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# taz.de -- Fälschungen einer Bloggerin: Absurditäten und Phantasmen
> Eine Bloggerin täuschte die Öffentlichkeit mit einer Vita als Nachfahrin
> von Holocaust-Überlebenden und Gründerin einer „Slumklinik“.
Bild: In Yad Vashem wird der Millionen Opfer des Holocaust gedacht
Der nationalsozialistische Mord an den europäischen Juden ist in all seinen
Grausamkeiten wissenschaftlich recherchiert und bestens dokumentiert. Eine
wichtige Rolle spielt dabei die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad
Vashem. Das Archiv umfasst 210 Millionen Seiten Dokumente, ungefähr 500.000
Fotografien und 4,8 Millionen Namen von Opfern. Seit den Fünfzigerjahren
bietet die Gedenkstätte für Verwandte und Freunden von Ermordeten die
Möglichkeit, sogenannte Gedenkblätter einzureichen.
Der [1][Spiegel berichtet nun,] dass die in Dublin lebende deutsche
Historikerin und Bloggerin Marie Sophie Hingst 22 dieser Gedenkblätter
gefälscht und Yad Vashem getäuscht habe. Diese suggerieren, dass der
Großteil ihrer Familie im Holocaust ermordet wurde. Doch die Geschichte
ihrer jüdischen ermordeten Familie ist offenbar eine Erfindung. Nur drei
der 22 Personen sollen überhaupt wirklich existiert haben.
„Holocaust-Opfer zu erfinden, ist nicht nur geschmacklos, es ist
gefährlich. Es ist Wasser auf den Mühlen der Holocaust-Leugner, es ist
Wasser auf den Mühlen derer, die Opfern eine Mitschuld unterstellen“,
schreibt die Autorin [2][Anke Gröner lesenswert in ihrem Blog]. Offenbar
wollte sich die Bloggerin Hingst interessanter machen, in dem sie nach als
Nachfahrin der Opfer darstellte. Um sich selbst vermeintlich aufzuwerten,
instrumentalisierte sie das wahre Leid der Opfer. Dass sie damit
antisemitische Phantasmen bedient, die den Judenmord der Deutschen als
erfunden darstellen oder diesen relativieren und trivialisieren, war ihr
dabei offenbar egal.
Ihre Familiengeschichte ist jedoch anscheinend nicht die einzige Fantasie
von Hingst: 2017 veröffentlichte sie einen viel beachteten Beitrag auf Zeit
Online, in dem sie unter Pseudonym über angebliche Erfahrungen als
Sexualberaterin für junge Flüchtlinge schrieb. „Wir gehen derzeit davon
aus, dass die Autorin ihr Umfeld, uns und andere Medien getäuscht hat“,
[3][schreibt die Chefredaktion von Zeit Online ] nach der
Spiegel-Veröffentlichung.
Im Alter von 19 Jahren will sie gemeinsam mit einem Freund „eine kleine
Klinik in einem großen Slum von Neu-Delhi“ gegründet haben, heißt es in dem
Text. Spätestens hier hätte die Redaktion stutzig werden müssen: Eine
19-jährige deutsche Abiturientin gründet in Indien ein Krankenhaus? Eine
absurde Vorstellung. Noch absurder ist es, diese Behauptung unhinterfragt
zu veröffentlichen.
2 Jun 2019
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/netzwelt/web/marie-sophie-hingst-bloggerin-taeuscht-…
[2] https://www.ankegroener.de/blog/?p=31942
[3] https://blog.zeit.de/glashaus/2019/05/31/gastbeitrag-2017-taeuschung-verdac…
## AUTOREN
Frederik Schindler
## TAGS
Holocaust
Betrug
Holocaust
Kroatien
Claas Relotius
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Presserat
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