# taz.de -- Erklärung von US-Außenminister: USA sehen Genozid an Rohingya | |
> US-Regierung stuft die Verfolgung der Rohingya-Minderheit durch Myanmars | |
> Militär im Jahr 2017 jetzt doch noch als Völkermord ein. | |
Bild: Rohingya im September 2017 nach ihrer Flucht in Bangladesch bei Cox's Baz… | |
BERLIN taz | Fast fünf Jahre nach der gewaltsamen Vertreibung von | |
mindestens 740.000 Rohginya durch Myanmars Militär nach Bangladesch stufen | |
die USA dies jetzt formal als Völkermord und Verbrechen gegen die | |
Menschlichkeit ein. Außenminister Antony Blinken verkündete dies am Montag | |
in Washington nach dem Besuch der Ausstellung „Birmas Weg zum Genozid“ im | |
Holocaust-Museum. | |
Blinken, der jüdischer Abstammung ist und dessen Stiefvater als Einziger | |
von 900 jüdischen Mitschülern den Holocaust überlebte, sprach im Fall der | |
Rohingya in seiner [1][Rede] von Angriffen, die „weit verbreitet und | |
systematisch“ gewesen seien. Dabei sei „eine klare Absicht“ zu erkennen | |
gewesen, die Rohingya „ganz oder teilweise“ zu vernichten. | |
Es sei überhaupt erst das achte Mal seit dem Holocaust, dass eine | |
US-Regierung einen Genozid festgestellt habe, so Blinken. Er hatte dazu | |
selbst eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Laut US-Medien sind zwei | |
vorangegange Untersuchung der Regierung zu anderen Schlüssen gekommen und | |
hätten zum Beispiel von „ethnischen Säuberungen“ gesprochen, die aber im | |
Unterschied zum Völkermord keine juristische Kategorien seien. | |
Ende August 2017 hatte Myanmars Militär Angriffe einer Rohingya-Gruppe auf | |
Polizeiposten im westlichen Rakhaing-Staat mit einer breiten Mord-, | |
Verfolgungs- und Vertreibungskampagne beantwortet. Viele Dörfer der meist | |
muslimischen Rohingya-Ethnie wurden niedergebrannt, Frauen vergewaltigt. | |
## 9.000 Rohingya wurden 2017 getötet | |
9.000 Rohingya starben innerhalb weniger Wochen, mehr als 740.000 flohen | |
nach Bangladesch. Dort lebten nach Vertreibungen 2016 sowie aus früheren | |
Zeiten schon mehr als 200.0000 Flüchtlinge meist in Lagern um die Stadt | |
Cox’s Bazar. | |
Rohingya werden im mehrheitlich buddhistischen Myanmar, dem früheren Birma, | |
schon seit Jahrzehnten diskriminiert. Blinken verwies auf die | |
Vorgeschichte, die jedem Genozid eigen sei. So sei den Rohingya schon ab | |
1982 per Gesetz die Staatsbürgerschaft aberkannt worden. | |
Sie dürfen sich auch nicht Rohingya nennen, sondern werden offiziell als | |
Bengalen bezeichnet, was sie als illegale Einwanderer aus Bangladesch | |
abstempelt. Dabei leben die meisten von ihnen schon seit Generation im | |
Südwesten Myanmars. | |
Dass die US-Regierung, im Unterschied etwa zu Kanada oder Frankreich, erst | |
jetzt die Verbrechen des myanmarischen Militärs an den Rohingya offiziell | |
als Genozid einstuft, beruht weniger auf neuen Erkenntnissen Washingtons, | |
als vielmehr auf geänderten politischen Bedingungen. | |
## Veränderte strategische Lage durch Militärputsch | |
Dazu gehört neben dem Wechsel der US-Präsidentschaft von Donald Trump zu | |
Joe Biden vor allem der Militärputsch in Myanmar vom 1. Februar 2021. Bis | |
dahin war die dort regierende Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi gezwungen | |
gewesen, mit dem mächtigen Militär zusammen zu regieren. | |
Weil die Friedensnobelpreisträgerin sogar persönlich die Generäle vor dem | |
Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen den Genozid-Vorwurf | |
verteidigte, so [2][twitterte Kenneth Roth] von Human Rights Watch jetzt, | |
„fürchtete die US-Regierung, dass eine Einstufung als Völkermord die | |
Schritte der Regierung [Aung San Suu Kyis, die Red.] in Richtung Demokratie | |
untergraben würde.“ | |
Ein Kalkül der früheren Trump-Regierung war gewesen, Myanmar nicht weiter | |
in die Arme des mächtigen Nachbarn China zu treiben. Dabei waren viele | |
ausländische Unterstützer Aung San Suu Kyis entsetzt, dass sie die Generäle | |
verteidigte, unter denen sie selbst so lang gelitten hatte. | |
Doch zeigte dies auch ihre nationalistische Seite und dass sie sich dem von | |
ihrem Vater gegründeten Militär verbunden fühlt. Seit dem Putsch ist sie | |
ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Die Generäle, die damals gegen die | |
Rohingya vorgingen, haben jetzt die Macht und kämpfen dabei ähnlich brutal | |
gegen die demokratische Opposition wie damals gegen die Rohingya. Diese | |
können bis heute nicht zurückkehren, weil es keine Sicherheitsgarantien | |
gibt. | |
## Menschenrechtler: US-Entscheidung war überfällig | |
Die Einstufung der Verbrechen an den Rohingya als Völkermord, was schon | |
UN-Gremien vorgeschlagen hatten, wird von Menschenrechtlern als überfällig | |
bezeichnet. Direkte Konsequenzen hat die Einstufung als Genozid aber erst | |
mal nicht, zumal Myanmars Militär schon seit 2017 von westlichen Ländern | |
mit Sanktionen belegt wird. Diese wurden nach dem Putsch verschärft. Doch | |
dürfte der Druck jetzt noch weiter steigen. | |
Die Anlehnung der Verfolgung an den Holocaust durch die Ortswahl der | |
Verkündung wirkt angesichts von dessen weit größerer Dimension überzogen, | |
so brutal die Verfolgung der Rohingya auch ist und so lobenswert es | |
trotzdem ist, dass sich das Holocaust Museum auch mit aktuellen | |
Völkermordverbrechen beschäftigt. | |
Aber vor allem aber macht das stark von strategischen Interessen geleitete | |
statt prinzipienorientierte Vorgehen der US-Regierung jetzigen ihren | |
Schritt angreifbar. Denn so treffend die jetzige Einstufung ist, so hat | |
sich an der Situation der Rohingya seit 2017 eigentlich nichts verändert. | |
Trotzdem dürfte Washingtons Schritt jetzt in Myanmar von der gegen das | |
Militär kämpfenden Opposition begrüßt werden, auch wenn dies an der | |
Situation der geflohenen Rohingya zunächst nichts ändert. Viele | |
oppositionelle Birmesen haben erst nach dem Putsch gemerkt, dass sie den | |
verfolgten Rohingya mehr hätten politisch beistehen sollen. Der damalige | |
Militärchef Min Aung Hlaing ist heute der Chef der Junta. | |
21 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=s82ZWMdjXOs | |
[2] https://twitter.com/KenRoth/status/1505803752086949888 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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