# taz.de -- Erinnerung an Armenier-Genozid: Konzert und Dialog in Dresden | |
> Erdoğans Interventionen zum Trotz: In Dresden findet das „Aghet“-Konzert | |
> zur Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern statt. | |
Bild: Die Dresdner Sinfoniker nach der „Aghet“-Aufführung | |
Im November 2015 war das in Berlin uraufgeführte „Aghet“-Projekt der | |
Dresdner Sinfoniker und des Gitarristen Marc Sinan nur eines von vielen, | |
die an den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren erinnerten. Damals | |
während des Ersten Weltkriegs starben bis zu 1,5 Millionen Armenier bei | |
Deportationen und Massakern, die als „Aghet“, also „Katastrophe“, in ih… | |
Geschichte eingingen. | |
Die zweite Aufführung des Konzerts am Vorabend des 1. Mai im Festspielhaus | |
Dresden-Hellerau geriet zum Politikum, weil der türkische EU-Botschafter | |
von Brüssel die Einstellung der Projektförderung von 200.000 Euro forderte. | |
Präsident Erdoğan bekräftigte nicht nur, den Vorwurf des Genozids „niemals | |
akzeptieren“ zu wollen. Im angeheizten Streit über das Böhmermann-Pamphlet | |
und die Freiheit von Kunst und Satire probierte die Türkei erneut, wie weit | |
ihr langer Arm reicht. | |
Dieter Jaenicke, künstlerischer Leiter des Festspielhauses Hellerau und | |
Koproduzent, überraschen diese Versuche nicht. Das teilweise Einknicken der | |
EU-Kommission, die daraufhin den Ankündigungstext von der Internetseite | |
entfernte, und das Zögern der Bundesregierung hält er aber für „fatale | |
Zeichen“. Es sei schlimm, wenn man sich nicht mehr eindeutig auf die | |
Grundwerte unserer Demokratie verständigen könne. | |
In den Tagen vor der brisanten Dresdner Aufführung aber positionierten sich | |
sowohl Europaabgeordnete mehrerer Parteien als auch sächsische Politiker | |
sehr klar. Sachsens Kunstministerin Eva-Maria Stange (SPD) nannte die | |
Einmischungsversuche der türkischen Regierung „unverschämt und | |
erschreckend“. Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker, betonte | |
noch einmal, dass das Konzertvorhaben den Genozid-Streit eigentlich | |
entschärfen soll und auf Dialog angelegt ist. | |
Denn das auf zeitgenössische Musik spezialisierte Dresdner Projektorchester | |
ist um Gäste aus Armenien, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien | |
erweitert worden. Die Türkin Zeynep Gedizlioğlu, der Armenier Vache | |
Sharafyan und der Deutsche Helmut Oehring steuern Kompositionen bei. | |
Oehrings ungemein wuchtiges, phasenweise agitatorisches Melodram unter dem | |
Titel „Massaker, hört ihr MASSAKER“ ist allerdings eher ein Fanal als eine | |
Klage und an Präsident Erdoğan adressiert. Marc Sinan als Sprecher und an | |
der schrillen E-Gitarre, Solisten, ein Frauenchor und eingestreute Zitate | |
lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. | |
## Insgesamt klagender Duktus | |
Gedizlioğlus „Notes from the Silent One“ sind hingegen eher eine spröde | |
Annäherung an mögliche Empfindungen der Armenier. Wache Scharafjans | |
„Surgite Gloriae“ liegt ein altes Kirchenlied zugrunde. Aber auch Folklore | |
fließt ein, und der insgesamt klagende Duktus wird vom armenischen | |
Nationalinstrument Duduk bestimmt. Am Freitagabend hatten bereits Schüler | |
zweier Dresdner Gymnasien gemeinsam mit den Sinfonikern auf das Thema | |
eingestimmt. Sie erstellten eine empathiereiche semiprofessionelle | |
Bühnenfassung von Franz Werfels Buch „Die vierzig Tage des Musa Dagh“, die | |
niemanden kalt ließ. Auch diese Schüler positionierten sich gegen die | |
„unverschämte“ türkische Einflussnahme. | |
Selbst ohne die zusätzliche politische Brisanz hätten Theater- und | |
Konzertabend ihren erschütternden Eindruck auf das Publikum nicht verfehlt. | |
Am Sonnabend applaudierte es stehend fast eine Viertelstunde lang im | |
ausverkauften Festspielhaus. Lange Gespräche schlossen sich an. Besucher | |
wünschten dem Projekt eine ähnliche Wirkung auch bei der geplanten Tournee | |
auf dem Balkan und vor allem bei dem bislang noch nicht konkretisierten, | |
aber auch nicht abgesagten Konzert in Istanbul. | |
Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker, will auf jeden Fall dort | |
spielen. Er gewinnt dem Streit mit der Türkei auch eine positive Seite ab. | |
„Ich hätte nie gedacht, dass ein Kunst- und Kulturprojekt in der Lage wäre, | |
die EU-Kommission und den Bundestag zu beschäftigen“, meint er | |
hintersinnig. Eine junge Armenierin, die in Deutschland studiert, hält die | |
Auseinandersetzung für einen anachronistischen Konflikt „alter Männer“. In | |
ihrer Generation gebe es kein Feindbild mehr, nur den Wunsch nach | |
ernsthafter Information und Aufarbeitung der unleugbaren Geschichte. | |
1 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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