| # taz.de -- Theater in der Türkei: Austausch unerwünscht | |
| > Ein Regisseur aus Bonn kommt nach Istanbul und lernt bald, was alles | |
| > verboten ist. An einem Off-Theater entsteht trotzdem ein Stück. | |
| Bild: Beliebte und weniger kritisch beäugte Version der Unterhaltung: das Kara… | |
| Drei junge Frauen toben über die Bühne. Eine ist Kurdin, eine Türkin, die | |
| dritte Deutsche. Jede spricht in ihrer Sprache, ob die beiden anderen sie | |
| dabei verstehen, bleibt unklar. Eigentlich bewegen sich die drei mitten | |
| unter den Zuschauern. Der Theaterraum des kleinen Off-Theaters Kumbaracı50 | |
| in Istanbul ist Bühne und Parkett zugleich. | |
| Das Stück heißt „Lost in Language“, inszeniert wurde es von Frank Heuel, | |
| der zurzeit als Stipendiat in Istanbul lebt. Der englische Titel ist der | |
| Ausweg aus dem dreisprachigen Dilemma und schon ein Hinweis darauf, worum | |
| es geht: um Sprache, um den Verlust von Sprache, um Entwurzelung und | |
| Neuanfang. Immer im Wechsel der Sprachen wird die Geschichte einer jungen | |
| Frau erzählt, die aus der anatolischen Provinz Maraş als Mädchen mit ihren | |
| Eltern nach Deutschland kommt, dort zur Schule geht und ihre Muttersprache | |
| fast vergisst. Wobei ihre Muttersprache nicht Türkisch, sondern Kurdisch | |
| ist. | |
| Doch man ahnt es, die Migration nach Deutschland scheitert; die Familie | |
| bekommt kein Asyl und wird abgeschoben. Für das Mädchen beginnt ein | |
| Neuanfang in einer türkischen Schule in Istanbul, wo sie erneut erst einmal | |
| die Sprache, Sitten und Gebräuche lernen muss. Immer wieder wird das | |
| Mädchen, später die junge Frau, mit einer sprachlich und kulturell völlig | |
| anderen Situation konfrontiert. | |
| Was den Regisseur Frank Heuel dabei besonders interessiert, ist nicht die | |
| politische und kulturelle Diskriminierung einer Kurdin, weil sie eben | |
| Kurdin ist, sondern die ständige Entwurzelung und der bei jedem neuen Umzug | |
| schwierigere Neuanfang. So verwirrend wie das Leben für die junge kurdische | |
| Frau, ist für den Zuschauer das Sprachgewirr auf der Bühne. | |
| ## Eine reale Geschichte | |
| Frank Heuel wurde zu dem Stück durch die reale Geschichte einer jungen | |
| kurdischen Frau angeregt, die zeitweilig für ihn gedolmetscht hat. Denn | |
| auch er hat in Istanbul ein großes Sprachproblem, versteht er doch weder | |
| Türkisch noch Kurdisch. Heuel ist Anfang dieses Jahres als Stipendiat der | |
| Kunststiftung Nordrhein-Westfalen nach Istanbul gekommen. Die Kunststiftung | |
| NRW hat in Beyoğlu, im Zentrum Istanbuls, ein Haus, in dem Künstler, auch | |
| Theaterleute, jeweils sechs Monate verbringen können. Gedacht als | |
| praktischer Kulturaustausch von einem Bundesland, in dem die größte Zahl | |
| ehemaliger „Gastarbeiter“ und deren Kinder und Kindeskinder in Deutschland | |
| leben. | |
| „Im Gegensatz zu den Solisten, Schiftsteller oder Maler, muss ich als | |
| Theaterregisseur mich ja mit den Leuten hier direkt beschäftigen. Ich | |
| wollte schließlich Theater machen“, erzählt Heuel. So nutzte er die Zeit | |
| zunächst, um sich mit der türkischen Theaterszene bekannt zu machen. Dabei | |
| merkte er schnell, dass eine Zusammenarbeit mit den großen städtischen | |
| Bühnen schwer bis unmöglich ist. „Alles ist total von oben kontrolliert. | |
| Es gibt für die Theater eine vom Kultusministerium erstellte Liste genehmer | |
| Stücke und Autoren. Wenn ein Theater davon abweicht, müssen sie statt 10 | |
| Prozent 18 Prozent ihrer Einnahmen an den Staat abführen. Das will | |
| natürlich kein Intendant.“ Nimmt das Theater die finanzielle Strafe dennoch | |
| in Kauf, werden Stücke notfalls auch verboten. „Ein Stück von Brecht wurde | |
| wegen Verletzung religiöser Gefühle ganz verboten“, hat Heuel erfahren. | |
| Frank Heuel, der in Deutschland viel an der städtischen Bühne in Bonn | |
| gearbeitet hat, fand dennoch ein kleineres Stadttheater im Vorort Bakırköy, | |
| das gerne zusammen mit ihm ein Stück auf die Beine gestellt hätte. Doch der | |
| Putschversuch vom 15. Juli vereitelt auch das. Allen Theatern wurde | |
| grundsätzlich verboten, internationale Kooperationen einzugehen. | |
| Mittlerweile hat Frank Heuel jedoch die Istanbuler Off-Szene kennengelernt | |
| und ist ganz begeistert. „Diese Leute arbeiten ohne Geld, mit großem | |
| Enthusiasmus und oft mit großem Können. Sie sind meistens sehr gut | |
| ausgebildet, bekommen aber keine Engagements oder wollen sich den | |
| ideologischen Vorgaben der Regierung nicht anpassen.“ | |
| ## Keine Förderung mehr | |
| Bis zum Putschversuch gab es zumindest in Istanbul für einige kleine Bühnen | |
| noch verschiedene Fördertöpfe, doch seit der Verhängung des | |
| Ausnahmezustands ist auch das vorbei. Alle Gelder wurden gestrichen. Und | |
| nicht nur das. Auch der politische Druck nahm noch einmal zu. „Ein | |
| Off-Theater auf der asiatischen Seite Istanbuls, in Kadıköy, D22, das sich | |
| in einem Stück mit der Kurdenfrage beschäftigte, wurde so lange bedroht, | |
| bis sie das Stück abgesetzt haben“, erzählt Frank Heuel. | |
| „Trotzdem“, beschreibt der deutsche Theatermann seine Erfahrungen, „die | |
| meisten Theatergruppen wollen nicht aufgeben.“ „Wir machen unbedingt | |
| weiter“, sagt auch das kleine Ensemble von Kumbaracı50. Frank Heuel konnte | |
| für kommendes Jahr einen Gastauftritt in Deutschland organisieren, „wenn es | |
| denn mit den Visa klappt und die Leute ausreisen dürfen“. Beides ist heute | |
| nicht mehr selbstverständlich. | |
| Trotz aller Schwierigkeiten ist Heuel froh, dass die Kunststiftung NRW ihr | |
| Programm in Istanbul aufrechterhalten will. Er hat schon eine Verlängerung | |
| für das kommende Jahr beantragt. „Wir können doch die Leute hier nicht | |
| allein lassen“, sagt er. | |
| Auch sein Stück lässt er positiv enden. Nach allen biografischen Brüchen | |
| gelingt es seiner Protagonistin, in Istanbul anzukommen. In dieser | |
| „multikulturellen, multiethnischen Stadt fühle ich mich wohl, hier will ich | |
| bleiben“, lässt er sie zuletzt sagen. Übrigens genau wie die Frau, deren | |
| Schicksal ihn zu dem Stück angeregt hat. | |
| 12 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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