind | |
damals getrennt voneinander aus Vietnam geflohen – zwei über das Meer, | |
einer über den Landweg in Kambodscha –, sie haben sich Jahre nicht gesehen. | |
Bis heute haben sie nie über ihre Erfahrungen gesprochen. Ich glaube, so | |
ist das bei vielen Familien: Sie versuchen, die Vergangenheit hinter sich | |
zu lassen und ein neues Leben aufzubauen. | |
Thoại Phạm: Aber Khuê als nachkommende Generation kann darüber sprechen u… | |
Fragen stellen. Sie hat den Vorteil, in der Angelegenheit des Vietnamkriegs | |
schuldlos zu sein. | |
Khuê Phạm: Für mich war das Buch der perfekte Vorwand, um meinen Verwandten | |
persönliche Fragen zu stellen. Meine Eltern und ich waren zusammen in | |
Vietnam, wo die Familie meiner Mutter lebt, und in Little Saigon, in den | |
USA, wo die Familie meines Vaters lebt. Meine Eltern waren bei vielen | |
Interviews dabei und haben mir bei der Übersetzung geholfen. So haben wir | |
gemeinsam die ganze Familie durchleuchtet. Dabei wurden viele Dinge | |
ausgesprochen, die vorher nie thematisiert wurden. Vieles hat mich sehr | |
erschüttert. | |
Was war das? | |
Zum Beispiel, dass mein jüngster „amerikanischer“ Onkel mit zwölf Jahren | |
bei einem Fluchtversuch mit seinen älteren Brüdern geschnappt wurde und für | |
ein, zwei Jahre in ein Gefängnis musste. Oder dass ein anderer Onkel auf | |
seiner Flucht übers Meer dreimal von malaysischen Piraten angegriffen | |
wurde. Das waren keine Einzelfälle, fast alle meine Familienmitglieder | |
hatten solche Geschichten zu erzählen. Die meisten von ihnen haben drei, | |
vier oder fünf Fluchtversuche unternommen, sind zu Fuß oder mit einem Boot | |
geflohen, über mehrere Länder und Stationen, an denen sie nie wussten, ob | |
sie es schlussendlich schaffen können. | |
Herr Phạ m, Sie haben die ersten 18 Jahre Ihres Lebens in Vietnam | |
verbracht. Damals herrschte dort Krieg. Woran können Sie sich erinnern? | |
Thoại Phạm: Ich bin in Saigon in Südvietnam aufgewachsen. Wir waren alle | |
prowestlich. Wir dachten, mit den Amerikanern verteidigen wir unsere | |
Demokratie gegen die Kommunisten, gegen die Nordvietnamesen. Wir haben | |
wenig vom Krieg mitbekommen – bis zur Tet-Offensive 1968 [Angriffe der | |
nordvietnamesischen Armee und des Vietcong; Anm. der Red.]. Kurz darauf bin | |
ich zum Studieren nach Deutschland gegangen. | |
Wie kam es dazu? | |
Thoại Phạm: Zu meiner Zeit war es so: Mit einem bestandenen Abitur konnte | |
man direkt studieren, auch im Ausland. Hat man das Abitur nicht bestanden, | |
musste man zur südvietnamesischen Armee. Meine Familie war sehr wohlhabend, | |
uns gehörte ein Bauunternehmen in Vietnam. Als ältester Sohn wurde ich | |
privilegiert, gleichzeitig hatte ich die Verpflichtung, später die Familie | |
zu versorgen. Und so hat meine Familie mich finanziert und nach | |
Westdeutschland geschickt. | |
Sie haben in Berlin Medizin studiert. War das Ihr Wunsch oder der Ihrer | |
Eltern? | |
Thoại Phạm: Der Traum meines Vaters war es, mit seiner Firma ein | |
Krankenhaus in Vietnam zu bauen, deshalb sollte ich Medizin studieren. Am | |
liebsten war ihm Geburtshilfe, das hat immer Konjunktur in Vietnam. Es ist | |
schon bei mir angekommen, dass ich das zu realisieren hatte. | |
Wie ging es Ihnen in Deutschland? | |
Thoại Phạm: Ehrlich gesagt, hatte ich das Gefühl, befreit zu sein. In | |
Vietnam wurde ich immer von der ganzen Familie beäugt. In Deutschland | |
konnte ich machen, was ich wollte. Insofern war es eine Erlösung. | |
Im Laufe Ihres Medizinstudiums haben Sie sich immer mehr politisiert und | |
schließlich eine andere Position zum Vietnamkrieg eingenommen als Ihre | |
Familie. | |
Thoại Phạm: In meiner Zeit an der Freien Universität in Berlin gab es viele | |
Demonstrationen. Die ganze Uni war voll von den Flaggen der | |
prokommunistischen Südvietnamesischen Nationalen Befreiungsfront [auch | |
bekannt als Vietcong; Anm. der Red.]. Das waren andere Meinungen als die, | |
die ich aus Vietnam kannte. Dann kam 1972. Es war Weihnachtszeit, und | |
eigentlich sollte es eine Kriegspause geben. Doch dann haben die Amerikaner | |
zwölf Tage lang Nordvietnam bombardiert. Dabei kamen mehr als tausend | |
Zivilisten ums Leben. Dieser Angriff hat die Leute in Berlin mobilisiert – | |
ich als Vietnamese konnte nicht tatenlos zusehen. Also habe ich meine | |
politische Position überdacht. | |
Gab es viele Vietnamesen in Deutschland, die gegen den Krieg waren? | |
Thoại Phạm: Es gab den vietnamesischen Studentenverein, der aus unserer | |
gemeinsamen Gesinnung entstanden ist. Darin fühlten wir uns sehr verbunden. | |
Die Treffen haben wir nach der Studentenzeit fortgeführt. Aber irgendwann | |
wurden wir realistischer, was unsere politischen Einstellungen gegenüber | |
Vietnam anging. | |
Durch die Zeit in Deutschland wechselten Sie ideologisch die Seiten: Sie | |
begannen, mit dem Vietcong zu sympathisieren. In Vietnam kämpfte Ihre | |
Familie gegen diese Truppen und litt unter dem kommunistischen Regime nach | |
Kriegsende. | |
Thoại Phạm: Als ich nach dem Kriegsende meine Familie besuchte, hat mein | |
Vater fast eine Woche nicht mit mir gesprochen. Einer meiner Brüder saß | |
nach einem gescheiterten Fluchtversuch in Vietnam im Gefängnis. Mein Vater | |
war sauer, dass ich, sein ältester Sohn, die Seite gewechselt hatte. Er hat | |
mich als Verräter wahrgenommen. Meine Familie hielt mich für den Mitläufer | |
ihrer Feinde, der Kommunisten. Erst als meine Familienmitglieder in | |
Kalifornien ein neues Leben begannen, entspannte sich unser Verhältnis – | |
das Thema Krieg vermieden wir aber. Wie sollten wir darüber sprechen? Sie | |
waren Opfer des Kriegs und des Kommunismus, sie hatten sehr viel verloren. | |
Was zum Beispiel? | |
Khuê Phạm: Vor dem Krieg war Südvietnam ein eigenes Land mit einer eigenen | |
Regierung. Dieses antikommunistische Südvietnam ist dann untergegangen. Der | |
gesamte Staat wurde ausgetauscht, die Währung wurde geändert, Leute wurden | |
enteignet. In Vietnam heißt der Tag, an dem Saigon fiel, der „Tag der | |
Befreiung“. Die Geschwister meines Vaters nennen ihn den „Tag, an dem wir | |
unser Land verloren haben“. Sie konnten zwar ihr Haus behalten, aber | |
bekamen das Gefühl, dass ihnen ihre Heimat entrissen worden war. | |
Thoại Phạm: Meine Geschwister konnten nicht studieren, weil sie nicht | |
Mitglieder der Partei waren. Einer meiner Angehörigen kam in ein | |
Umerziehungslager. Viele haben ihr Leben riskiert, um das Land zu | |
verlassen. Durch die Fluchtversuche hat meine Familie nach und nach ihr | |
ganzes Vermögen verloren. Die Baufirma meines Vaters wurde verstaatlicht. | |
Und ich stand hinter diesem Staat. Mein Vater konnte mir erst vergeben, als | |
er sah, dass ich meine Aufgabe, das Medizinstudium, erfüllt hatte. | |
Ihre Eltern haben viel von Ihnen erwartet. Frau Phạ m, Sie sind 1982 in | |
Berlin geboren und dort aufgewachsen. Hatten Ihre Eltern auch Erwartungen | |
an Sie? | |
Khuê Phạm: Einerseits ja. Andererseits hatte ich immer vor Augen, was meine | |
Eltern hier in Deutschland erreicht hatten und dass es ein unglaublich | |
weiter Weg gewesen war. Deshalb habe ich bis heute das Gefühl, dass ich das | |
meiste aus meinen Möglichkeiten machen muss. | |
Thoại Phạm: Wir haben das, wovon wir geträumt haben und was wir noch nicht | |
erreicht hatten, auf die Kinder projiziert. Auch mit Druck, wie mein Vater. | |
Wir wollten zum Beispiel, dass Khuê Klavier lernt und vorspielt, wenn Gäste | |
kamen. Einmal hat sie sich gewehrt und gesagt, sie wolle sich nicht | |
instrumentalisieren lassen. Danach haben wir respektiert, was die Kinder | |
gerne taten. | |
Frau Phạ m, wie würden Sie die Beziehung zu Ihren Eltern beschreiben? | |
Khuê Phạm: Die Beziehung zu meinen Eltern hat sich im Laufe der Zeit stark | |
verändert. Als ich ein Kind war, waren sie sehr streng. Jetzt sind wir in | |
eine neue Phase eingetreten. Ich habe vor über einem Jahr einen Sohn | |
bekommen, der mit der ganzen Familie aufwächst. Auch dadurch sind wir uns | |
nähergekommen. | |
Ein Teil Ihrer Familie lebt noch in Vietnam. Welche Erinnerungen haben Sie | |
an Ihre ersten Familienbesuche im Land? | |
Khuê Phạm: Wir sind schon als Kinder immer hingefahren, zusammen mit meiner | |
jüngeren Schwester und meinem Bruder. Wir haben in dem Haus meiner | |
Großeltern in Saigon gewohnt, in dem mein Vater aufgewachsen ist. Bei den | |
ersten Besuchen gab es kein fließendes Wasser. Es gab nur einen Bottich, | |
man musste sich mit einer Plastikkelle das Wasser über den Kopf kippen. Und | |
alle sind in Badelatschen rumgelaufen – wir also auch. Wir haben alles | |
genauso gemacht wie unsere Familie. | |
Obwohl es sicherlich ein großer Unterschied zu Ihrem Leben in Deutschland | |
war. | |
Khuê Phạm: Sobald wir nach Vietnam kamen, war vieles anders: Es gab | |
Stromausfälle, man musste um alles feilschen, wir aßen zusammen mit der | |
ganzen Familie auf dem Boden. Ich habe mich schon sehr früh gefragt: Wie | |
kann es sein, dass es so einen Unterschied in den Lebensbedingungen gibt? | |
Ich dachte, das ist doch unfair. | |
Herr Phạ m, wie war Ihre Tochter, wenn Sie in Vietnam zu Besuch waren? | |
Thoại Phạm: Sie hat sich sehr schnell angepasst. Trotzdem wurden meine | |
Kinder in Vietnam behandelt wie rohe Eier. Es gab immer extra Pläne und sie | |
wurden sehr geschont. | |
Khuê Phạm: Ich glaube, sie dachten, dass wir, die wir in Deutschland | |
aufgewachsen sind, mit dem wilden Leben dort nicht zurechtkommen. | |
Hatten sie Recht? | |
Khuê Phạm: Das Leben in Vietnam ist hart, vor allem als Frau. Meine Tanten | |
haben gekocht, geputzt, die Kinder großgezogen. Sie haben die ganze Wäsche | |
mit der Hand geschrubbt. Die Schwestern meiner Mutter haben mir erzählt, | |
dass sie als Kinder manchmal drei Stunden zur Schule liefen – und dann | |
wieder zurück. Wenn man das nicht von früh auf kennt, zerbricht man daran. | |
Woran denken Sie, wenn Sie sich an Ihr eigenes Aufwachsen im Berlin der | |
1990er Jahre erinnern? | |
Khuê Phạm: Ich hatte damals das Gefühl, dass wir eigentlich keinen | |
richtigen Platz in dieser Welt hatten. Es war auch eine Zeit, in der | |
keinerlei Bewusstsein vorhanden war, dass es Leute wie mich gab. | |
Menschen, die in Deutschland geboren wurden, aber deren Eltern nicht | |
deutsch waren. | |
Genau. Damals gab es im Mikrozensus zum Beispiel nur zwei Kategorien, | |
Deutsche und Ausländer. Deutsche, die seit vielen Generationen in | |
Deutschland leben, und Ausländer wie mein Vater, die aus einem anderen Land | |
kamen. Das war das Gefühl meiner Jugend: Wir sind eine Anomalie, es hat | |
niemand mit uns gerechnet. Da war dieser Widerspruch zwischen unserer | |
Realität und den Vorstellungen der Leute. | |
Herr Phạ m, haben Sie in Deutschland Rassismus erfahren? | |
Thoại Phạm: Durch meinen Beruf als Arzt habe ich kaum Diskriminierung | |
erfahren. Die Patienten kommen zu mir mit anderen Erwartungen. Auch als | |
vietnamesischer Student war ich irgendwie privilegiert. Deshalb habe ich | |
nicht so überallergische Reaktionen in solchen Sachen. Ich bin nicht so | |
schnell beleidigt wie Khuê. | |
Khuê Phạm: Du kamst auch aus Vietnam. Du hast dort die ersten 18 Jahre | |
deines Lebens verbracht, du kennst die Lieder deiner Kindheit, das Essen, | |
das deine Mutter gekocht hat. Ganz viele Sachen, die dich geprägt haben, | |
waren in Vietnam. Bei mir war das anders. Alle wollten immer wissen, wo ich | |
herkomme, und wollten, dass ich sage, ich komme aus Vietnam. Aber ich kam | |
ja gar nicht aus Vietnam. Ich bin die zweite Generation, ich habe ein | |
gebrochenes Verhältnis zu dem Land. | |
Frau Phạ m, würden Sie die Frage „Wo kommst du her?“ nach dem Schreiben | |
Ihres Buchs anders beantworten? | |
Khuê Phạm: Die Frage nach meiner Herkunft ist eigentlich sehr groß und | |
tief. Aber ich hatte oft eher das Gefühl, dass andere nur herausfinden | |
wollten, wo meine schwarzen Haare „herkommen“. Wenn man wirklich darüber | |
nachdenkt, was einen prägt, dann ist das vielleicht der Ort, an dem man | |
aufgewachsen ist, oder aber der Job oder die Geschichte der Familie. Ich | |
glaube, meine Familiengeschichte, die so global und zersplittert ist, hat | |
mich sehr geprägt. Und es wäre irgendwie zu wenig, wenn ich sagen würde, | |
ich komme aus Deutschland oder aus Vietnam. Es wäre, wie wenn man nur ein | |
Teil aus einem großen Puzzle hat. Um die Frage „Wo kommst du her?“ wirklich | |
aufrichtig zu beantworten, müsste man viel mehr erzählen. | |
Herr Phạ m, würden Sie eher Deutschland oder Vietnam als Ihre Heimat | |
bezeichnen? | |
Thoại Phạm: Meine erste Heimat ist nach wie vor Vietnam und meine zweite | |
ist Deutschland. | |
Wie blicken Sie heute auf den Krieg zurück? | |
Thoại Phạm: Der Krieg hat viele Familien zerrissen, auch unsere. Viele sind | |
geflüchtet, wir haben unsere Heimat und unser Vermögen verloren. Ich finde | |
trotzdem, es gibt einen Sinn für diese Aufopferungen. In der langen | |
Geschichte von Vietnam sind wir endlich frei, nicht von einer fremden Macht | |
besetzt. Ich sage meinen Brüdern, Vietnam ist jetzt ein Land. Früher war es | |
nur eine Kolonie. Aber meine Familienmitglieder haben für diese Sicht kein | |
Verständnis, sie haben alles verloren. Sie können es nicht verstehen. | |
Hat das Buch Sie und Ihre Familie verändert? | |
Khuê Phạm: Vor der Buchrecherche habe ich meine Verwandten immer als sehr | |
fern wahrgenommen, geografisch und emotional. Diese Sprachlosigkeit, die | |
zwischen uns allen herrschte, ein Stück weit zu beenden, das hat mir sehr | |
viel bedeutet. | |
3 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Nelly Ritz | |
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