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# taz.de -- Erinnerung in Orbáns Ungarn: Wo ist Georg Lukács?
> Ungarns Regierung vertritt ein revisionistisches Geschichtsbild. Nach und
> nach zementiert sie es immer weiter – mit Denkmälern.
Bild: Was will dieser alte, weiße Mann? Ministerpräsident Victor Orbán
Georg Lukács wurde am 13. April 1885 in Budapest geboren und starb dort am
4. Juni 1971. Sein Vater war ein wohlhabender, jüdischer Bankdirektor. Der
junge Lukács studierte in Berlin, Florenz und Heidelberg, wo er unter
anderem Ernst Bloch kennenlernte. Mit „Die Seele und die Formen (1911) und
der „Theorie des Romans (1916) legte er zwei Werke vor, die die ästhetische
Theorie des frühen 20. Jahrhunderts stark beeinflussten.
Bevor er sich gegen Ende des Ersten Weltkriegs politisch engagierte, begann
er mit dem Marxstudium, das er sein Leben lang fortsetzte bis zum Spätwerk
„Ontologie – Marx“ und „Ontologie – Arbeit“. Im Zweiten Weltkrieg �…
er in Moskau den stalinistischen Terror und nach 1956 die Verfolgung und
Ermordung von Mitgliedern der Aufstandsbewegung.
Er hinterließ ein riesiges Werk von literaturwissenschaftlichen,
ästhetischen und philosophischen Schriften und war ein auch im Westen sehr
bekannter und anerkannter Wissenschaftler und politisch nicht
unumstrittener Intellektueller. Seine bekannteste Schülerin und
Mitarbeiterin war [1][die vor einer knappen Woche verstorbene Philosophin
Ágnes Heller.]
Nach seinem Tod errichtete man ihm in Budapest eine Statue in dem
Stadtteil, in dem er gewohnt hatte. In der letzten Wohnung mit der riesigen
Bibliothek wurde das Lukács-Archiv eingerichtet. Thomas Mann bewunderte den
Wissenschaftler und Literaturkenner Lukács und setzte ihm mit der Figur des
scharfsinnigen Juden Naphta, als Gegenfigur zum fundamentalistischen
Jesuiten, ein Denkmal im Roman „Der Zauberberg“ (1924).
## Regierung errichtet Denkmal für Antisemiten
2012, zwei Jahre nachdem die Orbán-Partei und ihre Regierung an die Macht
gelangt war, begannen die Schwierigkeiten mit der Erinnerung an Lukács. Die
beiden Bibliothekare des Archivs wurden entlassen und der Nachlass in die
Bibliothek der ungarischen Akademie der Wissenschaften überführt – unter
dem Vorwand, die Wohnung des Archivs sei renovierungsbedürftig.
Vier Jahre später erklärte die Akademie, der Nachlass und die Bibliothek
würden aufgeteilt, was allen bibliothekarisch-archivarischen Grundsätzen
und Standards widerspricht. Renommierte europäische Philosophen, darunter
Jürgen Habermas, Axel Honneth, Wolfgang Fritz Haug, Domenico Lossurdo sowie
die Internationale Georg-Lukács-Gesellschaft protestierten, was die
Akademie zur Aufgabe ihrer Pläne zwang.
Aber die Agitation gegen Lukács ging weiter. Für die Rechtsradikalen ist
Lukács, der 1919 und 1956 Kulturminister war, ein „kommunistischer Mörder�…
Die rechtsradikale und antisemitische Partei Jobbik erreichte, dass die
Lukács-Statue im Budapester Szent-Istvan-Park [2][im März 2017 entfernt
wurde]. Dafür errichtete man im Mai 2018 für Bálint Hóman ein Denkmal – f…
einen intellektuellen Knecht des faschistischen Horthy-Regimes, unter
dessen Verantwortung und mit dessen Mithilfe über 400.000 Juden nach
Auschwitz deportiert wurden.
Auch Rabbiner Joel Berger schrieb zuletzt am 12. Juni 2019 in der Jüdischen
Allgemeinen darüber. Er sieht darin eine Nobilitierung des „schlimmsten
Judenhasses in der ungarischen Geschichte“.
## Eine Tilgung der Erinnerung
Schon vor gut einem Jahr erklärte die Budapester Akademie, deren Etat von
Orbán zusammengestrichen wurde, der Zugang zum Lukács-Archiv sei nicht mehr
zu gewährleisten und die Arbeiten an der Digitalisierung von Werken und
Briefen des Philosophen müssten eingestellt werden. Ob es der
Internationalen Lukács-Gesellschaft gelingt, Geld zur Erhaltung und
Digitalisierung des Nachlasses zu mobilisieren, ist noch nicht geklärt.
Am 4. Juni 2019 – Lukács’ 48. Todestag und dem 99. Jahrestag des
Friedensvertrags von Trianon, mit dem Ungarn zwei Drittel seines
Staatsgebiets verlor – wurde auch das Institut zur Erforschung der
Erinnerung an den ungarischen Aufstand vom Herbst 1956 zusammen mit 14
anderen Forschungsinstituten geschlossen.
Die Schikanen gegen die Erinnerung an Lukács und sein Werk und die massive
Behinderung der internationalen Lukács-Forschung kommen einer „damnatio
memoriae“ (Tilgung der Erinnerung) gleich.
24 Jul 2019
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Agnes-Heller/!5607799
[2] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/ungarn-entsorgt-die-erinnerung/
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Viktor Orbán
Rechtsextremismus
Zeitgeschichte
Marxismus
Ungarn
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